Wie der Schatten der DDR auf dem Tag der Einheit lastet

Bei den Einheitsfeiern zeigten lautstarke Protestler, was ihnen wichtiger ist: Die rassistische Saat der DDR und der sächsischen Landesregierung unter Ministerpräsident Stanislaw Tillich geht auf.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Ein Auslandskorrespondent aus, sagen wir Mikronesien, wird gestern in Dresden große Augen gemacht haben. Da feiert ein Land die Überwindung einer Teilung, einer ungerechten Diktatur und das aufeinander Zugehen von Ost und West – und was fällt einigen lautstarken Menschen am zentralen Feierort dazu ein?

Weil am Vortag Dresdens Oberbürgermeister muslimische Vertreter einlädt, demonstriert man gegen die Vollverschleierung von Frauen. Nun lungern die in Sachsen nicht gerade an jeder zweiten Straßenecke herum. Vielleicht sind die Protestler besonders sensitiv für die Gefahren unserer Demokratie – oder, und das erscheint plausibler: Die Protestler selbst sind eine Gefahr für die Demokratie.

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Denn an dem Tag, der die wieder gewonnene Freiheit in den Mittelpunkt stellt, machen sie sich stark für eine imaginierte Homogenität, die sie mit Einheit unbewusst verwechseln und die sie bewusst gegen die Freiheit setzen. Als Chiffre dient ihnen eine Pseudogefahr, der Islam, von dem sie ungefähr so viel wissen wie ein Pfarrer vom Bauen einer Autobahn. Weit weg ist er, und weit weg soll er bleiben, aus lauter Selbstbeschränkung.

Und daher wird der unglückliche Oberbürgermeister als “Volksverräter” angeschrien, ebenso die prominenten Feierteilnehmer am Tag darauf wie Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel. “Volksverräter” ist ein doppelt feiges Wort. Es halluziniert, da stelle sich Einer gegen das Wohl der Vielen – und das auch noch auf hinterhältige Art und Weise. Solche Worte benutzt nicht nur, wer Auschwitz für einen Kollateralschaden deutscher Gloriengeschichte hält, sondern wer seiner eigenen Würde und der seiner Argumente misstraut. Das Wort soll seinen Urheber größer machen, als er ist. Es soll eine Bedeutung vor sich hertragen, die dem Reich der Träume entspringt. “Volksverräter” passt nicht einmal in die Serie “Game of Thrones”. Es ist einfach nur daneben.

Die Bananen des Abendlandes

Und was ist davon zu halten, wenn ein dunkelhäutiger Mann beim Betreten der Kirche zum Festgottesdienst mit Affenrufen und “Abschieben, Abschieben” begrüßt wird? Ist dies das Abendland, das diese vermeintlichen Kreuzritter retten wollen? Schwarze=Affen? Ernsthaft? Und macht sich jemand die Mühe, diesen Mann kennenzulernen, bevor er irgendwie irgendwohin gehen soll, nur eben weg?

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Die Protestler waren am Tag der deutschen Einheit in Dresden in der Minderheit. Die allermeisten auf der Straße wollten ihn mit Würde begehen. Aber die Protestler machten auf eines aufmerksam. So ist es eben in einem Bundesland, in dem der Ministerpräsident seit Jahren leiert, der Islam gehöre nicht zu Sachsen. Diese Aussage ist so nachweislich falsch wie gemein und rassistisch, dass Tillich nun keine Krokodilstränen zu weinen braucht angesichts der ihm vermasselten Einheitsfeier.

Es sind die Geister, denen er sich nie entgegen stellte und die er daher mit rief.

Was vom alten Mist bleibt

Diese ostdeutsche Seele hat noch nicht ganz überwunden, was die DDR-Diktatur an Wunden geschlagen hat. Da ist die Sehnsucht nach einem starken Staat, die Verachtung für Freiheit und der diffuse Wille, da solle mal irgendwie aufgeräumt werden. Es ist die alte Parole der DDR-Bonzen, dass der Staat eine Gemeinschaft im Sinne einer Volksgemeinschaft im Sinne eines Stammes oder einer Gang sei. Damit hielten sich die Bonzen an der Macht und verarschten diejenigen unter ihnen. Dass dieses Gift immer noch wirkt, ist einer der schlechteren Treppenwitze der deutschen Geschichte.

“Integration” ist ein Wort, das fast so dämlich ist wie “Volksverräter”. Von Integration ist viel die Rede in diesen Tagen. Es besagt, dass immer die anderen sich bewegen müssen und ich nicht. Hätte das Wort “Integration” einen positiven Wert, was es nicht hat, würde ich sagen: Das mit der Integration haben eine Menge Ostdeutsche nicht richtig hingekriegt. All diese Ängste kotzen mich an.

Bilder: dpa, AP

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