"Wann immer der BVB mich braucht, werde ich da sein"
Júlio César ist eine Legende bei Borussia Dortmund. Von 1994 bis 1999 spielte er für die Schwarz-Gelben. 1997 gewann er mit dem Klub die Champions League. In den beiden Jahren zuvor wurde der Brasilianer mit dem BVB Deutscher Meister.
2001 beendete César seine Karriere. Heute lebt der 60-Jährige in seiner Heimat. Die Borussia hat er immer noch im Herzen. Vor dem Champions-League-Spiel der Dortmunder beim AC Mailand (Champions League: AC Mailand - Borussia Dortmund, ab 21 Uhr im SPORT1-LIVETICKER) spricht César im exklusiven SPORT1-Interview über seine Zeit beim BVB und die echte Liebe zum Klub.
SPORT1: Herr César, wie geht es Ihnen und was machen Sie aktuell?
Júlio César: Mir geht es gesundheitlich gut. Ich kümmere mich um einige Immobilien von mir. Wie das als Ex-Profi so ist, bewege ich mich weiterhin jeden Tag im Business, um stets up to date zu bleiben. Ich habe nach wie vor viele Kontakte, darunter auch zu Borussia Dortmund.
SPORT1: Schauen Sie sich noch jedes Spiel des BVB an und fiebern mit?
César: Ich verfolge immer noch die Bundesliga mit großem Interesse, besonders natürlich Borussia Dortmund. Und natürlich war ich sehr traurig, als ich den bitteren Moment am letzten Spieltag der vergangenen Saison erleben musste. Das war so bitter, aber so ist Fußball. Ich bin mir sicher, dass dieser Schockmoment inzwischen aus den Köpfen verschwunden ist. Ich hoffe, dass der Verein irgendwann dort steht, wo er sich selbst sieht - nämlich ganz oben.
„Solche Erlebnisse vergisst du nicht so schnell“
SPORT1: Man hat aber den Eindruck, dass dieses traumatische Erlebnis immer noch in den Köpfen steckt.
César: Das Spiel gegen Mainz wird sicherlich in den Köpfen der Spieler bleiben. Marco Reus hat oft betont, wie schwer es zu verkraften war. Solche Erlebnisse vergisst du nicht so schnell, da sie wirklich extrem waren. Dennoch hoffe ich, dass mit der Zeit alles besser wird. Die Zeit heilt bekanntlich alle Wunden.
SPORT1: Aktuell ist der BVB Tabellenvierter. Gegen Borussia Mönchengladbach konnte man 4:2 gewinnen, doch lag man 0:2 zurück und hat wieder mal eine Anfangsphase verschlafen. Man hatte in dieser Saison den Eindruck, dass der BVB nicht da ist, wenn es drauf ankommt.
César: Ich habe das Spiel zwar nicht gesehen, freue mich jedoch sehr über das Ergebnis. Das zeigt, dass die Mannschaft Qualität hat. In der Bundesliga gibt es vier bis fünf Vereine, die sehr gute Arbeit leisten, besonders der VfB Stuttgart und Bayer Leverkusen spielen eine beeindruckende Saison. Der BVB hat in den vergangenen Jahren einige wichtige Spieler verloren. Die Mannschaft muss dauerhaft wieder in die Spur finden, und das gelingt nur durch kontinuierlich souveräne Auftritte. Am Ende zählen nur die Ergebnisse.
„Hier ist der FC Bayern den Dortmundern noch weit voraus“
SPORT1: Warum gelingt es dem BVB denn nicht, dem FC Bayern dauerhaft Paroli zu bieten? Woran mangelt es?
César: Dem BVB fehlt die nötige Mentalität und Erfahrung. Hier ist der FC Bayern den Dortmundern noch weit voraus. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass Bayern Spieler kauft, um zu gewinnen, während der BVB Spieler kauft, um sie später zu verkaufen.
SPORT1: Sie sind mit Sebastian Kehl befreundet. Wie bewerten Sie seine Arbeit nach der Ära Zorc?
César: Es ist klar, dass Michael Zorc (ehemaliger Sportdirektor des BVB und Vorgänger von Kehl, d. Red.) Sebastian viele Jahre an Erfahrung voraus ist. Dennoch hat Sebastian bisher alles prima hinbekommen; das war sicher nicht einfach. Er liefert gute Arbeit ab. Leider hängt Sebastian noch die verpasste Meisterschaft nach. Wenn das anders ausgegangen wäre, hätte er seinen ersten Titel in der neuen Funktion, und wir würden ganz anders darüber sprechen.
SPORT1: Anlässlich Ihres 60. Geburtstags in diesem Jahr gab es auf der BVB-Homepage einen Text mit der Überschrift „Weltklasse gepaart mit Eleganz“. Ist das eine passende Beschreibung für Ihre Karriere?
César: Das ist sehr nett. Borussia war und ist für mich ein außergewöhnlicher Klub. Eines steht fest und wird immer so sein: Der BVB hat einen ganz großen Platz in meinem Herzen. Warum? Weil in Deutschland immer anerkannt wird, was ehemalige Spieler für diesen Verein geleistet haben, und in Dortmunder erst recht. Das ist ein großer Unterschied zu Brasilien, wo Erfolge aus der Vergangenheit sehr schnell vergessen werden. Borussia Dortmund ist wie meine zweite Haut.
César über den BVB: „Echte Liebe passt bei mir“
SPORT1: Eine schöne Liebeserklärung…
César: Manchmal wünschte ich mir, dass ich noch mehr helfen könnte. Wann immer der BVB mich braucht, werde ich da sein. Wenn Borussia wieder dahin will, wo man früher war, müssen sie wieder die richtigen brasilianischen Spieler verpflichten. (lacht) Echte Liebe passt bei mir. Das ist das richtige Motto für mich.
SPORT1: Sie galten als Mode-Fan und waren auch gerne mal im schicken Anzug mit goldener Uhr unterwegs. Was sagen zur heutigen Fußballer-Generation?
César: Diese Anzüge habe ich alle noch in meinem Kleiderschrank in Brasilien. Ich trug sie damals gerne, und sie passen mir immer noch. Jede Sportart unterliegt einer Entwicklung, und es gibt Grundprinzipien für Fußballspieler. Für mich steht an erster Stelle der Respekt, und an zweiter Stelle die Technik. Viele Spieler haben heutzutage nicht mehr die Grundlagen, um in der Bundesliga zu spielen. Das ist ein Unterschied zu meiner Zeit.
SPORT1: Beim FC Bayern hat unlängst Serge Gnabry für Aufsehen gesorgt, weil er während der Saison zur Fashion Week in Paris geflogen ist. Sie haben sich auch die eine oder andere Auszeit genommen, oder?
César: (lacht) Ich habe die Aufregung um Gnabry nicht verstanden. Ich habe viele gute Sachen gemacht, aber auch viele schlechte. Damals bin ich öfter etwas spät aus dem Urlaub nach Dortmund zurückgekommen. Ich habe zwar viel Geld in die Mannschaftskasse bezahlt, bin aber für so manche Dummheit eingestanden und immer respektvoll geblieben.
Sammer? „Wir sind richtig aneinandergeraten“
SPORT1: Sie haben Seite an Seite mit Matthias Sammer gespielt. Er hat in Deutschland den Spitznamen Motzki. Wie haben Sie ihn als Mitspieler erlebt, musste man in der Kabine Angst vor ihm haben?
César: Matthias kam damals zu meiner Zeit von Inter Mailand zum BVB. Er spielte im Mittelfeld zwischen Jürgen Kohler und mir. Dort hat er sich zu einem der besten Spieler in Europa entwickelt. Ich empfand Matthias sportlich immer als einen außergewöhnlichen Profi. Ich hatte mit Sammer nie ein Problem während seiner gesamten Zeit bei Borussia Dortmund. Wir haben uns gestritten und sind auch mal richtig aneinandergeraten, aber man musste in der Kabine keine Angst vor Sammer haben. Es ging immer um den Erfolg der Mannschaft.
SPORT1: Gibt es noch regelmäßige Treffen mit ehemaligen BVB-Kollegen?
César: Wir treffen uns gelegentlich im Rahmen von Feiern oder Legenden-Treffen. Den meisten Kontakt habe ich noch zu Stefan Reuter, Karlheinz Riedle und Paulo Sousa. Ich würde gerne häufiger mit den Jungs von damals Kontakt haben, aber aufgrund der sprachlichen Barriere ist das natürlich schwierig.
SPORT1: Wer war der beste Mitspieler, den sie je hatten?
César: Jürgen Kohler. Mit ihm habe ich auch bei Juventus Turin zusammen gespielt. Er war ein unfassbarer Abwehrspieler. Und ein richtig guter Typ.
SPORT1: Und wer war von den Ex-Kollegen ein echtes Feierbiest?
César: Mit Roberto Baggio, Gianluca Vialli, Paulo Sousa habe ich zu meiner Zeit in Italien die meisten Feste gefeiert. Es war eine wilde und schöne Zeit. Ich erinnere mich auch noch gerne an 1995 nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft mit Borussia Dortmund. Das war die wildeste Party mit dem BVB.
SPORT1: Vor vier Jahren haben sie in einem Youtube-Video mal ihre BVB-Traumelf zusammengestellt. Welcher der aktuellen Spieler hätte die größten Chancen, es ins Team zu schaffen? Gibt es überhaupt jemanden?
César: Das klingt etwas hart, aber ich glaube aktuell nicht, dass es jemanden gibt.