Warnsignale ignoriert - Bahn-Experte: „Die Verschlechterung der Bahn-Infrastruktur war lange bekannt“
Seit 2023 ist die Eisenbahninfrastruktur nach Angabe des DB Konzerns marode, obwohl in den Jahren vorher immer eine gute Qualität berichtet und vom Bund bestätigt wurde, so Bahn-Experte Christian Böttger. Trotz klarer Warnsignale wurde die Dringlichkeit des Problems erst erkannt, als die Deutsche Bahn es selbst öffentlich machte.
Dauerhafter Verfall durch mangelnde Instandhaltung
Die Errichtung von Verkehrsinfrastruktur erfordert hohe Investitionen, sie wird über Jahrzehnte genutzt und muss regelmäßig instandgehalten und erneuert werden. Wenn diese Instandhaltung und Erneuerung nicht ausreichend durchgeführt werden, verfällt die Infrastruktur. Dieser Prozess findet aber sehr langsam statt. Die Kürzung von Instandhaltung und Erneuerung über ein oder fünf Jahre fällt kaum auf. Wenn aber dauerhaft gekürzt wird, verfällt die Infrastruktur langsam.
Diese generelle Regel ist auch bei der Eisenbahn in Deutschland zu beobachten: Der Verfall der Eisenbahninfrastruktur in Deutschland nicht plötzlich und überraschend geschehen, sondern Ergebnis einer langjährigen Fehlsteuerung. Weder die DB AG selbst noch das Ministerium oder das für Aufsicht zuständige Eisenbahnbundesamt haben reagiert, obwohl es durchaus Warnsignale gab.
Ersatzinvestitionen und die Rolle der LuFV
Die Annahme der Bahnreform bestand darin, dass die Erlöse, die Trassen- und Stationspreise, ausreichen würden, um Betrieb, Instandhaltung und Erneuerung (Ersatzinvestitionen) zu finanzieren. Der Neubau von Strecken wurde vom Bund finanziert. In der Ära Mehdorn klagte die DB AG, sie könne die Ersatzinvestitionen nicht tragen und brauche Hilfe. So finanzierte der Bund seit 2008 Ersatzinvestitionen der DB-Infrastruktursparten auf Basis eines Vertrages, der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV).
Im Gegenzug verpflichtete sich die DB AG, bestimmte Qualitätskennzahlen zu erfüllen. Diese betreffen insbesondere die Anzahl und die Folgen von Störungen, zudem wird die Altersentwicklung der Infrastruktur berichtet. Es wurden Zielwerte und „Sanktionen“ vereinbart, allerdings mit vielen Ausnahmen. Die DB AG wurde verpflichtet, jährlich einen „Infrastrukturzustandsbericht“ vorzulegen, der vom Eisenbahnbundesamt detailliert geprüft wird.
Darüber hinaus führt das Verkehrsministerium eigene Messungen durch – es gibt jedenfalls seit 2014 eine Haushaltsposition dafür, von Aktivitäten oder Ergebnissen dieser Messungen ist öffentlich nichts bekannt.
Kritische Stimmen und ignorierte Warnungen
Es gab zu dem Vertragsentwurf – und erneut bei der Vertragsfortschreibung – Expertenanhörungen im Verkehrs- und im Haushaltausschuss des Bundestages.
Die Experten kritisierten den Entwurf recht einhellig, Messmethoden und Zielwerte seien deutlich zu unscharf. Trotzdem wurde die LuFV verabschiedet, inzwischen hat Bahnchef Lutz die damaligen Kritikpunkte bestätigt – in einer normalen AG wäre es wohl kaum vorstellbar, dass sich ein Vorstand ungestraft öffentlich damit brüsten würde, seinen Eigentümer ausgetrickst zu haben.
In den letzten Jahren wurde die Fehlsteuerung immer deutlicher: Die DB erreichte stets die in der LuFV vereinbarten Qualitätsziele, während Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit des Netzes abnahmen und das Anlagenalter stetig anstieg. Anfang 2023 stellte die DB Netz AG jetzt einen mit anderer Methodik erstellten „Netzzustandsbericht“ vor, in dem die Situation der Infrastruktur sehr kritisch eingeschätzt wird.
Öffentliches Verschleiern des wahren Zustands
Die seit 2008 jährlich von der DB erstellten Infrastrukturzustandsberichte berichteten stets von einem soliden Zustand der Infrastruktur. Das Eisenbahnbundesamt hat die Berichte geprüft und abgenommen, auch die Messungen das Verkehrsministeriums haben nie Probleme erkannt oder öffentlich benannt. Dies ermöglicht der DB AG jetzt das Narrativ, der schlechte Zustand der Infrastruktur sei eine neue Erkenntnis, die vor 2023 nicht sichtbar gewesen sei.
Dies trifft nicht zu, die Verschlechterung des Infrastrukturzustands ist seit Jahren offensichtlich und bekannt. Die Alterung der Infrastruktur ist im Zustandsbericht dokumentiert, ist aber keine pönalisierte Kennzahl. Der Netzbeirat hat in einigen seiner jährlichen Berichte auf den kritischen Zustand hingewiesen, auch der Bundesrechnungshof hat Warnungen ausgesprochen. Schließlich hat das Ministerium selbst 2020 und 2021 in Beantwortung Kleiner Anfragen steigende Rückstände bei den Ersatzinvestitionen bestätigt.
Fehlende Konsequenzen trotz offensichtlicher Krise
Die Erkenntnisse führten, soweit öffentlich bekannt, bis Anfang 2023 weder im Bundestag noch im Ministerium zu besonderen Aktivitäten. Das Thema wurde erst breit diskutiert, als die DB AG selbst die Probleme öffentlich machte.
Bemerkenswert ist, dass die Vorstände der DB Netz AG selbst für 2022 noch Boni erhielten, obwohl zum Beschlusszeitpunkt der dramatische, zuvor verschleierte Zustand der Infrastruktur bereits bekannt war. Trotz der Krise gibt es leider keine Bestrebungen der Politik, aus den Ursachen der Fehlsteuerung zu lernen.