„Ich war schockiert“ - Lindner-Vertraute berichtet, was kurz vor Ampel-Beben hinter den Kulissen geschah

Die Ampel ist zerbrochen.<span class="copyright">Michael Kappeler/dpa</span>
Die Ampel ist zerbrochen.Michael Kappeler/dpa

Die Ampel-Regierung ist Geschichte. Katja Hessel ist FDP-Vorsitzende in Bayern und war Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium von Christian Lindner. Im Interview erzählt sie, wie sie den Tag des Koalitionsendes erlebt hat.

FOCUS online: Frau Hessel, Sie waren bis vor wenigen Tagen Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium. Die Ampel hat sich getrennt. Wie geht es Ihnen mit dem Beziehungsende?

Katja Hessel: Wahrscheinlich ist es wie bei jeder Beziehung, die zum Schluss sehr schwierig war – es ist ein Stück Wehmut dabei, aber auch Erleichterung, dass die Fronten geklärt sind und jetzt jeder für sich weitermachen kann.

So lange ist die Trennung noch gar nicht her. Gab es in den Tagen vor dem Ampel-Bruch Anzeichen, dass es dieses Mal wirklich aus ist? Streit kam in den vergangenen Monaten ja immer wieder vor.

Hessel: Wir wussten seit Langem, dass es nicht gut läuft mit den Ampel-Partnern. Den „Herbst der Entscheidungen“ hat Christian Lindner nicht umsonst ausgerufen. Nach intensiven Diskussionen über die Wirtschaftswende, Sechs-Augen-Gesprächen zwischen Habeck, Scholz und Lindner, kristallisierte sich immer mehr heraus, dass eine weitere Zusammenarbeit schwierig werden würde. Oder besser gesagt: dass sich die Zusammenarbeit auf ein Ende zubewegt.

Wie war die Lage Anfang vergangener Woche im Bundesfinanzministerium? Von Montag bis Mittwoch, also bis zum Ampel-Aus.

Hessel: Ganz normal. Wir haben gearbeitet wie immer, es gab Gesetzesvorhaben, die innerhalb der Koalition besprochen wurden. Wir – also die Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums – hatten unsere regulären Termine. Wir waren, wie man so schön sagt, dienstbereit. Es war alles normal bis Mittwochabend.

Und dann?

Hessel: Wir wussten, dass sich die Lage zuspitzt. Dass die Gesprächsrunden mit dem Bundeskanzler zäh waren. Natürlich herrschte eine gewisse Anspannung in Bezug darauf, was beim Koalitionsausschuss passieren würde. Dass irgendetwas kommt, war uns klar.

„Schockiert war ich von der Reaktion des Kanzlers“

Aber Genaueres wussten Sie nicht?

Hessel: Ich würde sagen: Wir waren vorbereitet, vorgewarnt. Vom endgültigen Bruch wussten wir aber im Vorfeld genauso wenig wie die meisten anderen Deutschen.

Waren Sie überrascht, als es dann wirklich aus war?

Hessel: Eigentlich nicht. Schockiert war ich aber von der Reaktion des Kanzlers.

Warum?

Hessel: Scholz‘ Statement war eines Bundeskanzlers unwürdig. Auch Tage später fehlt mir das Verständnis dafür, dass Deutschlands Regierungschef solche Stellungnahmen abgibt.

Sie klingen sauer.

Hessel: Fassungslos trifft es besser. Scholz hat Lindner als Egoisten dargestellt, als jemanden, dem man nicht mehr vertrauen kann. Das stört mich massiv. Ein Bundeskanzler, der die Koalition mitplatzen lässt und die Schuld allein einem anderen zuschiebt. Scholz hat die Dinge meiner Meinung nach nicht so wiedergegeben, wie sie waren. Ich sehe die eigentlichen Bremser woanders.

Nämlich wo?

Hessel: In meinem Bereich, im Finanzressort, ist ein großer Teil der Gesetzesvorhaben an den Grünen gescheitert.

Das müssen Sie genauer erklären.

Hessel: Es gibt zum Beispiel zwei Gesetze – das Finanzkriminalitätsbekämpfungsgesetz und das Finanzmarktdigitalisierungsgesetz – , die es einfach nicht auf die Tagesordnung im Bundestag geschafft haben. Wegen der Grünen. Dabei geht es um wichtige Verbraucherschutzthemen. Dass diese Gesetze so lange in der Pipeline waren, hat uns als Koalition blamiert und dazu gezwungen, Vertragsstrafen zu riskieren.

Katja Hessel (FDP).<span class="copyright">James Zabel</span>
Katja Hessel (FDP).James Zabel

„Das war doch eine reine Provokation“

Was haben die Grünen denn genau gemacht?

Hessel: Beiden Vorhaben wollten sie aus dem Nichts heraus nicht mehr zustimmen. Ich vermute, dahinter steckte Groll und Trotz - weil die Partei andere Projekte nicht durch den Bundestag bekommen hat, zum Beispiel die Kindergrundsicherung.

Zurück zu den Stunden vor dem Ampel-Aus. Subventionen für Energieunternehmen, ein neues Hilfspaket für die Automobilindustrie, die Aufstockung der Ukraine-Hilfen: Was sagen Sie zu den Ideen, die Scholz dem Bundesfinanzminister unterbreitet hat?

Hessel: Das war doch eine reine Provokation. Im Koalitionsvertrag steht: Wir halten die Vorgaben der Schuldenbremse ein. Der Bundeskanzler hat Christian Lindner aufgefordert, die Schuldenbremse auszusetzen und den Schritt mit einer Notlage zu begründen. Das wäre in meinen Augen verfassungswidrig gewesen.

Ich halte Olaf Scholz für so informiert, dass er beim Thema Notlage die engen Grenzen kennt, die uns ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November 2023 gesetzt hat.

Heißt: Sie finden Lindners Veto richtig.

Hessel: Ohne Wenn und Aber. Christian Lindner hat seine Überzeugungen über sein Amt gestellt und zum Bundeskanzler gesagt: Bevor ich die Schuldenbremse reißen und einen verfassungswidrigen Haushalt aufstellen muss, werde ich lieber entlassen.

Haben sich Experten im Bundesfinanzministerium denn nochmal genauer angesehen, ob Scholz‘ Vorschläge verfassungswidrig sind?

Hessel: Olaf Scholz hat uns in den Verhandlungen dazu keine Gelegenheit gegeben. Und nachdem das Ministerium am Mittwochabend mit der Entlassung des Ministers konfrontiert war, gab es keinen Anlass mehr für Prüfungen.

Langzeit-Beziehungen leben von gegenseitigen Zugeständnissen. Der FDP wird jetzt mangelnde Kompromissbereitschaft vorgeworfen.

Hessel: Wir sind drei Jahre lang für dieses Land Kompromisse eingegangen. Drei Jahre lang. Die Ampel-Koalition ist nicht an der FDP gescheitert. Wir haben viele Zugeständnisse gemacht, die für uns schmerzhaft waren, damit diese Regierung funktionieren kann.

„Der Wahlkampf fängt jetzt erst an“

Was waren die schmerzhaftesten?

Hessel: Der schmerzhafteste Kompromiss, nicht nur für die FDP, sondern für das ganze Land, war wahrscheinlich das Heizungsgesetz. Was am Ende dabei herausgekommen ist, war für uns zwar in Ordnung. Aber der Weg dahin nicht. Einen anderen Kompromiss ist die FDP beim Bürgergeld eingegangen. Wären wir hier beharrlicher gewesen, hätte es Verschärfungen gegeben.

Beim Ampel-Aus gibt es zwei Interpretationsmöglichkeiten: Die FDP als die Partei, die uns von der zerstrittenen Bundesregierung erlöst hat. Oder die FDP als Partei der Deserteure.

Hessel: Wir sind nicht ausgestiegen, wir sind rausgeschmissen worden. Ich halte es für unterkomplex, die Schuld am Scheitern allein bei der FDP zu suchen. Außerdem: Dass es jetzt einen Neustart gibt, ist gut. Die geopolitische Lage hat sich verändert, auch mit Blick auf die US-Wahl. Es war in meinen Augen wichtig, diese Zitterpartie, die wir seit Monaten erleben, zu beenden und gestärkt – also mit einer neuen Regierung – daraus hervorzugehen.

CDU-Chef Friedrich Merz pocht darauf, dass Scholz die Vertrauensfrage schon kommenden Mittwoch stellt. Finden Sie das richtig?

Hessel: Scholz sollte sie so schnell wie möglich stellen. Nicht erst Mitte Januar, wie er es anfangs angekündigt hatte. Dafür sind die Probleme, die wir haben, zu groß.

Welche meinen Sie genau?

Hessel: Unsere lahmende Wirtschaft braucht dringend zukunftsfähige Lösungen. Der Ukraine helfen nicht nur Gelder, sondern vor allem Waffen. Dann ist da noch die ganze Rententhematik. Was ich sagen will: Die Zukunftsagenda für dieses Land ist lang. Wir brauchen so bald wie möglich Neuwahlen, um endlich Klarheit über das weitere Vorgehen zu bekommen.

Auch wenn noch nicht feststeht, wann genau Neuwahlen stattfinden: Glauben Sie, der FDP wird das Ampel-Aus helfen? Umfragen sehen keine großen Veränderungen in den Zustimmungswerten, jedenfalls noch nicht.

Hessel: Der Wahlkampf fängt jetzt erst an. Und es wird ein Kampf um die besseren Ideen für die Zukunft dieses Landes werden. Ich sehe uns nach den jüngsten Entscheidungen gestärkt in den Wahlkampf gehen.

„Ich hoffe, Deutschland bekommt Scholz nicht nochmal als Kanzler“

Was machen Sie, wenn die FDP nicht in den Bundestag kommt?

Hessel: Darüber mache ich mir erst Gedanken, sollte es so weit kommen. Ich bin überzeugt davon, dass wir im nächsten Bundestag wieder eine engagierte Fraktion bilden.

Und was erwarten Sie von Olaf Scholz? Außer, dass er die Vertrauensfrage stellt und den Weg für Neuwahlen freimacht.

Hessel: Natürlich ist es Sache der SPD, wen sie als Kanzlerkandidaten aufstellt. Was mich angeht, hoffe ich, dass Deutschland Scholz nicht noch einmal als Bundeskanzler bekommt.

Alle FDP-Minister haben ihre Posten im Kabinett geräumt. Bis auf einen: Volker Wissing macht parteilos weiter. Wie kommt das bei den Liberalen an?

Hessel: Christian Lindner ist entlassen worden, Bettina Stark-Watzinger und Marco Buschmann haben um ihre Entlassung gebeten. Was Volker Wissing macht, möchte ich nicht kommentieren.

Andere Liberale haben sich aber dazu geäußert. „Für mich ist es Verrat“, sagte  Ex-Staatssekretärin im Verkehrsministerium, Daniela Kluckert, dem Sender Welt-TV am Freitag.

Hessel: Ich bin sehr stolz auf Daniela Kluckert. Sie hat um ihre Entlassung gebeten, weil sie ihr Vertrauen in Volker Wissing verloren hat. In diese Richtung geht auch die Stimmung in der Partei.

Was bedeutet das Aus der Regierung für Sie persönlich?

Hessel: Ich bin immer noch Bundestagsabgeordnete und Finanzpolitikerin, außerdem Landesvorsitzende der FDP Bayern. Wir bereiten uns jetzt in Fraktion und Partei auf Neuwahlen vor. Und bei diesen Wahlen trete ich an.

Denken Sie denn, Sie kommen nochmal zusammen mit Lindner ins Finanzministerium? Er sagte in der ZDF-Sendung „Was nun, Herr Lindner?“, er wolle seine Arbeit in der nächsten Regierung fortsetzen.

Hessel: Wir arbeiten jetzt dafür, dass Christian Lindner auch der nächsten Bundesregierung als Bundesfinanzminister angehört. Ob er mich dann erneut zu seiner Staatssekretärin berufen wird, das müssten Sie ihn fragen.

Wie würde es laufen, wenn die FDP weiter mitbestimmen darf?

Hessel: So wie wir es in unserem 18-seitigen Wirtschaftswende-Papier aufgeschrieben haben. Wir müssen jetzt zuallererst Deutschlands ökonomische Probleme lösen.