Wahlkampf in Lüneburg - Und dann stellt Habeck seinen Zuhörern zwei essentielle Fragen

In Lüneburg holt sich Robert Habeck weiteren Rückenwind für den Wahlkampf.<span class="copyright">Niklas Golitschek</span>
In Lüneburg holt sich Robert Habeck weiteren Rückenwind für den Wahlkampf.Niklas Golitschek

Die grüne Basis feiert ihren Kanzlerkandidaten. In Lüneburg holt sich Robert Habeck weiteren Rückenwind für den Wahlkampf. Doch seine Ausführungen bleiben vage und er verfällt selbst in Muster, die er bei anderen scharf kritisiert. Eine Analyse.

Die Grünen wähnen sich auf einer Erfolgswelle. Am Freitagabend reichen die rund 550 Plätze im Lüneburger Kulturforum bei weitem nicht aus für ihren Stargast: Wirtschaftsminister und Kanzlerkandidat Robert Habeck . Lange vor Veranstaltungsbeginn kehren bereits die ersten Fußgänger, Rad- und Autofahrer um – kein Einlass mehr. Dabei staut sich der Verkehr noch immer auf den Zufahrtswegen zum Gut Wienebüttel.

Auf dem Hof versammeln sich trotz der Kälte Friedensbewegte und Naturschützer mit Bannern. Vor den Eingängen bilden sich Pulks mit Interessierten. Selbst Pressevertreter weist der Sicherheitsdienst am Eingang ab. Mit einer solchen Resonanz haben die Organisatoren offensichtlich nicht gerechnet, wollten sich bewusst zugänglich präsentieren: Weder Anmeldungen noch Eintrittskarten waren für diesen Abend erforderlich, der nun so chaotisch beginnt und für Hunderte vorzeitig endet. Ob wenigstens ein Lautsprecher aufgestellt wird, um Habecks Rede von draußen verfolgen zu können, fragt ein Besucher verzweifelt. Vergeblich.

Bei Wahlkampf-Auftritt verstrickt sich Robert Habeck in strategische Widersprüche<span class="copyright">Niklas Golitschek</span>
Bei Wahlkampf-Auftritt verstrickt sich Robert Habeck in strategische WidersprücheNiklas Golitschek

 

Habeck präsentiert „grünen Plan für Deutschland und Europa“

Für Habeck dient das Gedränge vor der Tür, das sich allmählich auflöst, als Steilvorlage. „Ich kenne das aus den letzten Jahren nur noch als Demonstration gegen etwas“, scherzt er und schickt eine Entschuldigung an diejenigen, die noch draußen in der Kälte auf einen Zugang in das Gut hoffen – dabei hatte es im Laufe des Tages durchaus auch Proteste gegen ihn und seine Politik gegeben. Für den Spitzenkandidaten ein Zeichen für Zuspruch oder wenigstens Interesse an grüner Politik. Kurz nachdem die Union ihre „Agenda 2030“ vorgestellt hat, präsentiert Habeck den „grünen Plan für Deutschland und Europa“.

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Doch während der Wirtschaftsminister viel von Mut und Zuversicht predigt, bedient er sich selbst der Methoden, die er im nächsten Atemzug so lautstark anprangert. Dieses Muster zieht sich durch gleich mehrere Abschnitte seines fast einstündigen Auftritts in Lüneburg.#

Habeck kritisiert Populismus - und verbreitet selber Endzeitstimmung

Anschaulich demonstriert Habeck das mit seiner Kritik am Populismus. „Man muss verstehen, dass sich der Populismus nicht aus einem Problem speist, sondern eine Methode ist“, sagt er einleitend. Ziel sei viel mehr, ein Problem so zuzuspitzen, dass eine Debatte und in der Folge die Lösungssuche unmöglich würden. Rechtspopulisten streuten dann gezielt Zweifel an der liberalen Demokratie und propagierten starke Führungsfiguren, weniger Vielfalt und mehr identitäre Gesellschaften: „Das ist der radikale Angriff auf die Demokratie, den wir im Moment erleben!“

Habeck präsentierte in Lüneburg seinen „grünen Plan für Deutschland und Europa“.<span class="copyright">Niklas Golitschek</span>
Habeck präsentierte in Lüneburg seinen „grünen Plan für Deutschland und Europa“.Niklas Golitschek

 

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Nur wenige Minuten zuvor verbreitet der gleiche Redner noch selbst eine Endzeitstimmung. Zunächst beschwört er eine „fundamentale Auseinandersetzung“ zwischen liberalen Demokratien und autoritären, autokratischen und rechtsradikalen Regierungen als „die definierende Frage unserer Zeit“. Um dann den Klimaschutz beziehungsweise die Erderwärmung dort einzubetten und die Geschäftsinteressen von Öl- und Gasunternehmen mit autokratischen, kleptokratischen Regimen „von Venezuela bis Russland“ gegenüberzustellen. „Wenn wir dort versagen, werden wir historisch versagen“, sagt Habeck – und er wolle nicht auf der „falschen Seite der Geschichte“ stehen.

In der Zukunft würden sich rückblickend zwei entscheidende Fragen stellen:

  • „Wo hast du gestanden, als der Angriff der Autokraten auf die Demokratie stattgefunden hat?“

  • „Wo hast du gestanden, als es darum ging, deinen Beitrag zu leisten, die globale Erderwärmung einzudämmen.“

Habeck verstrickt sich in strategische Widersprüche

Diesem Richtkompass müsse Deutschland in sämtlichen Politikfeldern folgen, um einen Zusammenschluss an willigen Staaten anzuleiten. Doch wie er den Mut und die Zuversicht nicht nur erzeugen, sondern in Taten umsetzen will, lässt Habeck in Lüneburg weitgehend offen. Zwar erinnert er daran, wie sich linke Atomkraftgegner und konservative Landwirte zusammenschlossen, um in einem jahrzehntelangen Kampf die Bundesrepublik von einem Atommüll-Endlager im Wendland abzubringen. Wie er diese Landwirte nun für eine klimafreundliche und umweltverträgliche Wirtschaft gewinnen will, sagt er jedoch nicht.

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Genauso vage bis vergessen bleibt die eigene Bilanz in Regierungsverantwortung. Habeck rühmt sich für den vorangetriebenen Ausbau der Erneuerbaren Energien. „Nachdem wir den Strom sauber gemacht haben – jetzt machen wir ihn günstig“, sagt er. Mit einem Anteil von 63 Prozent aus Erneuerbaren Energien im Vorjahr war das Land von einer komplett sauberen Stromerzeugung noch weit entfernt. Die Dunkelflaute im Dezember weckte erneut Sorgen vor einer drohenden Preisexplosion . Zumal jede saubere Energieversorgung vor Kritik gewahrt bleibt, wenn sie zuerst günstig ist – und verfügbar.

Ganz zu schweigen von Lützerath, das der Wirtschaftsminister dem Kohleabbau opferte, oder den LNG-Terminals etwa vor Rügen mit deutlicher Kritik an der Umweltzerstörung bei fragwürdigem Nutzen. So viel zum Beitrag, die globale Erderwärmung einzudämmen. Auch Habecks Wasserstoff-Deal mit Katar dient wohl kaum der Förderung liberaler Demokratien.

Habeck: „Das Wesen der Demokratie ist, dass Macht begrenzt ist“

Als Erfolg der scheidenden Regierung präsentiert der Wirtschaftsminister dann lieber das Deutschland-Ticket und wirbt dafür, es bei „ungefähr 49 Euro“ zu halten. Doch dieses ungefähr ist mit dem Jahreswechsel bereits um 18,3 Prozent teurer geworden und kostet nun 58 Euro . Da hilft es kaum, wenn Habeck den Lüneburgern von autonomen Kleinbussen vorschwärmt. Die könnten irgendwann in der Zukunft auch den ländlichen Raum verbinden. Das Verkehrschaos rund um das Gut Wienebüttel zeigt die aktuellen Strukturschwächen: Der letzte reguläre Bus fährt unter der Woche um 21:20 Uhr zurück nach Lüneburg – und wäre bei der Besuchermasse wohl noch überfüllter gewesen als das Kulturforum. Danach verkehrt nur noch das anmeldepflichtige Anrufsammeltaxi.

Die grüne Basis feiert ihren Kanzlerkandidaten Robert Habeck.<span class="copyright">Niklas Golitschek</span>
Die grüne Basis feiert ihren Kanzlerkandidaten Robert Habeck.Niklas Golitschek

 

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Ein Problem ohne konkrete Lösung präsentiert Habeck mit seiner Analyse der Sozialen Medien. Facebook, X/Twitter und Co. seien kein öffentlicher Raum, in dem gewisse Regeln gälten, oder Infrastrukturen des Gemeinwesens. „Es sind hochkommerzielle Plattformen“, sagt er, gesteuert von chinesischen Rechenzentren oder rechtsradikalen Intelligenzen von Milliardären ohne Rücksicht auf Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Menschen.

Deshalb gelte es, Transparenz zu schaffen und die Logiken offenzulegen. „Das Wesen der Demokratie ist, dass Macht begrenzt ist“, unterstreicht der Wirtschaftsminister. Freiheit dürfe nicht mit Regellosigkeit verwechselt werden: „Freiheit ohne Regeln führt am Ende zum Recht des Stärkeren, und das Recht des Stärkeren ist nicht das, was Demokratie versprochen hat. Das ist Autokratie!“

Kanzlerkandidat Habeck mit Frontalangriff gegen Fernsehsender

Wie der Kanzlerkandidat diese Macht begrenzen will, bleibt jedoch offen. Stattdessen fordert er Investitionen in das Gemeinwesen, in analoge, öffentliche Räume als Begegnungsstätten ohne Selektion durch Algorithmen. „Wir haben eine massive Schuld aufgeladen“, kritisiert er die große Koalition als Vorgängerregierung. Deutschland habe durch die Schuldenbremse zwar den Haushalt ausgeglichen, jedoch zulasten der Attraktivität des Landes, seiner Wettbewerbsfähigkeit und der demokratischen Robustheit.

Angesichts der maroden Infrastruktur und der äußeren Bedrohungen müsse hinterfragt werden, ob die einst beschlossenen Gesetze noch zeitgemäß seien. „Ich bin bereit, darüber zu streiten, welche Regeln richtig sind“, sagt er vermeintlich aufgeschlossen.

Zum Frontalangriff holt er deshalb gegen die Fernsehsender aus, die ihm eine TV-Debatte mit den Spitzenkandidaten von SPD und CDU, Olaf Scholz und Friedrich Merz, verwehren. „Deutschland wird die falsche Bundestagswahl haben, die falsche Abstimmung“, poltert Habeck gegen das auf zwei Kandidaten zugespitzte Format; noch bevor der Wahlkampf richtig begonnen habe.

Gelegen kommt ihm dabei das jüngste ZDF-Politbarometer, das die Grünen mit 15 Prozent inzwischen vor der SPD mit 14 Prozent sieht. Als bevorzugter Bundeskanzler liegt Habeck hier mit 27 Prozent nun gleichauf mit Merz, weit vor AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel und Bundeskanzler Scholz.

Keine Vision: Habeck lehnt „Agenda 2030“ der Union ab

Die Optionen für Koalitionen will sich Habeck sichtlich offenhalten. Umso schärfer kritisiert er deshalb CSU-Chef Markus Söder und dessen Wahlkampf gegen die Grünen . Die Unterschiede zwischen der demokratischen Mitte dürften nicht größer werden als der zu rechtsradikalen und rechtspopulistischen Parteien; Österreich nennt er dafür als mahnendes Beispiel.

Wenn Söder nun eine Koalition mit den Grünen ausschließe, führe das zu nur zwei Optionen: „Entweder dem Bruch des eigenen Wortes oder zur Regierungsunfähigkeit danach in Deutschland.“ Eine Neuauflage der großen Koalition kommt dabei nicht in Betracht, ebenso wenig eine Reflexion zum Scheitern der eigenen Regierung.

An der von ihm selbst geforderten Bündnisfähigkeit als bestes Mittel gegen Populismus lässt Habeck anschließend im ZDF-Interview Zweifel aufkommen. Die Agenda 2030 der Union lehnt er kurzerhand als nicht gegenfinanziert ab: „Das kann man nicht ernsthaft diskutieren.“ Zudem dürfe das Sozialsystem nicht abgeschafft werden. Gleichzeitig lässt er ein Finanzierungskonzept für seine Vision vermissen.

Trotz der Widersprüche und Lücken verfängt Habecks Auftritt im Publikum. Mit kräftigem Applaus und Jubel verabschiedet ihn seine Gefolgschaft in Lüneburg und strömt für Selfie-Fotos zur Absperrung und beflügelt den Hype um ihren Kandidaten, für den das Kanzleramt nach wie vor in weiter Ferne steht.

Als der Wirtschaftsminister noch spontan ins Gespräch mit einer Erzieherin einsteigt, geraten umstehende Besucher ins Schwärmen. „Das finde ich grandios. Die reden richtig!“, sagt eine im Pulk erstaunt. Am Ausgang ist eine andere Jugendliche deutlich frustrierter. Auch sie wollte ein Foto mit dem Grünen-Kanzlerkandidaten. „Ich durfte nicht durch“, seufzt sie. Immerhin hatte sie es in das Kulturforum geschafft.