Werbung

"Ich weiß nicht, wie ich das Jahr überbrücken soll"

Kurz vor ihrer Rückkehr zum ZDF-"Traumschiff" gerät Schauspielerin Jutta Speidel in Not: In ihrem Wohltätigkeitsverein "HORIZONT e.V." herrschen wegen der Coronakrise extrem schwierige Zeiten. Im Interview appelliert die 66-Jährige: "Bitte, bitte, liebe Bevölkerung, lasst uns nicht im Stich! Helft uns, das zu überwinden!"

Es wäre so ein schönes Gesprächsthema gewesen: Am Ostersonntag (12. April, 20.15 Uhr) ist Jutta Speidel nach 40 Jahren wieder einmal in der ZDF-Reihe "Das Traumschiff" zu sehen: Sie verkörpert gemeinsam mit Wolfgang Fierek ein ehemaliges Gesangs-Duo, das sich vor der Kulisse Marokkos nach vielen Jahren der Inaktivität erneut trifft. Doch die Freude über das famose Comeback auf dem TV-Kreuzfahrtschiff tritt wegen der aktuellen Coronakrise in den Hintergrund. Denn Speidels privater Wohltätigkeitsverein "HORIZONT e.V.", der obdachlose und benachteiligte Frauen und Kinder in München aufnimmt und betreut, hat gerade in dieser Krise mächtig zu kämpfen. Welche Auswirkungen das Virus auf den Verein hat und was das tatsächlich für die Betroffenen bedeutet, schildert Speidel im Interview (weitergehende Informationen rund um den Verein und Spendenmöglichkeiten gibt es unter www.horizont-ev.org).

teleschau: Angesichts der aktuellen Corona-Krise: Wie geht es Ihnen?

Jutta Speidel: Mir geht es sehr gut. Zum einen, weil ich gesund und mit mir im Reinen bin, und zum anderen, weil ich mit meiner einen Tochter gemeinsam eine WG aufgemacht habe. Meine andere Tochter, die in Berlin lebt, konnte leider nicht mitmachen. Es ist aktuell sehr schwierig für sie, denn sie hat einen eigenen Laden, den sie leider zumachen musste. Aber uns geht es hier sehr gut, wir haben einen Garten und in der Nähe auch einen Park, wo wir mit dem Hund Gassi gehen können. Die Probleme liegen in anderen Bereichen.

teleschau: Sie meinen Ihren Wohltätigkeitsverein "HORIZONT e.V."?

Speidel: Ja. Das ist eine ganz schwierige Sache, nicht nur organisatorisch, sondern auch in Hinblick auf die Zukunft. Wir haben zwar für verschiedene Einrichtungen Förderungen, zum Beispiel für die Kita, aber ganz viel stemmen wir ausschließlich mit Spenden von Menschen, die uns für förderungswürdig halten, und wir sind da natürlich genauso dem großen Einbruch ausgesetzt.

teleschau: Und nicht nur das - es werden bestimmt auch mehr Leute Hilfe benötigen ...

Speidel: Richtig. Die große Not von außen spüren wir jetzt schon. Wir bekommen täglich zahlreiche Notrufe von Frauen, die ihrer häuslichen Gewalt entfliehen möchten. Die Rate der häuslichen Gewalt steigt weiter an, weil keiner mehr gehen kann. Kinder sind extrem davon betroffen, weil sie keinen Zufluchtsort mehr haben. Die Familien leben noch dazu in kleinen Wohnungen, weil sie sozial und wirtschaftlich in vielen Bereichen am Existenzminimum schrammen. Das ist grauenvoll.

"Bitte, bitte, liebe Bevölkerung, lasst uns nicht im Stich!"

teleschau: Und es gibt kaum Mittel, den Menschen zu helfen, oder?

Speidel: Es ist einfach nicht vorgesorgt, wir sind alle unvorbereitet in diese Situation geraten. Es kam so überraschend und so schnell, da kann man nicht vorher präventiv arbeiten. Ich bin Erste Vorsitzende und Gründerin, mit mir steht und fällt das ganze Unternehmen, und ich bin für 40 Angestellte verantwortlich. Das ist auch für mich sehr, sehr schwer. Ich kann nur appellieren: Bitte, bitte, liebe Bevölkerung, lasst uns nicht im Stich! Helft uns, das zu überwinden!

teleschau: Wie sieht die Situation aktuell in den Häusern aus?

Speidel: Unsere Räume sind voll bis obenhin, wir haben keine Kapazitäten mehr. Wir haben unser Restaurant, die Kulturbühne, die Bildungsstätte, die Werkstätten und die Kita schließen müssen. Es kommt kein Cent mehr rein. Und das Schlimmste ist: Die Frauen verlieren alle ihre Minijobs. Das bisschen, was sie haben, geht ihnen jetzt auch noch verloren. Wir haben so lange darauf hingearbeitet, dass sie sich selbstständig machen und ins normale Leben zurückfinden.

teleschau: Glauben Sie, dass sich die Situation bald wieder verbessert?

Speidel: Nein. Wenn man den Verlauf in China beobachtet, sind die Prognosen dahingehend, dass eine zweite Welle kommt. Ich glaube, wir sind damit das ganze Jahr beschäftigt. Ich weiß auch nicht, wie diese Töpfe, die uns angekündigt sind, überhaupt realisiert werden sollen. Wir laufen auf eine riesige Inflation zu, wie vor 20 Jahren bei der Euroumstellung. Auch das war eine Inflation, wir haben alle nur noch die Hälfte gehabt. Und die Preise sind trotzdem angestiegen.

teleschau: Ist die Versorgung der Frauen und Kinder gesichert?

Speidel: Die Lebensmittelversorgung ist für uns sehr schwierig. Im zweiten Haus haben wir über 200 Leute, die zwar in einer gewissen Form in der Unabhängigkeit leben, aber die Kinderversorgung war garantiert. Und im ersten Haus haben wir 80 Personen, die gänzlich an unserem Tropf hängen. Es gibt keine Tafeln mehr.

teleschau: Wie steht es nun um die Zukunft von "HORIZONT"?

Speidel: Es ist mein absolutes Herzensprojekt, und ich möchte eigentlich nicht nach 23 Jahren aufgeben. Aber ich weiß nicht, wie ich das Jahr überbrücken soll. Wir haben natürlich ein kleines Polster, das ist für Notzeiten gedacht, aber wie lange das ausreicht, werden wir sehen. Sie sehen: Auch wir Schauspieler haben unsere Sorgen und Nöte, da ist kein Unterschied zwischen meinen Nachbarn und mir.

"Ich würde am liebsten mein Handy in den Teich schmeißen"

teleschau: Vor etwa 40 Jahren waren Sie in zwei Folgen von "Das Traumschiff" zu sehen. Nun kommt eine weitere Episode mit Ihnen ins Fernsehen. Wie war es, nach so einer langen Zeit wieder an Bord zu sein?

Speidel: Die Atmosphäre beim Drehen ist nach wie vor geprägt von Wolfgang Rademanns Flair. Er hat immer alle zusammengehalten und eine große Familie aus uns gemacht. Er hat seine Produktion einfach sehr gut organisiert. Der Produktionsleiter Christian Stocklöv hat das Ganze von seinem Vater, dem ehemaligen Produktionsleiter Günther Stocklöv, geerbt und gelernt, das ist also in einer Familie geblieben. Das Flair ist einfach da, es sind zauberhafte Menschen, die einen sehr schwierigen und harten Job zu bewerkstelligen haben und das ganz toll machen.

teleschau: Ihre Rolle Rosi ist ziemlich hartnäckig bei ihrem Versuch, Rolf, gespielt von Wolfgang Fierek, zu überzeugen, dass er wieder mit ihr singt. Sie verfolgt ihn auf Schritt und Tritt. Wären Sie ähnlich hartnäckig?

Speidel: Mit Sicherheit nicht. (lacht) Die Geschichte der beiden ist einfach sehr lustig, und dass man nach 40 Jahren den Schnabel noch mal aufmachen und singen möchte, finde ich wunderbar. Man kann sie sich auch so gut in jung vorstellen, so wie Cindy und Bert. Wir haben sogar ein Autogrammfoto gekriegt, das auch im Film vorkommt. Dazu haben wir beide Fotos ausgesucht, so ungefähr aus dieser Zeit, und haben die zusammengefügt. Das Foto ist herrlich: 80er-Jahre, und die Frisur!

teleschau: Denken Sie gerne an diese Zeit zurück?

Speidel: Das ist immer sehr schwer zu erklären, was die 70-er eigentlich aus einem gemacht haben, wenn man damals jung war. Wir waren ein bisschen auf Krawall gebürstet, weil wir gegen dieses Establishment angekämpft haben. Wir fanden unsere Eltern und Vorfahren immens spießig und eingefahren und haben diese bunten Farben äußerlich und innerlich in uns getragen. Wolfgang ist ein paar Jahre älter als ich, der hat das noch intensiver mitgekriegt.

teleschau: Und wie war es bei Ihnen?

Speidel: Ich war ein bisschen behüteter, ich durfte natürlich nicht nach Woodstock oder nach Gretna Green. Das ist so eine tolle Zeit gewesen, so unbesorgt. Die Zeit möchte man manchmal ein bisschen zurückholen. Jeder kannte jeden, und man wusste, was läuft. Heute finde ich das ganz schlimm, wenn man so beobachtet wird. Wenn jeder Schritt und Tritt beachtet und registriert wird, das ist wirklich grauenhaft. Ich würde am liebsten mein Handy in den Teich schmeißen. Ich will damit nichts mehr zu tun haben, dann bin ich halt nicht mehr erreichbar. Wegen "HORIZONT" geht das zwar nicht, aber ich würde es gerne machen.

"Ich weiß, dass ich mich auf mich verlassen kann"

teleschau: Sie wurden vor ein paar Tagen 66 Jahre alt. Was sagen Sie zu dem Udo-Jürgens-Text "Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an"?

Speidel: Das wäre ja fürchterlich, wenn mein Leben jetzt erst anfangen würde. (lacht) Mein Leben hat begonnen, als ich geboren wurde, und ich lebe bereits 66 Jahre. Und ich hoffe, dass ich noch mindestens 20 solche Jahre habe. Meine Mutter wurde 93, und meine Großmutter wurde auch fast 90, also ich habe gute Gene.

teleschau: Was war Ihre letzte große Reise, die Sie gemacht haben?

Speidel: Ich war im Januar und Februar in Australien und Neuseeland und bin dort alleine gereist. Das war großartig. Ich habe eine paar Freunde besucht, sowohl in Australien als auch in Neuseeland, und habe mit dem Auto alles erkundet. Es sind wunderbare Länder. In Australien bin ich zum Beispiel an der Great Ocean Road und dem Princes Highway entlanggefahren. Ich habe es auch wirklich noch gut erwischt. Alle meinten zu mir, ich solle wegen den Feuern einen Monat später fliegen. Gott sei Dank habe ich das nicht, denn dann wäre ich nicht mehr zurückgekommen.

teleschau: Hatten Sie keine Angst, zwei Monate völlig alleine zu sein?

Speidel: Ich habe grundsätzlich keine Angst, weil ich weiß, dass ich mich auf mich verlassen kann. Ich gehe auch nicht in Krisengebiete oder so, ich bin kein Massenmensch, sondern ich bin Individualtourist. Daher würde ich auch niemals in meinem Leben ohne berufliche Verpflichtung auf ein Schiff gehen. Das wäre für mich ein Albtraum. Zwar sind die Leute auf so einem Schiff wahnsinnig nett, aber man ist ständig unter Beobachtung, und jeder weiß, wer du bist, und das finde ich nicht lustig. Man ist auf diesem Pott so gefangen und bekommt dann einen Pott-Koller. (lacht)

teleschau: Haben Sie auf Ihrer Reise auch in einem Zelt geschlafen?

Speidel: Ja, aber auf einem Campingplatz. Ich hatte selbst kein Zelt dabei, ich bin ja auch kein Backpacker. Ich war mit meinem Rucksack und meinen Trolli mit dem Auto unterwegs und habe mir abends immer eine Unterkunft gesucht, zum Beispiel über Airbnb, in einem Motel oder auf einem Campground. Neuseeland kann man problemlos bereisen, ich glaube, wenn ich noch mal dahin fahren würde, würde ich mir sogar selber einen Camper mieten. Auch wildcampen ist in Neuseeland ganz oft erlaubt und überhaupt kein Problem.

"Vielleicht muss man auch erst so alt werden, um alleine verreisen zu wollen"

teleschau: Gab es einen Grund, warum Sie alleine gereist sind?

Speidel: Zum einen habe ich ja viele Freunde getroffen: in Sydney, in Perth, in Auckland und auch in Nelson, auf der Südinsel. Es war wahnsinnig schön, diese Leute zu besuchen. In Tauranga habe ich den Sohn meines Nachbarn besucht, der vor fünf Jahren mit seiner Familie ausgewandert ist. Und zum anderen kann ich sehr gut mit mir alleine sein, ich war keine Sekunde einsam. Ich war ganz oft einfach so glücklich, dass ich allein bin und dass ich selbst entscheiden kann, wohin ich fahre, was ich mache, ob ich auf den Berg steige, durch den Wald laufe oder an den Strand lege, oder ob ich nachts mit meiner Taschenlampe einen Kiwi suche. (lacht) Ich konnte machen, was ich wollte.

teleschau: Das hört man nicht oft - viele können nicht alleine reisen ...

Speidel: Ich konnte das so gut. Ich habe viele Fotos verschickt, und alle waren furchtbar besorgt, dass mir was passiert. Irgendwann haben sie dann kapiert, dass es mir einfach nur gut geht. Ich habe mir auch in weiser Voraussicht gleich einen Hin- und Rückflug gebucht. Ich wollte in der Zeit, die ich zur Verfügung hatte, das Bestmögliche machen. Es war schließlich klar, dass ich nicht alles sehen konnte. Vielleicht muss man auch erst so alt werden, um alleine verreisen zu wollen.

teleschau: Seit einem Jahr sind Sie Ehrenbürgerin der Bayerischen Landeshauptstadt München. Was mögen Sie an München besonders gerne?

Speidel: Ich bin wirklich sehr verbunden mit der Stadt. Sie ist nicht nur schön, sondern auch das ganze Umfeld ist nicht so aggressiv und schnell, im Gegensatz zu Berlin, wo meine Tochter lebt. Natürlich gibt es auch viele Bürger, die mit ihrem Ellbogen durch die Welt gehen und nicht nach links und rechts gucken. Aber ich kenne in München so viele tolle Menschen, die sozial und kreativ denken, Respekt haben und mutig sind. Das finde ich in dieser Stadt außergewöhnlich gut.