Wie geht es weiter mit der Wirtschafts- und Währungsunion?

Europas Wirtschafts- und Währungsunion, kurz WWU, nahm ihren Anfang in den fünfziger und sechziger Jahren. 1992 kam sie durch den Vertrag von Maastricht so richtig in Gang. Dieser legte die Konvergenzkriterien fest, die die Mitgliedsstaaten erfüllen müssen. Mit der Einführung des Euros wurde die WWU in handfeste Münze umgewandelt. Doch jetzt tritt Großbritannien aus der EU aus, und damit ist auch der wirtschaftliche Zusammenschluss neuen Herausforderungen ausgesetzt. Wie geht es weiter mit der Wirtschafts- und Währungsunion? Verdeutlichen wir den Sinn der Wirtschafts- und Währungsunion am Beispiel eines Bauern, der Käse herstellt. Trotz unterschiedlicher nationaler Politik und Volkswirtschaft verschafft die WWU den Mitgliedern eine gemeinsame Währung – wenn sie die Konvergenzkriterien erfüllen. Die Europäische Zentralbank gibt die Linie für die Währungspolitik vor, legt Zinsraten fest und hilft den Mitgliedsstaaten, ihre Währungspolitik aufeinander abzustimmen. Als Sicherheitsnetz, wenn ein Land finanziell in Schieflage gerät, gibt es den Europäischen Stabilitäsmechanismus. Durch diesen Zusammenschluss kann der Käsehersteller leichter seine Ware im ganzen Euroraum verkaufen, seine Kunden müssen sich nicht über Wechselkosten Gedanken machen, und seine Zwischenhändler können weitere Jobs schaffen, zum Beispiel Käseverkostung in anderen Ländern. 19 EU-Staaten haben den Euro eingeführt, die übrigen sieben sollen folgen, sobald sie die Konvergenzkriterien erfüllen. Nur Dänemark hat wie Großbritannien eine Opt-out- Sonderregelung und muss nicht beitreten. Die Wirtschafts- und Währungunion sollte Europa Wachstum bringen, aber die Finanzkrise hat ihre Schwächen aufgedeckt. Kroatien ist als letztes Land der EU beigetreten und wird vielleicht das nächste Mitglied der Eurozone. Bislang hat es seine eigene Währung, die Kuna. Die Konjunkturprognosen für das Land sind günstig, und im vergangenen Jahr hat es einen deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit verzeichnet, einer der stärksten in Europa. Braucht Kroatien da überhaupt die Währungsunion, um deren Versprechen von Wachstum und Arbeitsplätzen zu erfüllen? Der Chef der Kroatischen Nationalbank, Boris Vujčić bejaht: “Durch die Senkung der Zinsraten werden Investitionen gefördert. Jeder ausländische Anleger schaut sich vorher das Land an, und eines der größten Risiken für eine Investition ist, dass die Währung an Wert verliert. In diesem Fall hätten alle Investoren aus dem Euroraum dieselbe Gewissheit. Die Gemeinschaftswährung fördert auch den Handel, weil es keine Wechselkursschwankungen gibt. All das fördert also Investitionen und Handel – und damit können neue Arbeitsplätze geschaffen werden.” Europa der zwei Geschwindigkeiten – auch bei den Finanzen Welche Optionen hat Europa für die Zukunft der WWU? Und wie kann man das Vertrauen der Bürger in die Union stärken? Pierre Moscovici, EU-Kommissar für Wirtschaft und Finanzen: “Ich würde sicher nicht behaupten, dass das einfach wird. Aber zuerst einmal würde ich den Bürgern sagen, schaut doch mal, was ihr alles habt: Ihr habt die Europäische Zentralbank, ihr habt die Eurogruppe, ihr habt gemeinsame Entscheidungen und Programme für Länder in Schwierigkeiten. Das Problem heute ist, dass wir eine Menge Disziplin haben, aber auch eine Menge Divergenz. Wenn nur der Norden Europas stark ist und der Süden schwach, dann werden sie im Norden fragen, warum sollen wir denn für die faulen Leute im Süden zahlen? Im Süden sehen die Leute, dass ihre Wirtschaft immer schwächer im Vergleich zum Norden wird. Und deshalb müssen wir wieder Konvergenz herstellen. Das bedeutet, dass einige Volkswirtschaften Anstrengungen unternehmen müssen, dass aber andere Länder, die steuerlich und durch Haushaltsüberschüsse mehr Spielraum haben, mehr von diesem Geld für Investitionen nutzen können. Und wir sind 19 in der Eurozone und vielleicht bald noch mehr. Und wenn Großbritannien aus der EU ausgetreten ist, hat nur noch Dänemark die Opt-out-Sonderreglung. Alle anderen können beitreten, wenn sie wollen und die Kriterien erfüllen.” Steuern wir auf ein Europa der zwei oder mehrerer Geschwindigkeiten zu? Moscovici: “Manchmal müssen die, die schneller voranschreiten wollen, das auch tun können. Das haben wir mit dem Euro getan. Das haben wir auch mit dem Schengen-Abkommen gemacht. Für mich ist das kein Europa der zwei Geschwindigkeiten, das wäre unfair, sondern eine Koalition der Willigen. Wenn wir eine Bankenunion schaffen, gewährleisten wir, dass die Interessen derer, die nicht in der Eurozone sind, gewahrt bleiben. Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten heißt nicht Euro der verschiedenen Geschwindigkeiten. Nehmen wir ein anderes Beispiel: Die Steuer auf Finanztransaktionen. Wir konnten das nicht mit 28 durchsetzen, ich hoffe aber, wir können es mit zehn machen. Wir müssen durch Beispiele zeigen, dass es besser ist, im Club zu sein als außen vor. Der Brexit ist das wichtigste interne Problem, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, auf freundliche Weise, denn wir müssen auch für morgen die Beziehungen zu Großbritannien bewahren. Dann gibt es Herausforderungen von außen: Donald Trump, Putin, der Terrorismus, die Flüchtlingsfrage. Ich denke, der Status quo ist keine Option. Wenn wir da stehen bleiben, wo wir jetzt sind, werden meiner Ansicht nach die Kräfte sehr stark sein, die versuchen, diese Union auseinanderzubringen.” Wie hoch ist das Risiko, dass das alles auseinanderfällt? Moscovici: “Das Risiko ist hoch. Es gibt da etliche – schauen Sie auf mein Land, Marine Le Pen, die Frankreich aus Europa und der Eurozone herausholen will. Aber ein Europa und ein Euro ohne Frankreich machen doch ehrlich keinen Sinn. Deshalb sage ich allen Europa-Befürwortern: Seid nicht schüchtern, schämt euch nicht, Europäer zu sein, seid stolz darauf! Nicht nur stolz auf das, was ihr erreicht habt, sondern auch stolz darauf, was ihr noch schaffen könnt!”