Warum Böhmermanns „Schmähkritik“ nicht nur Erdogan Bauchschmerzen macht

Diplomatische Verwicklungen auf höchster Ebene, eine Krisensitzung im Kanzleramt: All das kann ein Gedicht. Das ist gut. Doch der Satiriker Jan Böhmermann hat die Kräfte seiner Worte nicht im Griff. Das ist schlecht.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Nun sind wir alle unheimlich solidarisch. Und wir wissen besser Bescheid über die Unzulänglichkeiten des türkischen Rechtsstaats als über die Korruption in Gastrop-Rauxel – Jan Böhmermann sei Dank.

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Heute wird im Kanzleramt eine Task Force beraten, wie mit einem Gedicht umzugehen ist – das Außenministerium in Ankara hat die Bundesregierung in Berlin förmlich dazu aufgefordert, gegen ein paar ausgesprochene Worte vorzugehen. Die ganze Affäre, die der Satiriker Böhmermann mit seiner „Schmähkritik“ am türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan losgetreten hat, erinnert an Pferde, die vor der Apotheke kotzen: Man kann das alles kaum glauben.

Was ist passiert? Böhmermann hat dem unlustigen und autokratischen Erdogan eine Lektion erteilt. Der Staatschef zeigt nämlich gern eine dünne Haut, lässt Journalisten dutzendhaft verhaften, wenn sie ihn kritisieren oder er das von ihnen denkt. Ein beleidigter Erdogan ist ein gefährlicher Erdogan, lässt der Sultan seine Untertanen wissen. Die NDR-Satiresendung „Extra Drei“ griff sein Gebaren in einem Beitrag auf – und erhielt die erwartete und unsouveräne Reaktion Erdogan.

Dann Auftritt Böhmermann. Der derzeit genialste Satiriker in Deutschland. Einer, dessen intellektueller Witz eigentlich viele überfordert, anschubst und mitreißt. Zuerst gab er in einem Prolog kund, was in Deutschland tatsächlich verboten sei (also ein wenig Rechtskunde für Reci) und garnierte dies (man weiß ja nie) mit praktischen Beispielen. Diese gerieten derart absurd, dass die Satire hinter der Satire für jeden Esel erkennbar wurde. Aber: Böhmermann bediente sich eines Wortschatzes mit all seinen Unterkategorien aus dem Bereich des perversen Sexuallebens, der zur Standardausrüstung für die schlimmsten Stereotype über Türken gehört. Wer Türken rassistisch beleidigen will, kann jetzt Böhmermanns „Schmähkritik“ auswendig lernen.

Die Geister, die er rief

Denn Böhmermann hat die Macht seiner Worte nicht im Griff. Ab einer gewissen Zeile seines Gedichts beleidigt er nicht mehr den Satirefeind und Menschenrechtsfeind Erdogan, sondern „die“ „Gruppe“ „der“ Türken. Das ist blöd. Kurz: Was er machte, macht man nicht.

Natürlich geht es um Meinungsfreiheit. Und natürlich wäre eine Verurteilung Böhmermanns durch ein Gericht ein schlechter Witz. Der Paragraf 103 – also die Ahndung von Beleidigungen ausländischer Staatsoberhäupter – ist antiquiert und trat bisher immer nur dann auf den Plan, um über komische Konstruktionen irgendjemandem zu schaden.

Aber Böhmermann sollte über das Verletzungspotenzial seiner Worte für jene nachdenken, die er ursprünglich gar nicht treffen wollte. In diesen Tagen wird Böhmermann mit Harald Schmidt verglichen. Das ist fast eine Beleidigung für Böhmermann. Schmidt spielte mehr den Intellektuellen als er dass er einer war. Und nur jetzt, mit dieser „Schmähkritik“, rutscht Böhmermanns ansonsten feinsinniger Humor in die Schubladenzone von Schmidt oder von Stefan Raab, die immer gern mal einen gegen Minderheiten losließen; natürlich gegen Minderheiten – denn ihnen ging es immer um den billigen Applaus, und gegen die Mehrheit zu sticheln, dafür fehlte ihnen der Mut.

Der Kult wird weiter getrieben – im Positiven wie im Negativen

Natürlich ist es armselig, dass ein Verfasser einer ähnlichen „Schmähkritik“ in der Türkei ins Gefängnis wandern würde. Natürlich ist es gut, dass ein erzürnter Erdogan, wollte er tatsächlich gegen Böhmermann vorgehen, in Deutschland zu einem normalen Bürger schrumpfen würde, der eine Zivilklage anstrebt. Aber über diesen Punkt sind wir mittlerweile schon heraus.

Nun wird gerade eine Welle losgetreten. Der unvermeidliche Dieter Hallervorden hat auch gleich ein Lied gegen Erdogan gedichtet, Fotos vom Staatschef wandern so oft durchs Netz wie die von Messi und Ronaldo zusammen. Jetzt kommen sich viele unglaublich mutig und erregt vor, wenn sie gegen diesen Erdogan wettern. Damit fallen wir auf genau jene Personalisierung herein, die Erdogan mit seinem Kult um sich selbst betreibt.

All das hätte Böhmermann bedenken sollen, als er sein Gedicht niederschrieb. Aber dafür ist es vorerst zu spät. Nun muss die Satire und ihre Freiheit verteidigt werden. Also zurück auf Los.

Bilder: dpa

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