Kommentar: Wie Philosophen und Trash-TV-Stars gegen Greta Thunberg hetzen

Greta Thunberg besucht den Tagebau Hambach (Bild: Reuters/Wolfgang Rattay)
Greta Thunberg besucht den Tagebau Hambach (Bild: Reuters/Wolfgang Rattay)

Die Klimaaktivistin zieht weiter Hass an. Unabhängig davon, was man vom Klimawandel hält: Diese Pöbeleien entlarven nur die Armseligkeit dieser Kritiker.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Der eine hält sich für schlau, und der andere interessiert sich für solche Posen weniger. Der eine sieht sich als Vertreter eines „zeitgemäßen Postanarchismus“, der andere kocht und testet sich durchs Reality-Fernsehen. Gemeinsam haben der französische Philosoph Michel Onfray und der deutsche Entertainer Detlef Steves, dass sie Männer und jenseits der 50 sind.

Das qualifiziert sie womöglich für eine weitere Gemeinsamkeit, nämlich für die Abteilung Unflätiges gegen Menschen, die keine Männer und deutlich jünger sind und die durch ihr Verhalten ihnen einen Spiegel vorhalten, wie zum Beispiel Greta Thunberg es tut. Steves gibt sich davon lediglich genervt, während Onfray in einem angeblichen Furor und vielen Worten alte Feindseligkeiten gegen Menschen mit Behinderung hervorkramt.

Da die 16-jährige Thunberg gerade ein straffes Programm absolviert und auf der Straße, bei Versammlungen und vor Kameras eine starke Präsenz ausübt, also ihrem Engagement als Aktivistin nachgeht, fühlen sich manche Zeitgenossen dazu aufgerufen, nicht auf ihre inhaltlichen Forderungen zu antworten, sondern sie an sich mit Dreck zu bewerfen – als ob die Werfer dadurch hübsch aussehen könnten.

Was ist sein Problem?

Detlef Steves agierte auf Facebook fast noch harmlos. „Jetzt reicht's mir! Eine 16-Jährige beweint den Hambacher Forst? Die sollte lieber beweinen, dass ihr Freund auf einer Party mit ner anderen geknutscht hat oder dass sie keine Karten mehr für Pink bekommen hat!“ Damit will Steves vielleicht andeuten, dass er als 16-Jähriger in Moers womöglich ordentlich rumhirschte, auch wenn niemand nach dieser Information gefragt hat. Jedenfalls finde ich persönlich die gebaggerte Sandwüste am Hambacher Forst schon zum Heulen, aber wir alle sind verschieden weit entfernt vom Wasser gebaut. Darüber hinaus erweist sich Steves als Intimer Kenner des Thunbergschen Privatlebens: Woher weiß er, dass sie auf Pink steht? Ob sie einen Freund hat? Was ist sein Problem?

Vielleicht beruht sein Ärger auf einem Missverständnis. Denn er schreibt weiter: „Nur noch mal zum Klarstellen: Klimaschutz ja, aber nicht von jemandem, der meint, der Messias zu sein mit 16.“ Bleibt die bloße Frage, wann Thunberg jemals meinte, der oder irgendein Messias zu sein. Ich nahm die Jugendliche bisher wahr als jemand auf einer Mission, aber das ist Tom Cruise bei Mission Impossible auch, ohne den Messiasstatus für sich zu beanspruchen.

Steves offenbart ein Problem: Kritik an Thunberg zieht wirklich oft an der Realität vorbei, ihr fehlt zumindest das richtige Maß. Thunberg wird überhöht, Schilderungen über sie triefen vor Übertreibung. Damit entziehen sich die Kritiker übrigens auch Argumenten. Steves hat da sicherlich etwas zu sagen. Immerhin arbeitete er laut Wikipedia sechs Jahre lang als Schlosser auf einer Zeche und hat daher mehr Einblicke in Kohleabbau und in den Alltag von Kumpels als die meisten anderen. Darüber sollte er schreiben, und nicht über Party/Flirten/Popmusik/Pseudoreligiosität.

COLOGNE, GERMANY - APRIL 17:  Detlef Steves performs on stage during the 5th show of the television competition 'Let's Dance' on April 17, 2015 in Cologne, Germany.  (Photo by Sascha Steinbach/Getty Images)
Bekannt durch zahlreiche Reality-Fernsehsendungen: Detlef Steves (Bild: Getty Images)

Wer dagegen am besten nur noch schweigen sollte, ist Michel Onfray. Der bemüht keinen Eintrag auf Facebook, sondern einen „Essay“, um sich auf Thunberg einzuschießen.

Er nennt sie laut der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ „den schwedischen Cyborg“. Ihr Körper hat es ihm angetan. Ein „Antikörper“ sei das, „fleischlos“, wie der von „Silikonpuppen“. Ihr Gesicht sei aus Latex, aufgespannt mit „Stecknadeln des Nichts“.

Holla, dachte ich, vielleicht ist der Herr auf Speed und kratzt seinen letzten Rest Lebensenergie in die tippenden Finger.

Weiter fabuliert der Philosoph, sie zeige ein „Cyborg-Gesicht, das Emotionen ignoriert – weder Lächeln noch Lachen, weder Überraschung noch Staunen, weder Schmerz noch Freude“. Tja, die Sehnsucht danach muss bei Onfray tief liegen.

Nun muss erwähnt werden, dass Thunberg mit Asperger lebt, das ist eine Spielart des Autismus. Sie selber spricht mitunter davon und meint, Asperger helfe ihr die Dinge klarer zu sehen, wie den Klimawandel, bei dessen Analyse sie eben zu einem Entweder-Oder kommt, zu einem Schwarz und zu einem Weiß. Über ihre Analyse kann man diskutieren, ich persönlich stimme ihr vollkommen zu. Dass Asperger indes ihr Urteilsvermögen irgendwie negativ beeinflussen könnte, ist ein modernes Märchen.

Eines, das seit Jahrzehnten erzählt wird. Onfray ist nicht geistreich und innovativ, er referiert lediglich die unbegründeten Klischees über Autisten, nach denen die „ohne Gefühle“, „kalt“ oder eben andere Wesen seien, „Cyborg“ fasst diese Beleidigungen zeitgemäß zusammen.

It’s ableism, baby

Onfray schreibt nicht nur gegen alle Erkenntnisse der Wissenschaft, sondern gegen den puren Menschenverstand an. Wer jemals Bekanntschaft mit Leuten mit Asperger machte (und damit meine ich nicht „Rainman“ im TV), weiß, dass sie Reize und soziale Interaktion anders aufnehmen und gestalten als gemeinhin. Das kann zu Problemen führen, weil die große Mehrheit eben anders vorgeht. Da aber Asperger nicht mit einer Intelligenzminderung oder einer Entwicklungsverzögerung einhergeht, entwickeln schon Kinder und Jugendliche mit Asperger Strategien, um in der Mehrheitsgesellschaft nicht negativ aufzufallen und Opfer von jenem Mobbing zu werden, wie es Onfray nun ausübt. Thunberg versteckt sich halt nicht. Das macht sie zur Zielscheibe.

Michel Onfray gilt als links, argumentiert in Sachen Thunberg aber eher wie ein Faschist (Bild: Joel Saget/AFP)
Michel Onfray gilt als links, argumentiert in Sachen Thunberg aber eher wie ein Faschist (Bild: Joel Saget/AFP)

Welcher Teufel reitet Onfray, der sich gar als „links“ bezeichnet, so plump abwertend vorzugehen? Im Englischen gibt es dafür einen Begriff, ins Deutsche übersetzt heißt er „Ableismus“, ist aber kaum breit bekannt und bedeutet Behindertenfeindlichkeit. Onfray meint, Thunberg kann etwas nicht. In solchen Augen gelten Menschen mit einer Behinderung als minderwertig und sollten ausgeschlossen werden. Onfray schreibt wie ein verdammter Faschist.

Autisten werden vor allem besonders gemacht. Sie sind nicht notwendigerweise Telefonbücher verschlingende Genies, Cyborgs jedenfalls auch nicht.

Wenn Onfray sich über die angeblichen Mängel bei Thunberg auslässt, schreibt er zwischen den Zeilen natürlich darüber, was er alles kann: Leidenschaftlich sein, echt leben, voller Gefühle – und da sind wir wieder bei den Hirschen von Moers, bei der Brunst, wie sie bei älteren Männern umso lauter ausfällt, wenn sie nur Vergangenes beschwören, oder ein Bild davon. Eine ziemlich armselige Angelegenheit.

Klimawandel hin oder her, die Ikonisierung von Thunberg betreiben nur ihre Gegner. Und offenbaren damit Menschliches, auch voller Gefühle. Aber damit möchte ich bitte nicht behelligt werden.