VW will mit Porsche-Mann Müller aus Abgas-Affäre

Der bisherige Vorstandsvorsitzende der Porsche AG, Matthias Müller, wird neuer Chef von VW. Foto: Daniel Naupold

Der Aufsichtsrat hat entschieden: Matthias Müller soll als neuer VW-Chef die Abgas-Affäre bei Europas größtem Autobauer in den Griff bekommen.

In einer mehr als siebenstündigen Sitzung auf dem Stammgelände in Wolfsburg wählte das 20-köpfige Gremium den 62-Jährigen zum Nachfolger von Martin Winterkorn. Der bisherige VW-Chef war am Mittwoch infolge des weltweiten Abgas-Skandals von seinem Posten zurückgetreten.

Mit der Entscheidung will VW nach einer Woche voller Pleiten und Pannen die Trendwende schaffen. Davon ist der Konzern aber noch weit entfernt. Pünktlich zur Sitzung in Wolfsburg veröffentlichte in Berlin Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) am Freitag neue Details zu den Abgas-Manipulationen in Deutschland.

«Für diesen Vertrauensbeweis bin ich dankbar» sagte der bisherige Porsche-Vorsitzende Müller im Anschluss an die Sitzung. Er kündigte umgehend eine «schonungslose Aufklärung und maximale Transparenz» an. Volkswagen werde unter seiner Führung «die richtigen Lehren aus der aktuellen Situation ziehen». Betriebsratschef Bernd Osterloh sagte: «Ich freue mich auf einen Teamplayer an der Spitze.» VW brauche für einen Weg aus der Krise einen «grundlegenden Kulturwandel».

Auf Müller wartet ein Scherbenhaufen - oder eine «nie dagewesene Aufgabe», wie er es nennt. Der leidschaftliche Autonarr muss nun schnell Akzente setzen, um das bei Kunden, Aktionären, Justiz und Mitarbeitern verloren gegangene Vertrauen in die Glaubwürdigkeit des Konzerns zurückzugewinnen. «Wir sind überzeugt, dass er die richtige Persönlichkeit an der Spitze ist», sagte Großanteilseigner Wolfgang Porsche. Die Familien Porsche und Piëch stünden auch in der gegenwärtigen Krise «ohne Wenn und Aber zu VW».

Wie groß der Handlungsbedarf ist, zeigte die Nachricht aus Berlin. Von den Manipulationen bei Abgasmessungen an Dieselwagen sind nach Angaben Dobrindts mindestens 2,8 Millionen Fahrzeuge des Konzerns in Deutschland betroffen - darunter sowohl Pkw als auch leichte Nutzfahrzeuge. Laut Volkswagen sind weltweit rund elf Millionen Autos mit der manipulativen Software ausgestattet.

Nach aktueller Kenntnis seien in Deutschland Fahrzeuge der 1,6- und 2-Liter-Diesel-Klasse betroffen, betonte Dobrindt. Eine genaue Liste der fraglichen Automodelle gibt es bislang nicht. Den VW-Kunden sicherte Dobrindt vollste Wahrung ihrer Interessen zu.

Die Kernmarke VW teilte am späten Freitagabend mit, dass aus ihrem Programm weltweit fünf der elf Millionen Autos stammen. Demnach sind Fahrzeugmodelle aus mehreren Baujahren betroffen, etwa der Golf der sechsten Generation, der Passat der siebten Generation und die erste Generation des Tiguan. Weitere Angaben machte VW nicht. Unabhängig davon seien alle Neuwagen, die über die Euro-6-Norm verfügen, nicht von den Manipulationen betroffen. Dazu gehörten etwa der aktuelle Golf, Passat und Touran. An einer technischen Lösung werde mit Hochdruck gearbeitet, sagte Markenchef Herbert Diess.

Dobrindt hatte zuvor erklärt, das Kraftfahrt-Bundesamt fordere VW auf, «verbindlich zu erklären, ob sich das Unternehmen in der Lage sieht, die eingestandenen technischen Manipulationen zu beheben». «Wir erwarten einen verbindlichen Zeitplan, bis wann die technische Lösung vorliegt und bis wann sie umgesetzt werden kann.»

Nicht nur der VW-Chefposten ist im Zuge des Wolfsburger Personalkarussells neu besetzt. Um dem bereits vor der Krise arg schwächelnden US-Markt neues Leben einzuhauchen, werden die Märkte USA, Mexiko und Kanada in der neu geschaffenen Region Nordamerika zusammengefasst. Mit dem bisherigen Skoda-Chef Winfried Vahland steht dem Marktbereich auch eine neuer Chef vor.

Der infolge des Skandals in die Kritik geratene US-Regionalchef von Volkswagen, Michael Horn, bleibt im Amt. An die Stelle Vahlands bei Skoda soll der bisherige Vertriebschef von Porsche, Bernhard Maier, treten.

«Die Testmanipulationen bedeuten für Volkswagen ein moralisches und politisches Desaster», sagte Berthold Huber, Interimsvorsitzender des Präsidiums. Das rechtswidrige Verhalten habe Volkswagen ebenso geschockt wie die Öffentlichkeit. «Wir können uns nur entschuldigen und Kunden, Öffentlichkeit, Behörden und Anleger darum bitten, dass wir die Chance zur Wiedergutmachung erhalten.»

Huber sagte, dass Anwälte der Kanzlei Kirkland & Ellis beauftragt worden seien. Die Kanzlei hatte schon den britischen Ölkonzern BP nach der Explosion der Ölplattform «Deepwater Horizon» im Jahre 2010 vertreten.

In den manipulierten VW-Motoren wird eine Software genutzt, die die gemessenen Abgaswerte im Testbetrieb künstlich nach unten korrigiert. Infolge des Skandals war in dieser Woche der Kurs der VW-Aktie massiv eingebrochen. Zum Handelsschluss am Freitag fehlte dem Papier rund ein Drittel seines Wertes vom Wochenauftakt. Zudem drohen dem Konzern weltweit Prozesse und Milliardenstrafen.

Müller war bereits im Frühjahr von VW-Patriarch Ferdinand Piëch als Winterkorn-Nachfolger ins Gespräch gebracht worden. Für den dann vakanten Chefposten bei dem Sport- und Geländewagenhersteller werden Produktionsvorstand Oliver Blume beste Chancen eingeräumt. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Konzernkreisen erfuhr, steht der 47-Jährige de facto als neuer Porsche-Lenker fest. Dies muss formal noch der Aufsichtsrat der Porsche AG beschließen. Das Gremium soll in der kommenden Woche in Stuttgart zusammenkommen.

Dagegen ist die Zukunft Winterkorns als Vorsitzender der Porsche-Dachgesellschaft Porsche SE unwahrscheinlich - nach dpa-Informationen ist dies keine realistische Option. Im Aufsichtsrat scheinen die Meinungen darüber ebenso weit auseinanderzugehen wie in der Gerüchteküche. Der Porsche SE gehört die Mehrheit an Volkswagen. Zuvor hatte «Spiegel Online» berichtet, dass Winterkorn dort im Amt bleiben wolle.

Der Abgas-Skandal hat inzwischen neben VW und Audi auch die Töchter Skoda und Seat erfasst. Zudem steht die Frage im Raum, ob andere Hersteller ebenfalls getrickst haben könnten. BMW, Daimler, Ford, Opel und Fiat betonten, sich an alle gültigen Vorgaben zu halten.