Warum ertrinken in diesem Jahr so viele Menschen?

Vergangenes Jahr sind 404 Personen bei Schwimmunfällen gestorben. Die DLRG rechnet 2018 mit einem Anstieg der Todesfälle. (Bild: Getty Images)
Vergangenes Jahr sind 404 Personen bei Schwimmunfällen gestorben. Die DLRG rechnet 2018 mit einem Anstieg der Todesfälle. (Bild: Getty Images)

Mehr als die Hälfte der Kinder in Deutschland kann nicht richtig schwimmen. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum die Badeunfälle in dieser Saison drastisch angestiegen sind. Ein Experte der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft erklärt, wo die Gefahren liegen und was im Ernstfall zu tun ist.

Deutschland wird zum Nichtschwimmerland. Mehr als die Hälfte der zehnjährigen Kinder kann nicht richtig schwimmen, bei den Erwachsenen sind es knapp 50 Prozent. Das geht aus einer aktuellen Forsa-Umfrage hervor. „In den letzten Jahren ist die Zahl der Kinder, die sich zum Schwimmunterricht krankmeldet, drastisch gestiegen“, sagt Grundschullehrer für Sport und Deutsch, Martin Herrmann*, zu Yahoo Nachrichten. „Vermutlich, weil viele Kinder es nicht können, keine Lust haben, es zu lernen und dabei fatalerweise von ihren Eltern unterstützt werden“, so der 38-Jährige.

Dabei dürfen sich seine Schüler eigentlich glücklich schätzen – das Hallenbad befindet sich nur wenige Gehminuten von der Grundschule entfernt. In Deutschland unterdessen eine Seltenheit, denn immer mehr öffentliche Schwimmbäder müssen schließen. In den vergangenen 18 Jahren ist jedes zehnte Schwimmbad geschlossen wurden. Das geht aus einer Recherche der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ hervor.

„Wenn ein Kind nicht schwimmen kann, geht es schnell um Leben und Tod“

Zwar ist es eine gesetzliche Pflicht, Grundschülern das Schwimmen beizubringen, doch in der Praxis ist das oft nicht mehr möglich. Hallenbäder sind zu weit entfernt und für den 90-minütigen Schwimmunterricht Wege von bis zu zwei Stunden auf sich zu nehmen, ist für die Lehrer schlicht nicht umsetzbar. „Es ist wichtig, dass Eltern diese Verantwortung ernst nehmen und dabei nicht alles auf die Schule abwälzen“, meint Herrmann. „Wenn ein Kind nicht schwimmen kann, geht es sehr schnell um Leben und Tod – es ist traurig, dass diese Tatsache nicht allen Eltern bewusst zu sein scheint.“

Auch, wenn Kinder im Hallenbad schon fleißig schwimmen – im Vor- und Grundschulalter sollten sie beim Baden immer begleitet werden. (Bild: Getty Images)
Auch, wenn Kinder im Hallenbad schon fleißig schwimmen – im Vor- und Grundschulalter sollten sie beim Baden immer begleitet werden. (Bild: Getty Images)

Selbst wenn Eltern den Sonntagsausflug nutzen, um mit den Kleinen an einen Badesee zu fahren, verbringen sie ihre Zeit oft anderweitig: mit dem Smartphone. So warnte die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) kürzlich vor der gefährlichen Ablenkung. „Immer mehr Eltern sind auf ihre Smartphones fixiert und schauen nicht nach links oder rechts, geschweige denn auf ihre Kinder“, sagte Peter Harzheim, Präsident des Bundesverbands.

Hintergrund: Was erhöht die Risiken zu ertrinken?

In Deutschland sind im vergangenen Jahr 404 Personen bei Schwimmunfällen gestorben, in diesem Jahr sind es bereits mehr als 300. Die Verletzung der Aufsichtspflicht von Eltern ist ein Grund, den Michael Förster, Sprecher der DLRG Bayern, nennt. Er plädiert: „Eltern sollten ihre Kinder auf keinen Fall aus den Augen lassen. Zumindest solange nicht, bis die Kinder schwimmen können und das heißt, dass sie das Jugendschwimmabzeichen Bronze gemeistert haben.“

Als weitere Risikofaktoren nennt Förster die Selbstüberschätzung, mangelnde Kenntnis der Umgebung und den Rekordsommer: Bei hohen Temperaturen draußen, können kühle Seen und Gewässer schnell zur tödlichen Falle werden: „Gerade bei den bayerischen Voralpenseen wird das leider oft außer Acht gelassen.“ Das Wasser unterscheide sich signifikant von der Lufttemperatur. „Das kann zu einem Kälteschock und dann zu einer lebensbedrohlichen Ohnmacht führen.“

Auch junge Männer bilden eine Risikogruppe

Menschen ab 65 Jahren erleiden laut Förster häufig Schwäche- und Kreislaufanfälle, weil sie ihre Kräfte falsch einschätzen. „In Bayern retten wir ca. alle drei Tage einen älteren Menschen aus dem Wasser.“ Deswegen sollten Senioren immer eine Begleitperson mitnehmen und nicht alleine schwimmen gehen.

Blitzschnelle Reaktion: Menschenkette rettet Badende vor dem Ertrinken

Eine weitere Risikogruppe sind junge Männer zwischen 18 und 25 Jahren, die Förster als „Abenteuer und Mut“-Gruppe bezeichnet. „Sie springen zum Beispiel aufgrund einer Wette von Brücken in viel zu flache Gewässer und verletzten sich an der Wirbelsäule. Oft spielt hier auch Alkohol eine Rolle.“

Die Strömungsretter der DLRG sind gründlich ausgebildet und gut ausgerüstet für den Einsatz an Flüssen. (Bild: DLRG München-Mitte)
Die Strömungsretter der DLRG sind gründlich ausgebildet und gut ausgerüstet für den Einsatz an Flüssen. (Bild: DLRG München-Mitte)

Seine Umgebung zu kennen und nicht blindlings in den See oder Bach zu springen, ist ein weiterer wichtiger Ratschlag, der sich zwar selbstverständlich anhört, den sich aber viel zu viele Schwimmer nicht zu Herzen nehmen.

Anders als im TV: Ertrinken ist ein stiller Tod

Wild um sich schlagende Menschen, die panisch nach Hilfe rufen: Fernsehen und Kino suggerieren, dass man Ertrinkende sofort erkennt. Doch das ist nicht der Fall: „Die Opfer sind meist so entkräftet, dass sie nur noch schwach mit der Hand winken können. Der Kopf ist bereits unter Wasser“, erklärt Förster. Wer auf einen hilfsbedürftigen oder ohnmächtigen Menschen aufmerksam wird, sollte helfen, „wenn er es sich zutraut“. Denn: Retter gerieten gegebenenfalls selbst in Gefahr, wenn sich das Opfer in Panik festklammere. Wer körperlich nicht in der Lage ist, zu helfen, sollte laut um Hilfe rufen oder Hilfe holen. „Wenn man es sich zutraut, kann man dem Ertrinkenden zu Hilfe kommen und ihn am besten von hinten unter den Schultern packen und durch das Wasser ziehen.“

Trockenes Ertrinken bei Kleinkindern: Was Eltern wissen müssen

Wer selbst in eine Notlage gerät, dem rät der Mitarbeiter der DLRG: „In erster Linie ruhig bleiben. Bekommt man einen Wadenkrampf, am besten das Bein strecken und die Fußspitze fassen. Und ruhig aber stetig in Richtung Ufer bewegen. Verlassen einen die Kräfte, kann man sich in der Toten-Mann-Lage schonen und auf Hilfe warten, falls man nicht selbst ans Ufer kommt.“

Die 10 Baderegeln der Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft

1. Baden Sie nur, wenn Sie sich wohlfühlen. Duschen Sie sich kühl ab, bevor Sie in das Wasser steigen.

2. Gehen Sie niemals mit vollem oder sehr leerem Magen baden.

3. Nichtschwimmer sollten nur bis zum Bauch in das Wasser gehen.

4. Rufen Sie nicht um Hilfe, wenn Sie nicht in Gefahr sind. Helfen Sie Menschen, die Ihre Hilfe benötigen.

5. Überschätzen Sie Ihre Kräfte nicht.

6. In Gewässern, auf denen Schiffe und Boote fahren, sollten Sie nicht baden.

7. Verlassen Sie bei Gewitter sofort das Wasser und suchen Sie ein festes Gebäude auf.

8. Werfen Sie keinen Abfall in das Wasser, sondern halten Sie die Gewässer sauber.

9. Aufblasbare Schwimmhilfen unterstützen nicht Ihre Sicherheit im Wasser.

10. Springen Sie nur in ein Gewässer, wenn Sie sich sicher sind, dass es frei und tief genug ist.

(* Name von der Redaktion geändert)

Im Video: Verzögertes Ertrinken – Die unbekannte tödliche Gefahr