Werder ist direkt wieder ein Abstiegskandidat

Werder Bremen hat den GAU mit Ach und Krach und Glück verhindert. Die selbst gesteckten Saisonziele ("Wir wollen nach Europa, damit identifizieren wir uns") hat der Verein weit verfehlt.

Daher sollten sie nicht überschwänglich feiern, als hätten sie irgendetwas gewonnen. Große Sportler wissen einzuschätzen, was sie geleistet haben - und was nicht. Und damit dann auch umzugehen.

Auch gegen den Tabellendritten der 2. Liga, Heidenheim, gelang Bremen in zwei Spielen kein Sieg - und auch keine überzeugende Leistung, obwohl es ja Aufgaben waren, in denen es richtig um etwas ging.

Während der Saison hatten große Druck-Situationen oft noch dazu geführt, dass plötzlich etwas von Klasse aufblitzte, die im Bremer Kader ja durchaus vorhanden ist oder war - die sie aber nie konstant abrufen konnten. Kein anderer Bundesliga-Verein hat in der jetzt abgeschlossenen Saison so wenig aus seinen Möglichkeiten gemacht wie Werder Bremen.

Bremen auch kommende Saison Abstiegskandidat

Was bedeutet das für die kommende Saison, die ja schon in ein paar Wochen wieder Fahrt aufnimmt?

Ich sehe Bremen auch in der kommenden Spielzeit direkt wieder als Abstiegskandidaten. Mit Arminia Bielefeld und Stuttgart kommen zwei starke Aufsteiger, voller Euphorie. Der VfB ist in Sachen Umfeld, Budget und mittlerweile auch Management ein Erstligist, der schnell seinen Platz im Mittelfeld finden wird. Bielefeld ist eine Rolle wie Union Berlin in der zurückliegenden Saison absolut zuzutrauen.

Werder Bremen wird es schwer haben, weil viele Mittelklasse-Vereine in denen vergangenen Monaten, als es an der Weser einzig ums sportliche Überleben ging, einen Schritt nach vorne gemacht und sich auf einem neuen Niveau stabilisiert haben. Auch, was Spielerkäufe und wirtschaftliche Möglichkeiten betrifft.

Werder ist in den nächsten Transferperioden stark limitiert, da jetzt große Zahlungen für die mit Kaufverpflichtung geliehenden Spieler Bittencourt, Selke und Toprak fällig werden. Keiner der drei ist bisher zu einer großen Verstärkung geworden.

Bremen darf sich keine Auszeit gönnen

Der Kader wirkt eher durcheinander als geplant und organisiert, ungewöhnlich, da es keine Wechsel im Bereich Trainer oder Sportdirektor gab in den verhängenden Jahren. Winter-Einkauf Selke, für den etwa zehn Millionen Euro fällig werden, stand zuletzt zehnmal gar nicht mehr in der Startelf. Der erfolgreichste Stürmer, Milot Rashica, wird Bremen verlassen, seine außergewöhnlichen Momente in der Offensive der Mannschaft auf jeden Fall fehlen.

Die Bremer Verantwortlichen müssen, wie bereits angekündigt, in dieser Woche intensiv analysieren, was nach einer Saison voller Rückschritte nun geändert werden muss. Es soll, so ist zu hören, eine Menge sein. Gespannt ist die Geschäftsführung auf die Analyse von Trainer Florian Kohfeldt, sie schließen nichts mehr aus, auch nicht, dass der äußerst beliebte Cheftrainer seinen Posten zur Verfügung stellt.

Es wird viel über Kohfeldt diskutiert, seit Wochen schon, die immer wieder schwachen Leistungen der Mannschaft, die viel zu oft auch spieltaktisch limitiert wirkte und mit einfachen Mitteln auszuhebeln war, fallen in seinen Bereich. Dass Kohfeldt ein herausragender Typ ist, stellt im Verein niemand in Frage - ob er tatsächlich auch ein herausragender Fußballlehrer ist, eben insbesondere für den Verein, den er seit Kindestagen im Herzen trägt, das müssen sie jetzt beantworten.

Auf Werder Bremen wartet viel Arbeit in der Sommerpause - die keine sein darf. Wenn sich andere eine Auszeit gönnen, müssen sie hochschalten und sich besser vorbereiten als die Konkurrenz, in allen sportlichen Abteilungen. Sie haben sehr viel aufzuholen. Und die Zeiten werden nicht weniger unruhig.

Tobias Holtkamp, der Autor dieses Textes, war in der Chefredaktion von Sport Bild und Chefredakteur von transfermarkt.de. Heute berät er Sportler und Marken in ihrer inhaltlichen und strategischen Ausrichtung. Für SPORT1 schreibt Holtkamp als Chef-Kolumnist die wöchentliche "Bundesliga-Kolumne".