Wichtige Feinheit - Erfolgsentscheidend: Kennen Sie den Unterschied zwischen Riskieren und Wagen?

Der Risiker liebt und sucht die Gefahr. Der Wagende hingegen versucht im Gegenteil, es auf dem Weg zu seinem als wertvoll wahrgenommenen Ziel durch Kompetenzerwerb möglich gering zu halten.<span class="copyright">Getty Images/Daniel Milchev</span>
Der Risiker liebt und sucht die Gefahr. Der Wagende hingegen versucht im Gegenteil, es auf dem Weg zu seinem als wertvoll wahrgenommenen Ziel durch Kompetenzerwerb möglich gering zu halten.Getty Images/Daniel Milchev

Der Germanist und Wagnisforscher Siegbert Warwitz erläutert, warum Wagen und Riskieren nicht verwechselt werden sollten, warum sie einem ganz unterschiedlichen Denken entstammen und welche Folgen sich daraus ergeben.

„Möglichst viel wagen, aber möglichst wenig riskieren!“

So heißt die Botschaft der Wagnisforschung an die Menschen, - Kinder und Jugendliche, Eltern und Erzieher, Unternehmer und Politiker, jeden, der etwas bewegen will. Es ist der Aufruf, Dynamik in sich zu wecken, Mut aufzubringen, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, seine Persönlichkeit auszureifen, Entwicklungen voranzutreiben, Werte zu verwirklichen. Doch mancher wird sich fragen. „Wie soll denn das gehen, viel wagen, aber wenig riskieren? Ist das nicht ein Widerspruch?“ Um das zu klären, muss man allerdings erst einmal über die Begriffe nachdenken.

Ein Test in der Fußgängerzone

Wir befragten in der Einkaufspassage von Karlsruhe erwachsene Passanten nach dem Unterschied zwischen einem „Risiko“ und einem „Wagnis“. Dabei stellte sich heraus, dass von den mehreren hundert Interviewten unserer Zufallsauswahl nur jeder siebte zwischen ihnen unterscheiden wollte. Auch die Adjektive „riskant“, „gefährlich“ und „gewagt“ sahen die meisten als gleichbedeutend an. Es waren für sie austauschbare Begriffe. Dieses Ergebnis war von uns erwartet worden, denn auch der „Duden“, Wörterbuch der Deutschen Sprache, differenziert nicht mehr zwischen den Begriffen.

Allerdings betreibt er auch keine Sprachwissenschaft, sondern „schaut dem Volke aufs Maul“ und bildet lediglich den Ist-Zustand des Sprachgebrauchs ab. Es drängt sich die Frage auf, warum es dieser verschiedenen Wörter denn überhaupt bedarf, wenn sie alle dasselbe ausdrücken würden und welche Auswirkungen diese Gleichsetzung auf unser Denken und unsere Kommunikation hat. Wir stellten die Begriffe daraufhin in einen Sinnzusammenhang, um dem Problem vielleicht über das Sprachgefühl auf die Spur zu kommen.

 

„Wagt man einen Unfall oder riskiert man ihn?“

Das fragten wir die Passanten im anschließenden Gespräch. „Wird ein Strafmandat, ein Knöllchen, eine Gefängnisstrafe gewagt oder eher riskiert?“ „Ist ein freilaufender Tiger ein Wagnis, ein Risiko oder eine Gefahr?“  Nahezu alle Befragten meinten nun, niemand würde sagen: Ich „wage“ jetzt mal ein Knöllchen. Die Justiz kenne zwar „Risikotäter“, aber keine „Wagnistäter“, die Medizin „Risikopatienten“, aber keine „Wagnispatienten“. Die Wörter hätten also tatsächlich eine unterschiedliche Bedeutung.

Eingehender als bei der kurzen Straßenbefragung ließen sich die Unterschiede zwischen Risiko und Wagnis im Deutschunterricht einer sechsten Klasse klären. Wir fragten die Kinder „Gibt es ein Wagnis ohne Risiko?“ Die einhellige Antwort war „Nein“, denn jedes Wagen - so wurde begründet - enthält als eine Möglichkeit auch das Risiko des Scheiterns. Wir wollten umgekehrt von den Kindern wissen „Gibt es denn ein Risiko ohne ein Wagnis?“ Hier ergab die Diskussion ein „Ja!“ Die Begründung hieß: „Ein Risiko ist nur eine Bedrohung. Es schadet nicht und bringt keinen Nutzen. Es enthält nur eine Warnung. Ein Wagnis ergibt sich erst, wenn sich jemand auf das Risiko und die damit verbundene Unsicherheit überhaupt einlässt, - was er ja nicht muss!“

Aber die Unterschiede sind noch elementarer. Das geschulte Sprachgefühl verbindet mit den beiden Begriffen auch unterschiedliche Wertvorstellungen. Diese charakterisieren unser Denken und Urteilen, geben unserem Handeln eine Ausrichtung. Wir fragten weiter:

„Ist es dasselbe, sein Leben zu ‚riskieren‘ oder es zu ‚wagen‘?“

Nahezu alle Befragten, Kinder wie Erwachsene, meinten, dass man das verantwortungslose Verhalten eines Autorasers und das verantwortungsbewusste Handeln von Feuerwehrleuten nicht gleichsetzen dürfe, dass sie aus ganz unterschiedlichen Wertvorstellungen heraus handelten und dass dies auch in einer entsprechenden Benennung zum Ausdruck kommen sollte: Während der Raser für das Ausleben des Geschwindigkeitsrausches in menschenverachtender Weise das eigene Leben und das anderer Menschen „riskiere“, „wagten“ Feuerwehrleute bei einem Hausbrand oder Sanitäter im Kriegsgeschehen ihr Leben und ihre Gesundheit, um anderen Menschen in ihrer Not zu helfen. Sie seien keine Risiker, keine Hasardeure. Sie setzten ihr Leben nicht „aufs Spiel“, sondern „wagten“ es im Bewusstsein, sich einer wertvollen Aufgabe zu stellen. Man war sich schnell einig, ethisches von unethischem Verhalten klar unterscheiden zu müssen, - auch in Worten.

 

Als Willy Brandt seinen berühmt gewordenen Slogan „Mehr Demokratie wagen“ ausgab, vermied er sicher nicht zufällig das Wort „riskieren“. Es ging ihm nicht um ein gesellschaftspolitisches Vabanque-Spiel, sondern um ein ernsthaftes Anliegen von großer Tragweite. Er wollte mit dieser Programmatik dem Bürger mehr unmittelbare Mitbestimmung an den Entscheidungsprozessen der Politik und der gesellschaftlichen Entwicklung zutrauen. Daher wäre der Begriff „riskieren“ hier zweifellos verfehlt gewesen. Er hätte sich damit zum Spieler, zum politischen Hasardeur gemacht.

Die Bedeutung einer angemessenen Wortwahl

Mit Risiken verbundenes Handeln hat keinen guten Ruf in einer Gesellschaft, in der die oberste Losung „safety first“ heißt. Da sie sich vor ihnen ängstigen, versichern sich viele Menschen gegen alle nur möglichen Lebensrisiken, selbst auf Abenteuer- und sogenannten Expeditionsreisen. Man will sicher gehen. Bei einer solchen Mentalität sind freiwillige Risikoaktivitäten verpönt. Es haftet ihnen etwas Verwerfliches, Gesellschaftsschädigendes, Krankhaftes an. Risiken sind tunlichst zu vermeiden.

Mit Risiko verbundenes Handeln ist schon vom Wort her negativ befrachtet. Ein seriös den Aufbau eines eigenen Geschäfts planender Unternehmer ist jedoch ebenso wenig ein „Risiker“ wie der sich gewissenhaft auf eine gefährliche Mission vorbereitende Astronaut, der Feldarzt im Kriegsgebiet oder der gut trainierte Extremsportler. Sie fühlen sich zu Recht verkannt und diffamiert, wenn man ihr Tun auf das Merkmal „Risiko“ verengt. Sie sind Wagende, aber keine Risiker.

Eine Verwechselung von Riskieren und Wagen führt zu Fehleinschätzungen: Der Risiker liebt und sucht die Gefahr. Er strebt den Nervenkitzel an. Er „spielt“ mit dem Leben. Das Risikoerleben ist ihm Selbstzweck. Der Wagende hingegen sucht nicht das Risiko, sondern versucht im Gegenteil, es auf dem Weg zu seinem als wertvoll wahrgenommenen Ziel durch Kompetenzerwerb möglich gering zu halten.

Die Fähigkeit zu einer differenzierenden Wortwahl bestimmt wesentlich unser Denken, unser Urteilen und unsere Kommunikation. Es macht unser Vermögen aus, ein Phänomen korrekt zu erfassen und uns mit anderen zu verständigen. Es kennzeichnet unsere Dialogfähigkeit. Während dem bloßen Riskieren etwas Anrüchiges anhaftet, gelten Wagemut und Wagnisbereitschaft als Tugenden, die Zivilcourage ermöglichen, gesellschaftliche Entwicklungen voranbringen, Widerstand gegen Ungerechtigkeiten mobilisieren.

Das ethisch hochwertige Vorhaben rechtfertigt das Wagnis mit den unvermeidlich damit verbundenen Risiken. Es ist ein verantwortungsbewusstes Handeln. Wer wagt, wägt sorgsam ab zwischen dem, was er dabei an Wertschöpfung gewinnen und dem, was er an Wertvollem verlieren kann. Das Wagnis muss sich lohnen.

 

Der Wert des Wagens

Es geht dem Wagenden nicht um das Ausleben von Risikorausch, nicht um Challenges und Nervenkitzel. Aber er erstarrt auch nicht in einem übertriebenen Sicherheitsdenken. Statt der Devise „Safety first“ leitet ihn der Anspruch „My obligation first“, eine Lebenseinstellung, die zu Führungsaufgaben qualifiziert, die zu Zivilcourage befähigt, die es erlaubt, sich Prüfungen zu stellen, Konkurrenzen auszuhalten, Rückschläge und Versagen zu verarbeiten.

Es gilt, sich dem Impulsgeber Mutigsein nicht zu verweigern, Gefährliches aber nicht kopflos zu „riskieren“, sondern abwägend zu „wagen“. Die Kompetenz dazu sollten bereits Kinder und Jugendliche erwerben, - über eine gekonnte „Wagniserziehung“.