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Kommentar: Wie Sigmar Gabriel am Grab der SPD kräftig schaufelt

Hat eine Idee für die Zukunft seiner SPD: Ex-Parteichef Sigmar Gabriel. Ist es auch die richtige? (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)
Hat eine Idee für die Zukunft seiner SPD: Ex-Parteichef Sigmar Gabriel. Ist es auch die richtige? (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)

Der Ex-Chef mault aus der Ecke: Das ist normal. Doch Sigmar Gabriel gibt seiner Partei dann auch noch fatale Tipps.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Lange nichts mehr gehört von der SPD, möchte man sagen. Die Sozialdemokraten befinden sich in einer derartigen Selbsttristesse, dass sie vielleicht sich selbst nicht mehr wahrnehmen. Doch zum Glück gibt es den Ex, auf den mit seinen ungebetenen Wortmeldungen stets Verlass ist.

Problematisch wird nur, dass Gabriel seiner nach Glück und Erfolg dürstenden Partei den Weg weg von der Tränke weist. Er ist ein Geisterfahrerlotse.

Kürzlich schoss Gabriel wieder eine Nebelkerze ab. "Die SPD ist linker als die Linkspartei geworden und ökologischer als die Grünen", klagte er. Die breite Schicht der "leistungsbereiten Arbeitnehmer" habe sich in der SPD lange gut aufgehoben gefühlt, doch habe eine Konzentration von Gruppen- und Minderheitenthemen dazu geführt, dass die Partei ihre eigentliche Wählerschaft aus den Augen verloren habe, monierte er.

Diese Analyse ist geschichtsvergessen und zukunftsunfähig zugleich.

Legt man das schale Obst beiseite und übersieht, dass Arbeitnehmer in der Regel “leistungsbereit” sind und dieses Adjektiv nicht wirklich Sinn macht außer dem zaghaften Handzeichen Gabriels, sich selbst als leistungsbereit zu bezeichnen, lässt sich dennoch nicht die Feststellung vermeiden, dass Gabriel eine Richtung beschwört, die genau mitverantwortlich für die Malaise der SPD ist.

Was aus dem Blick geriet

Gabriel spielt Arbeitnehmer, und davon gibt es viele, gegen “Gruppen- und Minderheitenthemen” aus. Er tut so, als sei der typische Arbeitnehmer in Deutschland ein Kohlekumpel; doch das ist seit Jahrzehnten nicht mehr der Fall.

Gabriel inszeniert ein Land, das es nicht gibt: In seinem Traumreich leben einerseits die vielen leistungsbereiten Arbeiter, die gern mit der Hacke über der Schulter zum Wohle aller schuften wollen, und dann leben da noch einige wenige elitäre Typen, welche allzusehr auf ökologische und linke Themen setzen – sicherlich sind es Latte trinkende Schöngeister, die gedankenvoll ihren Hipsterbart kraulen, während Mami und Papi ihr Erspartes leerräumen, damit ihre Kinder, welche die eigentliche Wählerschaft aus den Augen verloren haben, ihre Leistungsunbereitschaft ausleben können.

Gabriel wünscht sich eine SPD, die in der Zeit stehengeblieben ist. Kohlekumpels und ihre berechtigte Sorge um ihren Arbeitsplatz sollten umgemünzt werden in Ideen für andere Berufe in der Zukunft; denn es sind keine “Gruppen- und Minderheitenthemen”, die in den Vordergrund rücken, sondern die konkreten und existenziellen Fragen unserer Überlebenssicherung. Ganz ehrlich, und das ist echt nicht hipster-lattemäßig gemeint: Das Schicksal der Nation hängt nicht ab vom Wegfall von Arbeitsplätzen in der Kohleindustrie.

Hallo SPD, hier ist die Erde

Der Höhenflug der Grünen erklärt sich dadurch, dass diese Partei die Glocken gehört hat. Klimawandel ist gut für Weinbauern in Brandenburg, ansonsten ist er schlecht. Er wird auch weitaus mehr Arbeitsplätze vernichten, als es Kohlekumpels gibt. Ihn aufzuhalten ist eine nationale und internationale Aufgabe.

Die eigentliche Wählerschaft der SPD besteht nicht aus Klimawandelzweiflern, da haben etliche die Glocken gehört. Nur fehlt ihnen an der SPD der Gerechtigkeitskompass. Die SPD hat große Chancen einer Renaissance, wenn sie tatsächlich Fürsprecherin aller Arbeitnehmer in Deutschland wird. Dafür muss sie Ideen entwickeln, wie die enormen krisenhaften Herausforderungen gestemmt und darüber hinaus gestaltet werden. Sie braucht Antworten auf Umweltzerstörung, Klimawandel, Digitalisierung, nationale Alleingänge und Fluchtbewegungen.

Gabriel fand übrigens in seiner nicht kurzen Zeit als Parteivorsitzender (2009-2017) darauf nicht wirklich Substanzielles. Die Rolle des Besserwissers, die durchaus wichtig ist, steht ihm also nicht.