Wegen schwacher Konjunktur - Kurzarbeit und Stellenabbau: Droht Deutschland eine Arbeitslosenwelle?

Produktion bei MAN: Das Münchner Unternehmen gehört zur VW-Tochter Traton.<span class="copyright">Sven Hoppe/dpa</span>
Produktion bei MAN: Das Münchner Unternehmen gehört zur VW-Tochter Traton.Sven Hoppe/dpa

Die schwache Konjunktur hat zunehmend Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Die Anzahl der Kurzarbeiter ist auf den höchsten Stand seit zwei Jahren gestiegen, und zahlreiche Unternehmen haben Stellenstreichungen angekündigt. Dennoch besteht weiterhin ein großer Bedarf an Fachkräften.

30.000 Stellen sollen bei der Deutschen Bahn in den nächsten fünf Jahren wegfallen, 2000 mehr als bisher geplant beim IT-Riesen SAP##chartIcon so schnell wie möglich, eine unbekannte Zahl von Stellen beim Chemiekonzern Covestro##chartIcon bis 2028, beim Autozulieferer ZF Friedrichshafen sind es nach der jüngsten Meldung 14.000 Stellen im gleichen Zeitraum. Allein diese Ankündigungen der vergangenen Wochen können als Zeichen einer drohenden Welle steigender Arbeitslosigkeit interpretiert werden. Angesichts der schwächelnden Konjunktur wäre das nicht verwunderlich. Im vergangenen Jahr schrumpfte das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent, für dieses Jahr sagen die Wirtschaftsforscher im Schnitt ein minimales Wachstum von 0,1 Prozent voraus. Damit sind wir Schlusslicht unter den Industrienationen der Welt. Im aktuellen Weltwirtschaftsausblick des Internationalen Währungsfonds (IWF) kommen viele Nationen auf ähnlich schlechte Werte: So soll die Wirtschaft in Italien, Japan und Großbritannien nur um 0,7 Prozent wachsen, in Frankreich um 0,9 Prozent. Spitzenreiter unter den Industrienationen sind die USA mit prognostizierten 2,6 Prozent vor Spanien mit 2,4 Prozent.

Das hat Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt. Im Juni ist die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland auf 2,78 Millionen gestiegen. Das ist der höchste Wert seit Dezember 2020. Unterbeschäftigt sind sogar 3,546 Millionen Menschen, so viele wie seit Oktober 2020 nicht mehr. Als unterbeschäftigt gelten neben den Arbeitslosen auch Personen, die sich aktuell zum Beispiel in Maßnahmen der Arbeitsagentur befinden oder wegen einer Erkrankung aktuell nicht arbeiten können. Zudem sind 242.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kurzarbeit, rund 75 Prozent mehr als vor einem Jahr. Auch die Zahl der offenen Stellen sinkt. Mit 693.000 lag er im Juni auf dem niedrigsten Stand seit genau drei Jahren.

Zuwanderer retten Statistik

Neben der schwachen Konjunktur spielt auch der Krieg in der Ukraine eine wichtige Rolle für die Entwicklung dieser Zahlen. So gibt es in Deutschland so viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte wie noch nie. Allerdings ist dieser Anstieg ausschließlich auf Zuwanderer zurückzuführen. Während die Zahl der Deutschen mit Job seit letztem Sommer um rund 96.000 gesunken ist, stieg sie bei den Zuwanderern um 279.000. Fast alle von ihnen kommen nicht aus der EU oder den mit ihr wirtschaftlich verbundenen Staaten Schweiz und Norwegen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit kamen 52.000 aus der Ukraine, 55.000 aus den Asylherkunftsländern Afghanistan, Eritrea, Iran, Irak, Nigeria, Pakistan, Syrien und Somalia sowie 36.000 aus den Westbalkanländern Serbien, Bosnien-Herzegowina, Albanien und Kosovo. Die Agentur führt den Rückgang der deutschen Arbeitskräfte vor allem auf den demografischen Wandel zurück. Die meisten der 96.000 Abgänge sind demnach nicht arbeitslos geworden, sondern in Rente gegangen.

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An diesem Trend dürfte sich auch in diesem Jahr wenig ändern. Das aktuelle Beschäftigungsbarometer des Ifo-Instituts sank im Juni gegenüber Mai von 96,3 auf 95,9 Punkte. Werte unter 100 zeigen an, dass mehr Unternehmen Stellen abbauen als aufbauen wollen. Allerdings zeigen sowohl die Umfrage der Münchner Wirtschaftsforscher als auch der Monatsbericht der Bundesagentur für Arbeit, dass vor allem eine Handvoll Branchen für den Trend verantwortlich sind. So schwächelt vor allem die Industrie und hier insbesondere die in Deutschland sonst starken Branchen Automobil und Chemie. Im Verarbeitenden Gewerbe, zu dem auch die Chemie gehört, sind seit dem vergangenen Sommer netto 49.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Das ist nach der Zeit- und Leiharbeitsbranche der höchste Wert in der deutschen Wirtschaft. Die Automobilindustrie einschließlich Handel baute 28.000 Stellen ab.

Experten erwarten aber keine Krise

Auf der anderen Seite werden in vielen Branchen nach wie vor händeringend Fachkräfte gesucht. Den größten Zuwachs an Erwerbstätigen verzeichnet das Gesundheitswesen mit 57.000 zusätzlichen Beschäftigten. Der Bereich Pflege und Soziales kommt auf 48.000, der Öffentliche Dienst auf 47.000 und Lehrer und Erzieher auf ein Plus von 32.000 Beschäftigten. Mit einem kräftigen Plus von 51.000 Stellen punkten auch die „Qualifizierten Unternehmensdienstleistungen“. Dahinter verbergen sich alle Dienstleistungen, die Unternehmen auslagern, also etwa Marketingagenturen, Unternehmensberater, IT-Dienste, Steuerberater, Werbeagenturen, Sicherheitsdienste und so weiter.

Eine Welle von Arbeitslosen erwartet deshalb niemand. Das Barometer des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) liegt derzeit mit 100 Punkten genau im neutralen Bereich. Im internationalen Vergleich steht Deutschland ohnehin noch gut da: Die nach internationalen Standards berechnete Arbeitslosenquote liegt derzeit bei 3,3 Prozent. Das ist der viertniedrigste Wert in der EU nach Tschechien (2,7 Prozent), Polen (3,0 Prozent) und Malta (3,1 Prozent). Der EU-Durchschnitt liegt bei 6,0 Prozent, Spitzenreiter ist Spanien mit 11,7 Prozent.

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