Wendepunkt in der deutschen Geschichte? - Sozialforscher sagt, wie sich AfD- und BSW-Erfolg auf nahe Zukunft auswirkt

Das BSW hat nun eine taktisch angenehme Situation, da es nun auch für Kräfte, die es zum attraktiven Bündnispartner für viele Parteien, einschließlich der AfD, machen.<span class="copyright">Getty Images / Pool / Pool</span>
Das BSW hat nun eine taktisch angenehme Situation, da es nun auch für Kräfte, die es zum attraktiven Bündnispartner für viele Parteien, einschließlich der AfD, machen.Getty Images / Pool / Pool

Sind die Erfolge der AfD und des Bündnis Sahra Wagenknecht ein Wendepunkt in der deutschen Politik und das Ende der Ampel? Sozialforscher Andreas Herteux analysiert die tiefen gesellschaftlichen Veränderungen und ihre Auswirkungen auf die politische Landschaft.

Sind die Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen eine Zäsur in der deutschen Geschichte?

Das kommt auf den Blickwinkel an. Einerseits erleben wir gerade, dass zwei Randparteien, die nicht dem klassischen Parteienspektrum angehören, die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), große Erfolge in den Landtagswahlen erzielen und das Wahlergebnis eine schwierige Ausgangslage für Koalitionsverhandlungen schafft.

Andererseits hat sich unsere Gesellschaft augenscheinlich so verändert, dass es auch nicht überraschen kann, dass irgendwann auch erste Nachzügler im politischen Bereich folgen werden. Besagte Gesellschaft ist, wie alle seriösen Studien zeigen, nicht einmal mehr im Ansatz homogen oder überschaubar heterogen, sondern in viele kleine Lebenswirklichkeiten zersplittert, die teilweise völlig konträre Ansichten über die Art und Weise, welche Ideale, Sitten, Normen und Werte herrschen sollten, haben und sich teilweise im unerbittlichen Milieukampf befinden. Die jeweils im Bund regierenden Parteien wurden diesen Veränderungen, viele Jahre, mit ihrem Handeln augenscheinlich nicht gerecht. Verschiebungen in der politischen Landschaft waren daher nicht nur erwartbar, sondern fast zwingend.

Es kann und darf auch nicht überraschen, denn ähnliche Phänomene gibt es in Nachbarländern wie Frankreich bekanntlich schon länger. Wir sind, wie so oft in der Geschichte, nur wieder einmal etwas später dran.

 

Wie geht es mit der AfD weiter?

Grundsätzlich hat sich trotz der allgemeinen Hysterie an der Ausgangslage wenig geändert. Die Jahre 2024 und 2025, mit ihren zahlreichen Urnengängen, die durch die Bundestagswahl im nächsten Jahr gekrönt werden, sind Schicksalsjahre für die Partei, die den weiteren Kurs und die Bedeutung der AfD mitprägen werden.

Dabei geht es nicht nur um Stimmen und Sitze. Gute Ergebnisse im Osten waren erwartbar und haben sich in den Umfragen auch schon seit Monaten abgezeichnet.

Vielmehr ist es das mittelfristige Primärziel der Partei, politische Verantwortung zu übernehmen und die Koalitionsfähigkeit durch Wahlergebnisse förmlich zu erzwingen. Dichter als jetzt in Thüringen wird sie erst einmal nicht mehr herankommen. Daher ist diese Landtagswahl weitaus bedeutender, als es die Medien bislang herausgestellt haben.

Gelingt es der AfD strategisch nicht, die eigene Rolle, beispielsweise durch eine Regierungsbeteiligung, auszubauen, so bleiben es gewonnene Schlachten, die wenig über den großen Verlauf aussagen werden. Man bleibt „Phänomen“, wird aber keine „Kraft“.

Es hängt nun sehr viel davon ab, ob das Bündnis Sahra Wagenknecht zur Zusammenarbeit bewegt werden kann, denn die anderen politischen Organisationen werden die Brandmauer aufrechterhalten.

Gelingt das nicht, könnten mutmaßliche Triumphe strategisch entwertet werden, denn das würde den Wählern verdeutlichen, dass es, salopp gesagt, immer ohne die AfD gehen würde. Eine Stimme für die Partei wäre daher ein verlorenes Votum.

Das ist akzeptabel für das Kernklientel. Für die Mitte jedoch nicht, und auch die Protestwähler können Schwierigkeiten bereiten, denn wenn sich das BSW zu einer Koalition mit der politischen Konkurrenz entschließen würde, wäre eine weitere Protestpartei quasi legitimiert, und das könnte die AfD mittelfristig im Bund Stimmen kosten.

Nur damit kein Missverständnis aufkommt: Die Partei wird auch über 2025 hinaus weiter einen relevanten Marktanteil halten, ihn vielleicht auch ausbauen und damit ein relevanter Faktor in Deutschland bleiben. Allerdings erscheint ein Verlust der Dynamik möglich.

Auch die AfD weiß, dass die Ampel nächstes Jahr Geschichte sein wird und ein konservativer Rückschlag zu erwarten ist. Genau das braucht eine politische Organisation am Rande nicht, und noch weniger benötigt sie weitere Konkurrenz.

Es werden daher sehr spannende und vor allem weichenstellende Jahre 2024 und 2025 für die Alternative für Deutschland sein.

 

Was bedeutet das Ergebnis für das Bündnis Sahra Wagenknecht?

Das BSW hat nun eine taktisch angenehme Situation, da es nun auch für Kräfte, die es zum attraktiven Bündnispartner für viele Parteien, einschließlich der AfD, machen.

Strategisch gesehen wäre es für das BSW wohl das Klügste, ein Zusammengehen mit der AfD zu vermeiden und stattdessen die etablierten Parteien vorzuziehen. Die zweite Konstellation, nämlich so indirekt und in kürzester Zeit auch im Rest des Landes, wie bereits angedeutet, „salonfähig“ gemacht zu werden, ist zu wertvoll, um sie leichtfertig aus der Hand zu geben.

Viel besser hätte es für eine so junge Bewegung kaum laufen können. Eine Koalition mit der AfD wäre dagegen, von etwaigen inhaltlichen Differenzen abgesehen, schlicht politisch instinktlos.

Bedeutet dies das Aus für die Ampel?

Die Ergebnisse der beiden Landtagswahlen sind keine großen Überraschungen und auch die Unzufriedenheit mit der Regierung ist kein neues Phänomen. Die Ampel ist zwar am Ende, sie wird aber nicht zerbrechen, da keine der drei Parteien davon profitieren würde. Deswegen wird das Stück bis zum Schluss aufgeführt. Dann allerdings wird der Vorhang fallen, und eine Wiederaufführung ist für die Wähler sehr wahrscheinlich weder angedacht noch wünschenswert.