Weil er viel Fahrrad fährt: Bewegungsdaten machen US-Amerikaner zum Verdächtigen

Seine Radtouren speichert er mit einer App, die Kartendaten von Googlemaps nutzt. Weil er vergangenes Jahr dreimal an einem Tag am Ort eines Einbruchs vorbeifährt, wird er aufgrund seiner Google-Daten zum Hauptverdächtigen der Polizei.

Seine Fahrradtour macht einen 30-jährigen US-Amerikaner zum Hauptverdächtigen eines Einbruchs. Oder genauer: seine Google-Bewegungsdaten. Foto: Symbolbild / gettyiamges / Prostock-Studio
Seine Fahrradtour macht einen 30-jährigen US-Amerikaner zum Hauptverdächtigen eines Einbruchs. Oder genauer: seine Google-Bewegungsdaten. Foto: Symbolbild / gettyiamges / Prostock-Studio

Ein gern angeführtes Argument in der Streitfrage „Sicherheit gegen Privatsphäre“ klingt so: Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts durch Überwachung zu befürchten. Das ist auf vielen Ebenen falsch. Edward Snowden hat in einem Reddit-Ask-Me-Anything vor vier Jahren dazu geschrieben:

„Zu argumentieren, dass Sie keine Privatsphäre brauchen, weil Sie nichts zu verbergen haben, ist so, als würden Sie sagen, dass Sie keine Meinungsfreiheit brauchen, weil Sie nichts zu sagen haben.“

Es gibt noch zahlreiche weitere Punkte, die dagegensprechen. Beispielsweise: Das Recht auf Privatsphäre ist eine Voraussetzung für persönliche Freiheit und Autonomie und deshalb unveräußerlich aus dem Persönlichkeitsrecht abgeleitet. Oder: Die Privatsphäre ist zentral für eine funktionierende Demokratie. Auch: (Staatliche) Überwachung stellt Bürger und Bürgerinnen unter Generalverdacht.

So schnell steht man unter Generalverdacht

Ein Vorfall im US-amerikanischen Bundesstaat Florida im Zusammenhang mit Google, über den vergangene Woche NBC News berichtete, gibt nun ein eindrückliches Beispiel für das letzte Argument. Demnach erhielt der 30-jährige Zachary McCoy, er lebt und arbeitet in Gainesville, an einem Dienstag im Januar eine Mail. Absender: Die juristische Abteilung von Google. Inhalt: Die Polizei habe seine Daten angefordert. Sie würden in sieben Tagen herausgegeben, gehe McCoy nicht juristisch dagegen vor.

„Das hat mir große Angst gemacht“, sagt McCoy im Interview mit NBC News. Auch wenn er sich nicht erinnern konnte, etwas falsch gemacht zu haben. Er nutzt ein Android-Smartphone, das mit seinem Google-Account verbunden ist. Wie Millionen anderer Amerikaner und Amerikanerinnen auch. „Ich wusste nicht, um was es ging. Ich wusste aber, dass die Polizei etwas von mir wollte.“

Es gab aber einen Hinweis: In der Mail stand eine Fallnummer. Damit fand McCoy auf der Webseite der örtlichen Polizei einen Untersuchungsbericht zu einem Einbruch, der etwa zehn Monate zurücklag. Damals wurde eine 97-jährige Frau bestohlen. Entwendet wurden dabei Juwelen im Wert von über 2.000 US-Dollar, umgerechnet rund 1.800 Euro. Sie wohnte keine zwei Kilometer entfernt von McCoy.

Ersparnisse der Eltern, um einen Anwalt zu bezahlen

Er bekam Panik. Er wusste, dass er nichts mit dem Einbruch zu tun und noch nie das Haus des Opfers betreten hatte. Er wollte aber nicht einfach zur Polizei gehen, aus Angst, er könnte verhaftet werden. Er bat seine Eltern um Hilfe. Die brachen ihre Ersparnisse an, um einen Anwalt mit dem Fall zu betrauen.

Schnell kam der an weitere Informationen: Die Polizei wollte die Bewegungsdaten McCoys aufgrund eines sogenannten „Geofence“-Beschlusses. Das bedeutet, dass die Polizei einen Bereich markiert hatte, in dem das Verbrechen stattfand. Und sammelt dann sämtliche Google-Informationen, also GPS-, Bluetooth-, Wi-Fi- und Mobilfunk-Daten, von Personen, die zur fraglichen Zeit in der Nähe waren.

Diese Geofence-Beschlüsse haben laut ABC News erheblich zugenommen in den vergangenen zwei Jahren. Laut einer Aussage Googles um mehr als 1500 Prozent im Jahr von 2017 auf 2018. Und um weitere 500 Prozent im Folgejahr. Die Polizei speichert diese Daten von Personen auch weiterhin, selbst wenn sie nachweislich nichts mit den Verbrechen zu tun hatten. Oft ohne deren Wissen.

McCoy fand in der Zwischenzeit heraus, welche Daten ihn verdächtig gemacht hatten: Er ist passionierter Radfahrer. Am fraglichen Tag, den 29. März 2019, ist er laut seiner Bike-App Runkeeper, die zeichnet Bewegungsdaten mithilfe von Googlemaps auf, dreimal am Ort des Einbruchs vorbeigefahren. „Ein absoluter Alptraum. Ich speichere mit der App meine gefahrenen Kilometer. Jetzt hat sie mich zu einem Hauptverdächtigen gemacht“, sagt McCoy. „Mir war auch nicht bewusst, dass Google protokolliert, wo ich mich wann aufhalte. Ich bin unschuldig, war aber zur falschen Zeit am falschen Ort.“

John Doe ist unschuldig

Oder zumindest seine Daten. Denn bislang lagen der Polizei nur anonymisierte Bewegungsprofile durch ihren Geofence-Beschluss vor. Das ist stets der erste Schritt. Daraus suchen die Beamten und Beamtinnen verdächtige Personen. Wie McCoy. Deshalb forderte die Polizei im zweiten Schritt seinen Namen von Google. McCoys Anwalt aber hatte in der Zwischenzeit beantragt, die Daten nicht herauszugeben und den Haftbefehl gegen Unbekannt („John Doe“) als „null und nichtig“ fallen zu lassen.

Sein Argument: Die Untersuchung sei verfassungswidrig, weil sie umfassende Daten erhebe und durchsuche, um eine einzige verdächtige Person zu finden. Er sagt: „Die Behörden werfen blind ein Netz in die Vergangenheit, um damit einen Einbrecher oder eine Einbrecherin zu fangen. Das erinnert an Science-Fiction-Filme mit dystopischen faschistischen Regierungen.“

Ohne diesen Antrag hätte Google sämtliche Daten McCoys an die Polizei weitergeben. Was die damit angestellt hätten ohne die Informationen durch seinen Anwalt, dass er regelmäßig auf dieser Route radfahre - wer weiß.

Nicht immer geht es gut aus

Wenig später meldete sich das Büro der verantwortlichen Staatsanwaltschaft von Gainesville: Es gebe Grund zu der Annahme, dass McCoy nicht die gesuchte Person sei. Der Haftbefehl wurde zurückgezogen, vor drei Wochen folgte die gesamte Klage.

Geofence-Beschlüsse können helfen, Verbrecher und Verbrecherinnen zu fassen. Sie können aber auch viel Geld – in diesem Fall beliefen sich die Anwaltskosten auf tausende US-Dollar – und Zeit und Nerven kosten. Oder wie in einer Anklage im US-Bundesstaat Arizona, als ein Mann fälschlicherweise aufgrund seiner Google-Bewegungsdaten für Mord ins Gefängnis musste.