«Wie ein kleiner Krieg» - Schwere Krawalle in Hamburg

Immer wieder musste die Feuerwehr anrücken, um brennende Autos zu löschen. (Bild: Reuters)
Immer wieder musste die Feuerwehr anrücken, um brennende Autos zu löschen. (Bild: Reuters)

Am ersten G20-Gipfeltag geht es so weiter, wie es am Vorabend begonnen hat: mit heftigen Krawallen. Doch sind andere Orte betroffen. Während es dort knallt und raucht, ist es im Schanzenviertel, Schauplatz der Nacht, am Morgen ziemlich ruhig.

Die einen räumen auf, die anderen bringen sich in Sicherheit: Nach einer Krawallnacht vor dem Start des G20-Gipfels in Hamburg eskaliert am ersten Tag des Treffens die Lage in der Hansestadt erneut. Rangeleien zwischen Demonstranten und Polizei, Sitzblockaden, zahlreiche brennende Autos und beschädigte Streifenwagen bestimmen am Freitag das Bild an verschiedenen Orten der Hansestadt. Und das ist noch nicht alles.

US-Präsidentengattin Melania Trump wird von Demonstranten zunächst an der Teilnahme am Partnerprogramm gehindert und muss in ihrer Unterkunft, dem Gästehaus des Senats an der Außenalster, ausharren: Die Polizei gibt ihr angesichts teils blockierter Fahrstrecken keine Sicherheitsfreigabe. Dann wird wegen der schwierigen Sicherheitslage das Partnerprogramm geändert, zu dem der Ehemann von Kanzlerin Angela Merkel, Joachim Sauer, eingeladen hat. Statt dass die Partner der Staats- und Regierungschefs ins Klimarechenzentrum fahren, kommen die Experten ins Hotel «Atlantic», um ihre Vorträge über die Gefahren des Klimawandels dort zu halten.

Die Polizei sieht sich am Mittag schließlich genötigt, bundesweit um Hilfe zu ersuchen. Mehrere zusätzliche Hundertschaften werden in Richtung Hamburg in Marsch gesetzt. In Schleswig-Holstein kann die Polizei deshalb die Öffnungszeiten kleiner Polizeidienststellen deshalb nicht mehr garantieren.

Demonstrationen, Gewalt und Gipfeltreffen – Bilder von G20 in Hamburg

Polizei räumt mit zahlreichen Blockaden

An mehreren Orten haben sich zuvor Demonstranten versammelt, die Gruppe «Block G20 – Colour the red zone» kündigt an, in die engste Hochsicherheitszone vorzudringen. Mit Sitzblockaden werden Straßen und Kreuzungen versperrt, die Polizei setzt Wasserwerfer ein. Mehrere Menschen auf Bahngleisen sorgen für Streckensperrungen. Im Hafen blockieren Demonstranten einen wichtigen Knotenpunkt, Lastwagen stauen sich auf einer Zufahrt zur Köhlbrandbrücke, die die Elbinsel Wilhelmsburg mit der Autobahn A7 verbindet. Bengalische Feuer werden gezündet. An mehreren Punkten der Stadt kesseln Beamte Protestler ein.

Schwere Räumfahrzeuge machen den Weg frei. (Bild: Reuters)
Schwere Räumfahrzeuge machen den Weg frei. (Bild: Reuters)

Am Bahnhof Altona werfen Gewalttäter Brandsätze, das dortige Bundespolizeirevier wird angegriffen. Ein Polizist in einem Polizeiwagen erleidet dort Schnittverletzungen, als Vermummte die Fahrzeugscheiben mit einem Hammer einschlagen. Vom Vortag bis zum Freitagmittag gibt es nach Polizeiangaben 159 verletzte Beamte (Stand: 12.20 Uhr). Dass es auch verletzte Demonstranten gibt ist klar – unklar ist, wieviele. 45 Menschen werden festgenommen, 12 in Gewahrsam genommen.

Auch Wasserwerfer sind wie schon am Donnerstag im Einsatz. (Bild: Reuters)
Auch Wasserwerfer sind wie schon am Donnerstag im Einsatz. (Bild: Reuters)

Ruhige Lage im Schanzenviertel

Anderswo in der Hansestadt ist es aber fast schon gespenstisch still: Straßen sind entweder ganz oder nur für die An- und Abreise der Staats- und Regierungschefs zum Tagungszentrum Messegelände gesperrt, Radfahrer haben freie Fahrt, Busse machen vor der Innenstadt kehrt. Es sind vollkommen gegensätzliche Bilder, die Hamburg in Gipfel-Zeiten liefert.

Im Schanzenviertel etwa, Schauplatz der Vornacht, könnte es ruhiger als am Freitagmorgen kaum sein. Die Spuren der gewalttätigen Ausschreitungen bei der «Welcome to hell»-Demonstration sind noch zu sehen. Aber die Stadtreinigung dreht bereits ihre Runden durch die Straßen um das linksautonome Zentrum «Rote Flora». Ganze Straßenzüge waren mit Glasscherben und herausgerissenen Pflastersteinen bedeckt, Bankautomaten demoliert. «Ich bin seit 24 Jahren bei der Stadtreinigung und war schon nach vielen Veranstaltungen im Einsatz, aber so etwas habe ich noch nicht gesehen», sagt Andreas W., der – an seinem 53. Geburtstag – mit der Kehrmaschine unterwegs ist.

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«R.I.P. Papierkorb…. Mit Kehrmaschinen und 15 Mitarbeitern von 0.30 bis 4.00 unterwegs gewesen», schreibt die Stadtreinigung am Freitagmorgen auf Twitter als Kommentar auf das Foto eines völlig zerstörten Papierkorbs in der Schanze. Einige Stunden später sitzen Bewohner und Touristen vor den Straßencafés des Viertels und genießen den zumindest hier friedlichen Sommermorgen. Der Energieelektroniker Björn M. aus Hannover steht derweil verärgert vor seinem Mietwagen mit zertrümmerten Scheiben. Den gebuchten Tiefgaragenplatz habe er am Vortag nicht mehr erreichen können, weil alles abgesperrt gewesen sei. «Ich könnte kotzen!», sagt der 43-Jährige. «Demonstration ja, aber nicht auf diese Weise!»

Mehr als 19 000 Polizisten schützen das zweitägige erste G20-Gipfeltreffen in Deutschland. «Keinen einzigen habe ich in der Nacht in unserer Straße gesehen», berichtet Carmen Meins, die seit 52 Jahren im Schanzenviertel lebt und in einer Nebenstraße wohnt. «Die jagen die Demonstranten alle in die kleinen Gassen, aber von der Polizei sieht man nix», sagt sie, während sie die Scherben vor dem Haus zusammenfegt. «So schlimm habe ich das noch nie erlebt. Das war wie ein kleiner Krieg.»

Zerstörte Autos am Freitagmorgen auch in Altona: Im Innenraum eines Wagens, den Unbekannte angezündet haben, kokelt es noch, es riecht nach verkohltem Kunststoff. Bei einem anderem, ein älterer Kleinwagen, keine Statussymbol sind die Scheiben eingeschlagen. Es sei sehr schnell gegangen, sagt der Besitzer. Etwa 100 Maskierte seien es gewesen, mit Bengalos, Hämmern und weiterer Ausrüstung, sagt der Polizist, der die Schäden aufnimmt.

«Hier sind gerade so viele Kinder zur Schule gegangen», sagt ein Anwohner. Er ist aufgebracht, es sei auch der Schulweg seiner Kinder. «Die haben ohne zu gucken Feuerwerk und alles in die Straße reingeworfen», erzählt er. Das habe mit politischen Ansichten nichts mehr zu tun.