Belarus: Wahlleitung erklärt Lukaschenko zum Sieger - Tichanowskaja beansprucht Sieg ebenfalls

Nach der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Präsidentenwahl in Belarus (Weißrussland) beansprucht die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja den Sieg für sich. Das sagte die 37-Jährige am Montag Medien zufolge in Minsk. “Wir erkennen die Ergebnisse nicht an.”

Tichanowskaja warf Präsident Alexander Lukaschenko vor, sich nach mehr als 26 Jahren an der Macht mit Gewalt eine sechste Amtszeit sichern zu wollen.

Tichanowskajas Wahlkampfstab geht davon aus, dass sie zwischen 70 und 80 Prozent der Stimmen bei der Präsidentenwahl am Sonntag errungen hat. Der Stab veröffentlichte dazu auch einzelne Protokolle aus Wahllokalen, in denen ehrlich ausgezählt worden sein soll. Die Wahlleitung sprach mit ihrem vorläufigen Endergebnis Lukaschenko einen Sieg mit 80,08 Prozent der Stimmen zu. Die von Menschenmengen bejubelte Tichanowskaja soll demnach 10,09 Prozent der Stimmen geholt haben.

Swetlana Tichanowskaja erkennt das offizielle Wahlergebnis nicht an (Bild: Sergei Gapon/AFP)
Swetlana Tichanowskaja erkennt das offizielle Wahlergebnis nicht an (Bild: Sergei Gapon/AFP)

Tichanowskajas Mitstreiterin Maria Kolesnikowa forderte die Sicherheitskräfte auf, die Gewalt gegen die friedlichen Demonstranten zu beenden. “Wir sind bereit zu einem langen Protest”, sagte sie. Der Konflikt zwischen Wählern und Machtapparat müsse aber auf friedlichem Weg gelöst werden.

Wahlziel Tichanowskajas war es, ins Präsidentenamt gewählt zu werden, um alle politischen Gefangenen freizulassen und dann freie Neuwahlen auszurufen. Unter den Inhaftierten ist auch ihr Mann Sergej Tichanowski, ein regierungskritischer Blogger. Nach Drohungen hatte Tichanowskaja ihre Kinder ins Ausland bringen lassen. Sie will aber nach eigener Darstellung weiter kämpfen für eine Zukunft ihrer Kinder in Belarus. “Ich sehe keinen einzigen Grund, weshalb ich verhaftet werden sollte. Ich habe nicht vor, das Land zu verlassen.”

Präsident warnt vor neuem “Maidan”

Lukaschenko hat am Montag das Ausland für die Proteste verantwortlich gemacht. Es habe Aufrufe dazu aus Polen, Russland und Tschechien gegeben, sagte er Staatsmedien zufolge in Minsk. “Sie kontrollieren unsere Schafe. Und die verstehen nicht, was sie tun, und werden bereits kontrolliert”, sagte der 65-Jährige. Hinter den Drahtziehern müssten nicht zwingend staatliche Strukturen stehen. “Es wird keinen Maidan geben, egal wie sehr jemand das will. Es ist wichtig, dass sich alle beruhigen”, so der Langzeitpräsident.

Lukaschenko hatte bereits im Wahlkampf vor einer Revolution und Zuständen wie 2014 auf dem “Maidan” gewarnt, dem Unabhängigkeitsplatz von Kiew im Nachbarland Ukraine. Er drohte mehrfach mit dem Einsatz der Armee. Der Präsident meinte, an die Eltern von Demonstranten gerichtet, sie sollten auf ihre Kinder aufpassen, damit es später keine Wehklagen gebe. “Etwa 25 Bereitschaftspolizisten wurden verwundet. Sie wurden absichtlich geschlagen. Sie haben geantwortet.”

Die Wahlkommission in Belarus hat Staatschef Alexander Lukaschenko zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt (Bild: dpa)
Die Wahlkommission in Belarus hat Staatschef Alexander Lukaschenko zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt (Bild: dpa)

Die Proteste begannen landesweit kurz nach Schließung der Wahllokale am Sonntagabend. Sie waren die schwersten, die die frühere Sowjetrepublik je gesehen hat. Sicherheitskräfte setzten Wasserwerfer, Tränengas und Blendgranaten gegen die Demonstranten ein. Maskierte Sicherheitskräfte schleppten Menschen in Busse und schlugen auf die Demonstranten ein. Bis zum Morgen beruhigte sich die Lage zunächst wieder.

Insgesamt gibt es nach Angaben des Innenministeriums in Minsk mehr als 3000 Festnahmen und fast 100 Verletzte auf beiden Seiten - bei den Sicherheitsorganen und bei den Bürgern. Es soll auch einen Toten unter den Demonstranten geben. Die Behörden weisen dies jedoch zurück.

Unterdessen kündigte das staatliche Ermittlungskomitee an, hart gegen die Teilnehmer und Organisatoren vorgehen zu wollen. Ihnen drohen demnach wegen Anstiftung zu Massenunruhen bis zu 15 Jahre Haft.

EU erwägt Reaktionen - Maas will Sanktionen prüfen

Die EU erwägt konkrete Reaktionen auf die Ereignisse nach der Präsidentenwahl. “Wir werden die Entwicklungen weiterhin sehr genau verfolgen, um dann zu beurteilen, wie eine Antwort und die Beziehungen der EU zu Belarus auszugestalten sind (...)”, teilten der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und der für die EU-Nachbarschaft zuständige Kommissar Olivér Várhelyi am Montag mit.

Borrell hatte bereits vor der Wahl über einen Sprecher warnen lassen, dass die weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen den EU-Staaten und Belarus auch von der Durchführung der Wahl abhängen werde. Bislang gehört das Land noch zu den Staaten der sogenannten Östlichen Partnerschaft der EU. Mit ihnen wird eigentlich eine besonders enge wirtschaftliche und politische Kooperation angestrebt.

Polizisten marschieren an einem Banner zur Präsidentschaftswahl vorbei (Bild: Celestino Arce/NurPhoto via Getty Images)
Polizisten marschieren an einem Banner zur Präsidentschaftswahl vorbei (Bild: Celestino Arce/NurPhoto via Getty Images)

Bundesaußenminister Heiko Maas hat sich dafür ausgesprochen, eine Reaktivierung von EU-Sanktionen gegen das autoritär regierte Land zu prüfen. Die Hoffnungen auf mehr Rechtsstaatlichkeit in Belarus hätten mit der Wahl “mehr als nur einen herben Rückschlag erlitten”, sagte Maas am Montag in Berlin. Von freien Wahlen sei “wirklich überhaupt nichts” zu erkennen gewesen. “Stattdessen haben wir Gewalt, Einschüchterung und Verhaftung mit bezeugen müssen.”

Maas forderte, von der Polizei festgenommene friedliche Demonstranten umgehend freizulassen. Bei denen wegen erster Schritte hin zu mehr Rechtsstaatlichkeit aufgehobenen EU-Sanktionen gegen Belarus müsse man prüfen, “ob das im Lichte der vergangenen Wochen und der vergangen Tage noch Gültigkeit besitzen kann”.

Sanktionen nach vorheriger friedlicher Wahl gelockert

Die EU hatte zuletzt im Februar 2016 ungeachtet der Kritik von Menschenrechtlern zahlreiche Sanktionen gegen den Machtapparat von Lukaschenko auslaufen lassen. Lediglich ein bestehendes Waffenembargo sowie Strafmaßnahmen gegen vier Weißrussen, die am Verschwinden von Regime-Gegnern beteiligt sein sollen, wurden zuletzt noch aufrechterhalten. Für Lukaschenko, 169 Gefolgsleute sowie drei Unternehmen bedeutete die EU-Entscheidung damals, dass von ihnen vorhandene Vermögen in der EU nicht mehr gesperrt werden konnten. Zudem wurden für sie sämtliche Reise- und Geschäftsbeschränkungen aufgehoben.

Eine Demonstrantin zeigt das aus ihrer Sicht realistische Ergebnis Lukaschenkos (Bild: Celestino Arce/NurPhoto via Getty Images)
Eine Demonstrantin zeigt das aus ihrer Sicht realistische Ergebnis Lukaschenkos (Bild: Celestino Arce/NurPhoto via Getty Images)

Als einen Grund für die Lockerung der Sanktionen nannte die EU damals die Freilassung politischer Gefangener sowie die gewaltfrei verlaufene Präsidentenwahl im Jahr 2015. Es lohne sich in einer solchen Situation zu testen, wie viel Bereitschaft zum Entgegenkommen von weißrussischer Seite da sei, kommentierte damals der damalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.

Video: Maas sieht in Belarus “herben Rückschlag” für die Demokratie