Wenig Arbeitsstunden, viel krank - „Wall Street Journal“ rechnet mit faulen Deutschen ab: „Ich mach’ morgen weiter“

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Arbeiter auf einer Baustelle machen Pause.Christian Charisius/dpa/dpa-tmn

Sind die Deutschen faul geworden? In einem vernichtenden Artikel erklärt das „Wall Street Journal“ dem US-Publikum, dass es mit der einst weltberühmten deutschen Arbeitsmoral nicht mehr weit her ist. Stattdessen haben uns ausgerechnet die Griechen überholt.

Normalerweise kommt es nicht gerade oft vor, dass sich US-Medien, abgesehen von wichtigen politischen Ereignissen, Themen aus Deutschland widmen. Während der Fußball-Europameisterschaft sorgte in der amerikanischen Presse vor allem die Deutsche Bahn für großes Erstaunen – beziehungsweise ihre für Ausländer überraschend häufigen Verspätungen und Zugausfälle.

Nun will das „Wall Street Journal“ (WSJ) diese Woche mit einem weiteren, alten Stereotyp aufräumen: Deutsche seien bei weitem nicht mehr die Arbeitstiere, für die sie in der Welt seit Ewigkeiten bekannt waren. Statt Fleiß und Arbeitseifer hätten in der Bundesrepublik heute vor allem lange Mittagspausen Vorrang, wird den amerikanischen Lesern erklärt – neben einem pünktlichen Feierabend, vielen Urlaubs- und Krankheitstagen sowie einer Work-Life-Balance.

In keinem anderen OECD-Land wird so wenig gearbeitet wie in Deutschland

Auf die Minute genau zur Mittagszeit werde selbst in vielen Start-ups alles hingelegt, berichtete ein erstaunter Amerikaner von seinen Arbeitserfahrungen bei einem Berliner Unternehmen. „Dann steht jeder auf und geht – gerne eine Stunde lang oder auch eineinhalb Stunden“, wird Rick Weinberg in dem Wirtschaftsblatt zitiert. Ebenso ungewohnt war für den IT-Manager aus dem Silicon Valley der ausgesprochen pünktliche Feierabend seiner deutschen Kollegen: „Sobald es 17.30 oder spätestens 18 Uhr ist, sagen alle, so, das war’s. Ich mach’ dann morgen weiter.“

Tatsächlich wird in keinem anderen Land aller 38 reichen OECD-Länder (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) so wenig gearbeitet wie in Deutschland, schreibt das WSJ: Im Durchschnitt waren es pro Arbeitnehmer nämlich nur 1343 Stunden im vergangenen Jahr.

Und gleichzeitig lasse sich auch keine andere Nation derart oft krankschreiben, heißt es weiter: 19,4 Tage pro Jahr im Schnitt – ein absoluter bisheriger Rekord. Bei dieser Gelegenheit wird den amerikanischen Lesern auch der deutsche Begriff „krankfeiern“ erklärt: ein Ausdruck, den es so im Englischen nicht gibt, der für den Verfasser des WSJ-Artikels aber einiges aussagt.

Fokus auf Work-Life-Balance nicht nur bei der Generation Z

Ganz Deutschland sei heute regelrecht besessen davon, auf gar keinen Fall mehr zu viel zu arbeiten, heißt es weiter: So fordern nicht nur deutsche Gewerkschaften weniger Stunden bei mehr Bezahlung – geringere Arbeitszeiten würden auch von deutschen Soziologen, Coaches und Consultants als ein wahres Allheilmittel gefeiert: gegen Familienzerrüttungen etwa, gegen Burnout oder selbst gegen den Klimawandel.

„Jüngere Generationen haben gesehen, was für schreckliche Auswirkungen die protestantische Arbeitsmoral ihrer Eltern hatte“, wird Margareta Steinrücke, Co-Autorin des Ratgebers „Weniger Arbeiten, mehr Leben!“, zitiert. „Also sagen sie zu ihren Eltern und den Politikern, tut uns leid, aber wir machen da nicht mehr mit.“

Dabei sei der Fokus auf weniger Arbeit und mehr Work-Life-Balance in Deutschland bei weitem nicht auf die Generation Z (geboren zwischen 1995 und 2010) begrenzt, meint die Tageszeitung.

„Wir hatten gerade eine junge Praktikantin, 23 Jahre alt, eine sehr begabte Frau. Wir boten ihr eine Vollzeitstelle an. Und was sagt sie? ‘Ich will nur vier Tage die Woche arbeiten’“, erzählt der norddeutsche Unternehmer Hendrik Laeppche dem WSJ. Auch seine älteren Angestellten seien nicht arbeitswilliger: „Und dann haben wir die 59-Jährigen. Die wollen jetzt auch langsamer treten und von Montag bis Donnerstag arbeiten.“

Vom deutschen Fleiß ist nicht mehr viel übrig

Bei dieser Haltung sei es wohl kein Wunder, heißt es, dass inzwischen ausgerechnet Griechenland die Bundesrepublik wirtschaftlich in einigen Bereichen überholt habe. Während man den Griechen 2010 während ihrer Schuldenkrise noch unermüdlich geraten habe, sich doch mal vom berühmten deutschen Fleiß eine Scheibe abzuschneiden, arbeite der durchschnittliche Grieche heute mit 1897 Stunden pro Jahr ganze 554 Stunden mehr als der Durchschnittsdeutsche.

Laut EU-Schätzungen soll das griechische Wirtschaftswachstum dieses Jahr bei 2,2 Prozent liegen – die deutsche Wirtschaft hingegen ist seit 2019 gar nicht mehr gewachsen. „Die Schuldenkrise hat die Griechen gelehrt, dass Erfolg nur mit harter Arbeit kommt“, zitiert das WSJ dazu Alex Kirgiannakis aus Thessaloniki. Der frühere Wertpapierhändler leitet heute eine beliebte griechische Fast-Food-Kette in Berlin.

Deutsche würde er nur ungern einstellen, verriet er: „Bei mir sind ziemlich viele Griechen beschäftigt. Auch Italiener und Spanier. Deutsche eher weniger … die kennen das System zu gut, und wer das tut, der neigt dazu, das System auszunutzen.“