"Wahlen, Proteste - nichts davon bedeutet mehr etwas" - Belarussische Oppositionelle aus dem Exil

"Wahlen, Proteste - nichts davon bedeutet mehr etwas" - Belarussische Oppositionelle aus dem Exil

Fast fünf Jahre ist es mittlerweile her, dass die belarussische Hauptstadt Minsk von weiß-rot-weißen Fahnen durchflutet war. Vor fünf Jahren ist die damalige Hausfrau Swjatlana Zichanouskaja in den Wahlkampf gegen den langjährigen Präsidenten Alexander Lukaschenko bei den Präsidentschaftswahlen angetreten.

Die Wahlkommission in Minsk hatte Lukaschenko 80,1 Prozent der Stimmen zugesprochen, bei einer Wahlbeteiligung von 84,38 Prozent. Tausende Menschen waren monatelang auf die Straßen gegangen und sprachen von gefälschten Wahlen. Auch die Europäische Union erkannte das Wahlergebnis nicht an. Lukaschenko ließ die Massenproteste gewaltsam niederschlagen – mit Russlands Hilfe.

Jetzt sind wieder Wahlen in Belarus: Lukaschenko tritt zum siebten Mal an. Zichanouskaja und Schätzungen zufolge haben über 600.000 Belarusinnen und Belarusen das Land verlassen. Im Exil können sie nicht wählen.

Nach Angaben der Menschenrechtorganisation Viasna hält das belarussische Regime etwa 1.300 politische Gefangene fest. Angeblich um Proteste wie im Sommer 2020 zu verhindern, hat Lukaschenko dieses Jahr die Wahlen von August in den Januar verschoben und keine oppositionellen Kandidaten zur Wahl zugelassen.

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Die EU Kommission bezeichnete die aktuellen Wahlen bereits im Voraus als eine Farce. Eine Sprecherin sagte: "Die Wahlen in Belarus sind ein völlig undemokratisches Unterfangen. Die Wahlen sind eine totale Farce, und es sind keine Wahlen, wenn man bereits weiß, wer gewinnen wird. Von unserer Seite kann ich sagen, dass die EU das belarussische Volk weiterhin unterstützt, und wir werden auch weiterhin Druck auf das Regime ausüben."

Euronews hat mit drei belarussischen Oppositionellen im Exil gesprochen und sie gefragt, was die Wahl in ihnen auslöst.

"Wahlen, Proteste - nichts davon bedeutet mehr etwas, weil die demokratischen Institutionen nicht mehr funktionieren"

Lesia Pcholka ist Fotokünstlerin und Archivarin, sie lebt in Berlin und Bielsk Podlaski. Am Vorabend der sogenannten Wahlen hat sie die Veröffentlichung ihres Fotobuches gefeiert. In dem Buch werden Bilder von den Protesten in Belarus aus 2020 neben Bildern von den Protesten in Hongkong 2019/2020 gezeigt. Sie zieht Parallelen zwischen den beiden Protestbewegungen. Zu den sogenannten Wahlen am Sonntag sagt sie:

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"[Die 'Wahlen'] lösen überhaupt nichts in mir aus. Nach den Protesten 2020 habe ich viele Gerichtsverfahren durchgemacht - Angst, Verlust, Schmerz. Ich habe keine Erwartungen oder Hoffnungen mehr. Der Ausgang dieser Wahlen ist vorbestimmt. Nichts wird passieren und nichts wird sich ändern. Wahlen, Proteste - nichts davon bedeutet mehr etwas, weil die demokratischen Institutionen nicht mehr funktionieren. Für mich ist es nur ein Datum, und ich habe beschlossen, es mit Freunden bei der Präsentation meines Buches zu verbringen.

Ein Buch, das Fotos aus dem Jahr 2020 von den Protesten in Belarus bewahrt und eine neue Perspektive bietet, indem es Vergleiche mit den Protesten in Hongkong zieht. Ich bin froh, dass es mir gelungen ist, dieses Kapitel abzuschließen und ein visuelles Dokument zu bewahren. Und ich bin froh, dass es vor der neuen Wahlperiode erschienen ist - vielleicht ist das Datum nur so wichtig."

Lesia Pcholka präsentiert ihr Buch "Descent into the Marsh" am 25. Januar 2025
Lesia Pcholka präsentiert ihr Buch "Descent into the Marsh" am 25. Januar 2025 - Anne Frieda Müller

Auf die Frage, ob sich etwas verändert oder sogar verschlechtert nach den Wahlen schreibt Pcholka:

"Wahlen in totalitären und autoritären Ländern sind keine Wahlen - sie sind ein Ritual, das nur wiederholt wird, um zu zeigen, dass sich nichts ändert. Dies werden die siebten Präsidentschaftswahlen sein.

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Die siebte! Kann man sich das vorstellen? Und nichts hat sich je geändert. Belarus hat noch nie eine Demokratie erlebt, was könnte sich also jetzt ändern? Wird es ein bisschen schlimmer oder normal schlimmer?"

"Lukaschenko hat nicht nur die Macht an sich gerissen - er hält sein Volk als Geisel"

Andrei Gnyot ist belarussischer Journalist, Aktivist und Werbe-Regisseur. Mehr als ein Jahr war er inhaftiert und im Hausarrest in Serbien. Er wurde wegen angeblicher Steuerhinterziehung festgenommen, er sollte nach Belarus ausgeliefert werden.

Gnyot war maßgeblich an den Protesten 2020 beteiligt. Sein Team geht davon aus, dass das Lukaschenko-Regime alle, die 2020 protestiert haben, festnehmen will.

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Im November vergangenen Jahres konnte er nach Ablaufen seiner Haft Serbien verlassen. Der Aktivist lebte kurze Zeit in Berlin bis sein Aufenthaltstitel ablief, politisches Asyl erhielt er in Deutschland nicht. Jetzt wartet er auf eine Antwort der polnischen Behörden.

Andrei Gnyot in seiner Wohnung in Belgrad, wo er unter Hausarrest festsaß
Andrei Gnyot in seiner Wohnung in Belgrad, wo er unter Hausarrest festsaß - Privat

Er bittet die Wahlen nicht als solche zu bezeichnen. "Alle Teilnehmer sind Spielverderber, die Lukaschenkos Regime offen unterstützen. Von welcher Wahl kann man überhaupt sprechen, wenn sie alle gleich sind?"

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Er fühlt vor allem Wut: "Wut - weil jemand noch an die Existenz einer Wahl in Belarus glaubt. Verbitterung - weil Lukaschenko versucht, das Fehlen von Wahlmöglichkeiten als Wahl zu bezeichnen. Und Unwillen, darüber zu diskutieren - weil es unmöglich ist, über etwas zu sprechen, das nicht existiert."

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Er sagt, die "Wahlen" können die Lage in Belarus noch verschlimmern, "wenn Europa und die zivilisierte Welt sich täuschen lassen und sie für den Anschein von Wahlen oder einer Demonstration des Volkswillens halten, was nicht der Fall ist. Lukaschenko hat nicht nur die Macht an sich gerissen - er hält sein Volk als Geisel.

Mehr als tausend politische Gefangene leben unter höllischen Bedingungen. Zehntausende werden gefoltert, und Millionen Belarusen leben in Angst: Sie haben Angst zu sprechen, Angst, zu telefonieren, Angst, auch nur laut zu denken."

Gnyot warnt davor, diese "Wahlen" als solche anzuerkennen: "Wenn die Welt diese 'Wahlen' anerkennt, wird dies nur die Diktatur stärken, die Unterdrückung im Lande erhöhen und Lukaschenkos Einfluss nach außen vergrößern. Wir dürfen nicht zulassen, dass der Diktator diese Verhöhnung Europas und der demokratischen Werte fortsetzt - denn die Belarusen zahlen einen schrecklichen Preis dafür."

"Diese Wahlen wirken wie eine Verhöhnung des Landes und der Menschen, die vor fünf Jahren einen anderen Weg gewählt haben"

Es ist die erste Wahl seit den Protesten 2020. Der in Berlin lebende und arbeitende belarussische Künstler Uladzimir Hramovich erklärt, was das in ihm auslöst:

"Natürlich hat mich diese Wahl aufgewühlt und etwas in mir ausgelöst. Nach der letzten Wahl im Jahr 2020 hat sich unser Leben komplett verändert, ich musste das Land verlassen und war im Gefängnis. Und wir dachten, dass wir in ein paar Monaten oder einem halben Jahr zurückkommen würden, aber nun sind es fast vier Jahre, dir wir im Exil leben.

Uladzimir Hramovich ist belarussicher Künstler, er lebt in Berlin
Uladzimir Hramovich ist belarussicher Künstler, er lebt in Berlin - Lesia Pcholka

Und diese Wahlen mit ihrer Dekoration und dem völligen Fehlen eines auch nur angedeuteten Wettbewerbs wirken noch mehr wie eine Verhöhnung des Landes und der Menschen, die vor fünf Jahren einen anderen Weg gewählt haben. Dies ist ein wiederholter Missbrauch der Opfer."