Wie Angela Merkel mal nebenbei den Wahlkampf entfacht

Angela Merkel ließ im “Brigitte”-Talk ganz beiläufig die Bombe platzen (Bild: dpa)
Angela Merkel ließ im “Brigitte”-Talk ganz beiläufig die Bombe platzen (Bild: dpa)

Die Ehe für alle soll kommen – und zwar ganz schnell, noch diese Woche in den Bundestag. Ein Wahlkampfdauerthema ist das nicht. Aber ein helles Startsignal.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Am Montagabend druckste Angela Merkel gewohnt herum. Wenn es gilt Farbe zu bekennen, sucht die Kanzlerin gern die verbale Ausfahrt – das muss in der testosteronverliebten Politikarena kein Nachteil sein.

Der Plausch mit dem Magazin „Brigitte“ plätscherte dahin, es menschelte ein wenig, vernünftige Sachlageneinschätzungen gab es auch, da musste die Kanzlerin gegen Ende auf eine Zuschauerfrage antworten, es ging um die Ehe für alle. Was dann kam, ist für die Geschichtsbücher.

Merkel rutschte leicht unwohl im Sessel nach links, dann nach rechts. Sprach untertemperiert von den vielen Gedanken, die man sich in ihrer Partei darüber mache; und platzierte eine Bombe.

Die Entscheidung über eine Ehe für alle solle nach dem Gewissen getroffen werden, sagte sie. Was logisch klingt, ist eine Absage an den Fraktionszwang und an die bisherige Linie von CDU und CSU, diesem Thema durch Missachtung den Wind aus dem gesetzgeberischen Segel nehmen zu wollen. Damit erntet Merkel nun einen Sturm.

Kommentar: Die Grünen haben den Verlierer-Stempel

SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz erweist sich als forscher Instinktpolitiker. Er ergreift die Chance und peitscht die Frage der Ehe für alle in den Bundestag, noch an diesem Freitag soll darüber abgestimmt werden – denn die SPD ist schon lange dafür und hatte die Union gebetsmühlenartig in der Koalition bearbeitet und nur aus Loyalität zum Bündnis still gehalten. Nun, durch eine Aussage in einer Talkshow überrumpelt, zeigen die Sozialdemokraten ihre eigene Auffassung von Blitzstrategie.

Martin Schulz musste schnell auf Merkels Vorstoß reagieren (Bild: dpa)
Martin Schulz musste schnell auf Merkels Vorstoß reagieren (Bild: dpa)

Sturm erntet Merkel auch in den eigenen Reihen, denn noch gibt es nicht Wenige, die dieses Thema gar nicht und nie im Parlament sehen wollen – als sei ein konservativer und traditioneller Wert legitimiert, wenn man nicht über ihn spricht; allein solch eine Aussage wie von CSU-Politiker Peter Ramsauer entblößt das wenig Wertvolle an einem Verbot der Ehe für alle. Doch da muss Merkel jetzt durch.

Galerie: Diese alten CDU-Positionen wurden unter Merkel abgeräumt

Am Dienstag, von der SPD-Initiative überrascht, informierte sie Unionsfraktion im Bundestag und legte die Gewissensfreiheit fest. Für die Ehe für alle bedeutet es, dass sie am Freitag beschlossen wird. Nicht wenige in der Union sind für sie, und alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien sowieso.

Eine Woche voller Fanfarenstreiche

Hat sich Merkel am Montagabend nun verplappert? Oder agierte sie gezielt? Zumindest mit CSU-Chef Horst Seehofer soll sie sich vorher abgesprochen haben. Für einen Ausrutscher Merkels spricht, dass sie im Nachhinein deutlich machte, wie sehr sie von einer Bundestagsentscheidung in der nächsten Legislatur ausging, also nach den Wahlen im Herbst und eben Lichtjahre entfernt. Für ein bewusstes Manöver spricht, dass Merkel in der Regel die Bedeutung ihrer Worte einzuschätzen weiß. Und es macht Sinn, eine oder mehrere Wochen Entrüstung in den eigenen Reihen zu überstehen und dafür im Gegenzug ein lästiges Wahlkampfthema erledigt zu haben; die SPD wird einen Pfeil weniger im Köcher haben.

Doch mit Stürmen ist es zuweilen eine heikle Angelegenheit. Manche entwickeln eine Eigendynamik. Und beflügeln andere.

Kommentar: Auf die Demokratie gibt es tatsächlich einen Anschlag

Niemand kann abschätzen, wie stark diese Woche der Initiative die SPD beeindrucken wird, sie könnte wie ein miraculixscher Zaubertrank wirken. Denn die SPD sucht seit einigen Tagen die richtige Startposition für den Endspurt. Durch den verflogenen Schulz-Hype aus dem Frühling wissen die Sozialdemokraten, dass theoretisch mehr für sie drin ist. Außerdem können sie, im Gegensatz zur Union, ein klares Programm vorweisen. Jetzt brauchen sie Rückenwind, und den beschert ihnen die Kanzlerin, eigentlich eine Künstlerin der Deeskalation, selbst.

Was diese Woche im Bundestag geschieht, könnte der Startschuss für einen feurigen Schlagabtausch über den ganzen Sommer hinweg sein. Die SPD könnte zur Aufholjagd ansetzen, gekontert von einer Union, die endlich darlegt, wofür sie steht – und nicht dagegen. Denn letzteres wird nicht reichen, diese Funktion ist der AfD in ihrer Oppositionsrolle zugesprochen. Also Vorhang auf.

Sehen Sie auch: Abstimmung über die Homo-Ehe noch in dieser Woche