Was wären wir ohne unsere Muslime und unser doppeltes Maß

Muslime werden in Deutschland oft mit Vorurteilen konfrontiert (AP Photo/Jan Bauer)
Muslime werden in Deutschland oft mit Vorurteilen konfrontiert (AP Photo/Jan Bauer)

Es macht das Leben einfach: Andere müssen halt mehr ran. Unseren Generalverdacht gegen Muslime pflegen wir wie einen Rosengarten.

Ein Kommentar von Jan Rübel

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Zwei Meldungen – und die gleiche Story. Beide sind aktuell, nur ein Ausschnitt der Zeitgeschichte. Die eine aus Deutschland, die andere aus Frankreich. Und in beiden schauen wir dann besonders genau hin, wenn es um Andere geht.

In Hessen wurden zwischenzeitlich zwei Mitarbeiter einer Beratungsstelle suspendiert. Die beiden arbeiten mit Muslimen, um deren Radikalisierung vorzubeugen, sie von Extremismen abzubringen, neue Wege zu eröffnen, kurz: Sie versuchen salafistischen Tendenzen in Deutschland das Wasser abzugraben, und dieser Job ist verdammt wichtig. Die beiden Mitarbeiter des „Violence Prevention Network“ (vpn), das sich übrigens auch um Neonazis kümmert, sind Muslime. Das wurde ihnen zum Verhängnis.

Plötzlich stand da ein Verdacht im Raum. Eine Schulrektorin hatte sich über den einen Mitarbeiter beschwert, er habe bei einem Vortrag in der Schule missioniert. Und dann postete der Arme noch über Facebook ein Foto, das ihn auf einer Konferenz in Abu Dhabi zeigte, an der auch der Geistliche Abdullah bin Bayyah teilnahm. Und der stehe, bei manchen, in Verdacht, Kontakte zu den islamistischen Muslimbrüdern zu haben oder gehabt zu haben. Schuldig durch Anwesenheit, dieser Strafbestand ist völlig neu.

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Der junge Mann von vpn war einfach zur gleichen Zeit am gleichen Ort mit jemandem, über den, nun ja, geredet wird. Ich nenne das Sippenhaft.

Wenn man seinen Job ernst nimmt

Zu bin Bayyah: Der Herr ist ein konservativer Prediger, kein Salafist. Und er ist eine Kapazität in der islamischen Geistlichkeit und Wissenschaft. Es lohnt, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Den deutschen Sicherheitsbehörden aber reichte das, um den vpn-Mitarbeiter noch einmal einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Seiner Kollegin wurde übrigens vorgeworfen, ehrenamtlich in einem Frauenbildungsverein aktiv zu sein, der einen „Schwesterntreff“ mit einem anderen, von Salafisten geleiteten, Verein organisierte. Und dass sie bei der Realisierung einer Vortragsreihe beteiligt war, bei der auch Prediger auftraten, die als islamistisch gelten.

Die beiden arbeiten übrigens wieder beim vpn. Die Überprüfung förderte nichts Extremistisches bei ihnen zutage.

Natürlich muss bei Leuten, die in solch einem sensiblen Bereich arbeiten, genau hingeguckt werden. Aber diese versahen nur ihren Job. Sie müssen sich mit Menschen auseinandersetzen, die durchaus andere Vorstellungen vom Zusammenleben in Deutschland haben. Sie müssen auf Augenhöhe agieren, Bescheid wissen. Im Falle der beiden gab es einen bloßen Generalverdacht.

Dieser entsteht aus einem doppelten Maß heraus. Muslime müssen beweisen, dass sie brave Mitbürger sind. Christliche Rassisten zum Beispiel fallen in unserem Wahrnehmungsmuster dagegen erst auf, wenn sie Schulkindern das Butterbrot klauen. Muslime werden ständig dazu aufgerufen, sich gegenüber diesem und jenem zu distanzieren, jüngst in der Affäre Erdogan: Stellen wir uns einmal vor, Kanzlerin Angela Merkel entdeckt ihre emotionale Ader und beschimpft ganz heftig, sagen wir, den spanischen Ministerpräsidenten. Sie beleidigt ihn nach Strich und Faden – sollten sich dann die auf Mallorca lebenden Deutschen dazu aufgerufen fühlen, sich davon zu distanzieren und öffentliche Verdammungen auszurufen? Wohl kaum.

Der Balken im eigenen Auge

Die zweite Meldung ist schnell erzählt. Am vergangenen Samstag überfiel ein Typ eine Soldatin am Flughafen Orly bei Paris. Er entriss ihr ein Sturmgewehr und rief: „Ich bin da, um für Allah zu sterben!“ Das tat er dann auch, Soldaten erschossen ihn. Die Medien in Frankreich, vor allem die sozialen Medien, waren ganz aufgeregt. Ein Terrorangriff des Islamischen Staat (IS) wurde vermutet, später stellte man fest: Der Mann hatte Cannabis, Kokain und Alkohol im Blut gehabt.

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Das Handeln der Soldaten ist an dieser Stelle nicht zu bewerten. Sie agierten in einer Extremsituation und haben möglicherweise Schlimmeres verhindert. Vielleicht sympathisierte der muslimische Angreifer mit dem IS. Und natürlich muss darüber ausführlich berichtet werden. In einem argen Kontrast allerdings stand dies zu einem anderen Zwischenfall in Frankreich: Ein 17-jähriger Schüler betrat am vergangenen Donnerstag ein Gymnasium, mit einem Gewehr, einer Pistole, einem Revolver und zwei Granaten, schoss um sich und verletzte mehrere Menschen. Zum Glück wurde er verhaftet. Schnell verstummten die Berichte über diesen Vorfall. Er wurde zu den Akten gelegt. Was wäre eigentlich los gewesen, hätte er gerufen: „Allahu Akbar“?

Mehr über die Schießerei an einer französischen Schule im Video: