Wie wehrhaft ist die Demokratie? - Klingt irre, ist aber gefährlich: Die USA haben mit Trump jetzt das Thüringen-Problem
Die USA könnten jetzt erleben, was in Thüringen schon passiert ist: Weil das politische System nicht ausreichend gegen seine Feinde gewappnet wurde, könnte es ins Chaos stürzen. In Washington und Erfurt muss sich zum Beispiel die Justiz fürchten.
Im Video oben: Diktator „nur am ersten Tag“: Trumps radikaler Fünf-Punkte-Plan für „Day One“
Was haben die USA, die mächtigste Demokratie der Welt, und das kleine deutsche Bundesland Thüringen gemeinsam? Zunächst recht wenig – und doch haben sie mit einem ähnlichen politischen Problem zu kämpfen. Schon lange haben Experten davor gewarnt, dass 2024 eine populistische, weit rechte und teilweise demokratiegefährdende Kraft einen Wahlsieg erlangen könnte: in den USA Donald Trump und seine Republikaner, bei der Landtagswahl in Thüringen Björn Höcke und seine AfD. In beiden Fällen sind die Befürchtungen wahr geworden – und in beiden Fällen ist das politische System kaum gewappnet gegen die Folgen.
In Thüringen hat man diese schon bei der konstituierenden Sitzung des Parlaments gesehen: Der Alterspräsident von der AfD legte die Sitzung komplett lahm. Mit wenigen Kniffen hätte sich das verhindern lassen – in der vergangenen Legislaturperiode hätten die rot-rot-grüne Koalition und die oppositionelle CDU einfach nur einen Schritt aufeinander zugehen müssen.
Noch Schlimmeres droht in den USA: Im „Project 2025“ haben nationalistisch-konservative Vordenker detailliert beschrieben, wie Trump nach einem Wahlsieg die absolute Macht an sich reißen kann. Doch auch die Demokraten unter Präsident Joe Biden haben es nicht vermocht, die amerikanische Demokratie ausreichend gegen einen Trump-Sieg zu wappnen.
Die Gerichte werden politisiert
Zwar sind die politischen Systeme in den USA und in Thüringen sehr unterschiedlich – und die Fälle daher auch in vielen Punkten schwer vergleichbar. Bei einem Thema gibt es aber eine bemerkenswerte Parallele: der Berufung von Richtern ans höchste Gericht. Eigentlich sollte die Justiz unabhängig sein – doch in Wahrheit ist sie längst höchst politisiert.
An der Zusammensetzung des Supreme Courts, dem höchsten US-Gericht, hat Trump schon während seiner ersten Amtszeit gebastelt. Weil damals drei der auf Lebenszeit ernannten Richter aus dem Amt schieden, konnte er ihm wohlgesonnene Nachfolger ernennen. Joe Biden hat in seiner Amtszeit bislang nur eine neue Richterin ernennen können.
Damit gibt es am Obersten Gerichtshof eine Mehrheit von sechs zu drei für die Republikaner. Das macht sich in Urteilen bemerkbar: 2022 entschied der Supreme Court, dass die Verfassung kein Recht auf Abtreibung enthält, kürzlich gestand er Trump als ehemaligem Präsidenten weitgehende Immunität vor Strafverfolgung zu.
Republikaner können das oberste Gericht auf Jahrzehnte beeinflussen
Im besten Fall für Trump kann dieses Verhältnis nun weiter ausgebaut werden und auf Jahrzehnte bestehen bleiben, weil eine Neubesetzung in der Regel erst nach dem Tod der Amtsträger ansteht. Genau das wollte Biden ändern – allerdings nicht während der nun zu Ende gehenden Regierungszeit, sondern in Zukunft. Seine Forderung im Wahlkampf: eine Amtszeitbegrenzung auf 18 Jahre.
Diese Position übernahm später auch die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris . Weder sie noch Biden werden aber die Möglichkeit bekommen, die Reform umzusetzen. Stattdessen kann Trump voraussichtlich deutlich ungehinderter durchregieren als in seiner ersten Amtszeit, während der Supreme Court zum Beispiel eine Einreisesperre für Menschen aus einigen mehrheitlich muslimisch geprägten Ländern gestoppt hatte.
Trotz drohender Gefahr kann die Demokratie sich nicht wehrhaft machen
Und auch in Thüringen war schon lange bekannt, was dem Verfassungsgerichtshof drohen könnte. In dem Bundesland besetzt die AfD neuerdings mehr als ein Drittel der Sitze im Landtag und hat damit eine sogenannte Sperrminorität. Entscheidungen, die wie die Berufung von Richtern an den Verfassungsgerichtshof mit Zwei-Drittel-Mehrheit getroffen werden müssen, kann sie blockieren. Oder die Höcke-Partei verhandelt geschickt und setzt AfD-nahe Richter durch.
Das Gericht hat beim Chaos um die konstituierende Sitzung eingegriffen und den Prozess wieder in geregelte Bahnen gelenkt. Dass AfD-nahe Richter immer zugunsten von Verfassung und Demokratie entscheiden würden, darf bezweifelt werden. Immerhin wäre ihre Amtszeit nicht unbegrenzt: Nach geltenden Regeln bleiben die Verfassungsrichter sieben Jahre im Amt.
Wie in den USA gab es auch in Thüringen Stimmen, die noch rechtzeitig vor der Wahl die Gesetze anpassen wollten, um die Justiz zu schützen. Sie sind in Erfurt ebenso verhallt wie in Washington. Offenbar gelingt es der Demokratie auch im Angesicht größter Bedrohung nicht, sich selbst wehrhaft zu machen.
Die Republikaner könnten die „Trifecta“ gewinnen
In Deutschland ist die Lage noch nicht ganz so dramatisch wie in den USA – man wird als letzte Warnung also in den nächsten Jahren beobachten können, was passiert, wenn ein Populist nahezu ungehindert Politik macht. Denn die „checks and balances“, das sorgsam ausgeklügelte System zur gegenseitigen Kontrolle von Staatsorganen, werden voraussichtlich nur noch begrenzt Wirkung entfalten können.
Die Republikaner könnten nämlich Inhaber der sogenannten „Trifecta“ werden – der Kontrolle über Präsidentschaftsamt, Senat und Repräsentantenhaus. Die ersten beiden sind schon sicher in Republikaner-Hand, bei letzterem ist die Wahrscheinlichkeit nach aktuellem Auszählungsstand hoch. Weil wie beschrieben auch die Justiz immer republikanischer wird, muss Trump kaum noch ernsthaften Widerspruch fürchten.
Immerhin: Die Verfassung kann er nicht so einfach ändern. Dazu bräuchten die Republikaner eine Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Kammern. Ob das aber überhaupt noch eine Rolle spielen wird, ist offen. Trump und seine Vordenker werden andere Wege suchen, um das politische System umzubauen.
In Thüringen hat die AfD übrigens auch einen Weg gefunden, Einfluss auf Verfassungsänderungen zu nehmen: Mit ihrer Sperrminorität kann sie die anderen Parteien an den Verhandlungstisch zwingen oder eine Total-Blockade androhen.
Hilft eine Änderung des Wahlsystems?
Hätte es in den USA überhaupt so weit kommen müssen? Immer wieder wird auch das Wahlsystem als Ursprung des Übels genannt. Denn über den Präsidenten wird nicht direkt, sondern über ein Wahlleutegremium abgestimmt. Wie sich dieses zusammensetzt, entscheidet sich durch die Mehrheiten in den einzelnen Bundesstaaten. Bei Trumps erstem Wahlsieg 2016 wurde er nur deshalb Präsident – nach der absoluten Zahl der Stimmen im gesamten Land hätte Hillary Clinton gewonnen.
Wegen dieses Auseinanderfallens von Ergebnis nach Wahlleuten im „Electoral College“ und dem sogenannten „popular vote“ gibt es immer wieder Reformbestrebungen. Doch auch da ist die amerikanische Demokratie behäbig – wegen hoher Hürden, die die Verfassungsväter gesetzt haben, um das System vor ungewollten Änderungen zu schützen.
Zwei Drittel in Senat und Repräsentantenhaus müssten zustimmen, zudem 38 Bundesstaaten die Änderung in ihren eigenen Gesetzesbestand übernehmen. Da Wahlrechtsfragen auch Machtfragen sind, würde jeder Staat und jede Partei sehr genau prüfen, welche Vor- oder Nachteile sie bei einer Änderung hätten.
Alternatives Verfahren hätte nicht vor Trump geschützt
Einen Weg gäbe es aber doch – nach dem Beispiel der beiden Bundesstaaten Maine und Nebraska. Dort bestimmt nicht die Mehrheit im gesamten Gebiet alle Wahlleute, sondern das Ergebnis in einzelnen Bezirken. So kann zum Beispiel die Hälfte der Wahlleute später für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten stimmen, die andere Hälfte für den republikanischen. Somit wird das Ergebnis im Wahlleutegremium näher am „popular vote“ liegen.
Dieses Verfahren können die Bundesstaaten für sich selbst beschließen, ganz ohne Änderung der US-Verfassung. Und tatsächlich zeigen sich immer mehr Bundesstaaten offen dafür. Doch so gut die Idee für manche ein mag: Genutzt hätte das bei der aktuellen Wahl wohl wenig. Trump holte nämlich auch nach absoluten Wählerstimmen eine klare Mehrheit gegen Kamala Harris.