Was taugt das neue Sexualstrafrecht, Herr Hilgers?

Heinz Hilgers (Foto: DKSB)
Heinz Hilgers (Foto: DKSB)

Seit Anfang Januar gilt in Deutschland ein neues Gesetz: Wer Kinder nackt ablichtet, um die Aufnahmen zu verkaufen oder tauschen – der macht sich strafbar. Alles in Ordnung nun? Fragen an Heinz Hilgers, den Präsidenten des Deutschen Kinderschutzbundes.

Ein Interview von Jan Rübel

Herr Hilgers, im Zuge der so genannten Edathy-Affäre wurde das Sexualstrafrecht verschärft. Ein notwendiger Schritt oder Aktionismus, der nicht hilft – wie es Kriminalpolizisten sehen?

Heinz Hilgers: Aus Sicht der Kinderrechte ist das ein notwendiger Schritt – denn er stärkt das Persönlichkeitsrecht eines jeden Kindes. Kinder können ja nicht darüber entscheiden, ob von ihnen Nacktfotos gemacht und diese veräußert werden sollen. Das Internet vergisst nichts, ein ganzes Leben können Kinder solche Fotos nicht mehr loswerden.

Ist das auch wichtiger als die Aufstockung der Polizei mit kompetentem Personal, das diesen Delikten nachgeht?


Hilgers: Nein, aber da darf auch nicht der Schwerpunkt der polizeilichen Ermittlungen liegen. Man muss an die ran, die diese Bilder produzieren oder mit ihnen handeln. Das sind die eigentlichen Verbrecher. Und da ist es ganz wichtig, dass der Staat nun endlich Geld in die Hand nimmt und mehr Polizisten dort ermitteln lässt. Auch die internationale Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden muss verbessert werden.

Wenn das Nacktbild eines Kindes zum Kauf oder Tausch im Netz auftaucht – wird das Persönlichkeitsrecht nun durch das neue Recht tatsächlich geschützt?


Hilgers: Wenn es in einer entsprechend sexualisierten Pose geschieht: ja. Allerdings haben wir vom Kinderschutzbund einen noch weitergehenden Schritt zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Kinder gefordert. Dennoch ist das Gesetz ein Schritt in die richtige Richtung. Erst die Praxis wird zeigen, was dieses Gesetz taugt.

Alle Aufnahmen, auf denen es nicht dieses Posing gibt, bleiben also unangefochten...


Hilgers: Posing ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der im Einzelfall ausgelegt werden muss. Die Bundesregierung hat sich an die Empfehlungen der EU-Kommission gehalten. Einen umfassenden Schutz der Persönlichkeitsrechte der Kinder hat sie nicht erreicht.

Was haben Sie gefordert?


Hilgers: Mit den Fotos von Kindern sollte generell nicht gehandelt werden dürfen.

Was bräuchte es noch außer neuen Gesetzen?


Hilgers: Die Kommission der Vereinten Nationen rügt Deutschland immer wieder dafür, dass die Kinderrechte noch immer nicht in das Grundgesetz aufgenommen wurden. Es wird endlich Zeit, dass die Kinderrechte in Deutschland Verfassungsrang bekommen.

Woran liegt das?


Hilgers: Einige Politiker meinen, dass Kinder erst einmal Pflichten erlernen sollen, bevor es an ihre Rechte geht.

Wer sagt denn sowas?


Hilgers: Solche Argumente kommen überwiegend aus der CDU, deren Mehrheit sich immer noch gegen eine Verfassungsänderung sperrt. Von ihrer Seite wird auch argumentiert, man solle nicht ständig das Grundgesetz ändern, oder die Kinder hätten bereits die Menschenrechte. Das reicht aber nicht. Kinder brauchen besondere Schutz- und Förderrechte, die wir Erwachsenen nicht mehr brauchen.

Für eine Grundgesetzänderung ist eine Zweidrittelmehrheit nötig...


Hilgers: Ich bin davon überzeugt, dass diese auch zustande käme, wenn man die Abgeordneten frei abstimmen lassen würde – ohne Fraktionszwang und Koalitionsarithmetik.

Sind Sie optimistisch, dass sich das langsam ändert? Immerhin hat sich die Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren schon mehr für Kinderbelange sensibilisiert.


Hilgers: Das finde ich nicht. Medien und Öffentlichkeit schrecken nur bei einigen Fällen auf. Wir haben aber in Deutschland jedes Jahr um die 150 Fälle von Gewalt und Vernachlässigung gegen Kinder mit Todesfolge. Das sind drei jede Woche. Die allermeisten Fälle bleiben also völlig unerwähnt. Die sterben still. Nach welchen Gesetzmäßigkeiten die Medien da handeln, hat sich mir noch nicht erschlossen.

Ähnelt das Interesse für Kinderrechte einer Fieberkurve?


Hilgers: Ja. Ich verstehe jedenfalls nicht, warum ein Fall die Medien so aufrüttelt und sie ihn skandalisieren, und ein anderer gar nicht. Da gibt es keine erkennbaren Kriterien.

Hat man auch ähnlich auf die Edathy-Affäre reagiert – als herauskam, dass der ehemalige Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy Nacktbilder von Kindern im Internet erworben hatte?


Hilgers: Das hat ja offensichtlich auch parteipolitische Dimensionen.

Sind eigentlich bei der Aufarbeitung der Affäre Fehler begangen worden?


Hilgers: Das kann ich von außen nicht beurteilen. Da tut sich ja selbst der Untersuchungsausschuss des Bundestags schwer. Der hat immerhin die Rechte von Strafverfolgungsbehörden.

War es richtig, dass einige Sozialdemokraten sich sehr schnell und hart von Edathy distanzierten, gar ein Parteiausschlussverfahren diskutierten?


Hilgers: Vorwürfe im Zusammenhang mit Kinderpornografie sind immer vernichtend und das zu Recht. Daraus erklärt sich, dass alle anderen Menschen sich sehr schnell distanzieren.

Herr Edathy hatte ja zu seiner Verteidigung die Kunstgeschichte und den männlichen Akt bemüht. Wie fanden Sie seine Begründung?


Hilgers: Herr Edathy hat nicht verstanden, dass es sich um eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Kindern handelt.