"Ich will nicht irgendwann im Dschungelcamp landen": Louisa Dellert über ihre vergangenen zehn Jahre als Influencerin und die Zukunft des Business

Louisa Dellert - Copyright: Lisa Kempke
Louisa Dellert - Copyright: Lisa Kempke

Dieser Artikel ist Teil der Serie „Traumjob Influencer? – Was wirklich hinter dem Business steckt“. Alle Texte der Serie findet ihr hier.

Louisa Dellert gilt als alter Hase unter den Influencern: 2013 ist die heute 33-Jährige als Fitness-Influencerin bekannt geworden. Mittlerweile macht sie vor allem Content zu Politik und Nachhaltigkeit und hat sich in diesem Bereich auch als Speakerin etabliert. Als Unternehmerin betreibt Dellert unter anderem einen Onlineshop und eine eigene Social Media Agentur. Auf Instagram folgen ihr 458.000 Nutzer.

In diesem zweiteiligen Interview spricht sie mit Business Insider über ihre Karriere, welche Möglichkeiten Creator heute haben und welche Verantwortung Influencer tragen.

Business Insider: Louisa, erinnerst du dich noch an deinen allerersten Post auf Instagram?

Louisa Dellert: Ich kann mich nicht genau daran erinnern, aber ich weiß, dass es was mit meinem Essen und meinen Sportschuhen zu tun hatte. Weil ich damals für mich und meine Freunde festhalten wollte, wie ich Sport mache und abnehme.

BI: Scrollt man in deinem Profil bis ganz nach unten, ist der letzte Post ein Post aus 2014. Du hast aber deutlich früher angefangen, dein Leben auf Instagram zu teilen.

Dellert: Als ich mit Instagram angefangen habe, habe ich viel Sport gemacht und wollte abnehmen. Den Account habe ich genutzt, um meine Erfolge zu teilen. Irgendwann habe ich gemerkt, dass vor allem meine Spiegel-Selfies, auf denen man meinen ganz flachen Bauch gesehen hat, richtig abgingen. Dann habe ich auch angefangen zu Posen – und habe noch mehr abgenommen und noch mehr Sport gemacht. Und diese Fotos sind dann, für damalige Verhältnisse zumindest, viral gegangen.

BI: Und warum hast du diese Bilder im Nachhinein gelöscht?

Dellert: Weil ich einfach ein scheiß Vorbild war. Ich habe damals auch andere dazu animiert, wenig zu essen und ihnen erklärt, wie sie das schaffen können. Ich war ja selbst auch viel zu dünn. 2014 musste ich am Herzen operiert werden und konnte danach lange keinen Sport mehr machen. Und da habe ich dann langsam gemerkt, wie uncool das ist, was ich gepredigt habe. Ich wollte auch nicht dafür verantwortlich sein, dass andere sich runterhungern. Und dann habe ich irgendwann die Posts gelöscht. Heute bereue ich es, weil ich kaum noch Bilder habe, die ich zur Abschreckung zeigen könnte. Jetzt würde ich stattdessen eine Warnung in die Caption schreiben.

BI: Dein erster Post aus 2014 mutet ein bisschen wie ein Wendepunkt in deinem Leben an. Man sieht dort eine Bildercollage mit Fotos von dir im Krankenhaus und der Narbe auf deinem Brustkorb. Und du schreibst unter anderem: „Lebt euer Leben. Esst, was ihr wollt. Seid dankbar.“

Dellert: Da bekomme ich ein bisschen Gänsehaut.

BI: Hattest du da schon den Gedanken, dass du ein schlechtes Vorbild warst?

Dellert: Ich muss ehrlich sagen, dass das eher ein schleichender Prozess war. Nach der OP hatte ich eine ziemlich emotionale Zeit. Ich durfte sechs Monate keinen Sport mehr machen, weil mein Brustkorb erstmal wieder zusammenwachsen musste. Ich habe dann eine Therapie angefangen und mir auch Gedanken darüber gemacht, wie es jetzt weitergehen soll. Auf der einen Seite wusste ich, dass es falsch war, den Sport so zu nutzen, um damit Geld zu verdienen und junge Leute zu beeinflussen. Auf der anderen Seite habe ich mich gefragt: Was mache ich denn jetzt? Ich glaube, ich wollte mich da vor allem einfach mitteilen. Und das war bei mir halt schon immer so, dass ich gesagt habe: Okay, wenn‘s scheiße läuft, musst du auch darüber reden und du kannst nicht nur die geilen Momente zeigen.

BI: Du hast dann nach und nach angefangen, Content in eine andere Richtung zu machen – zum Beispiel über Feminismus, Körperbilder und irgendwann auch zum Thema Nachhaltigkeit. Hattest du das Gefühl, du musst damit etwas gutmachen?

Dellert: Nein. Ich kann verstehen, dass alle dazu tendieren, Influencer kategorisieren zu wollen, aber ich glaube, so einfach ist das nicht. Ich hatte irgendwann einfach keinen Bock mehr auf Sport, weil es mich nicht mehr so interessiert hat. Vielleicht war ich auch gestresst davon, also wollte ich das auch einfach nicht mehr teilen. Und dann gab es auch erstmal eine Zeit, da habe ich einfach nur gezeigt, wie ich lebe, was ich mache. Das Thema Nachhaltigkeit entstand auf meinem Kanal also nicht von heute auf morgen. Ich habe mich entwickelt, meine Prioritäten haben sich geändert. Und damit auch mein Content auf Instagram.

BI: Heute bist du eine sogenannte Sinnfluencerin – das heißt, du willst mit deiner Reichweite auch etwas bewegen. Gleichzeitig verdienst du mit Kooperationen dein Geld, wie passt das zusammen?

Dellert: Mittlerweile ist es tatsächlich so, dass ich lieber auch mal weniger Geld im Monat verdiene, als Kooperationen anzunehmen, die nicht zu meinem Wertekompass passen.

BI: Was heißt das?

Dellert: Ich frage mich vor jeder Kooperation, ob dieses Produkt wirklich nützlich ist oder einen Sinn erfüllt. Und mir ist wichtig, dass Unternehmen kein Greenwashing betreiben, sondern nur damit werben, was auch wirklich stimmt. Wenn jemand beispielsweise mit einem 100 Prozent CO2 neutralem Produkt wirbt, frage ich erstmal nach, wie das sein kann, denn in einer nicht nachhaltigen Welt kann man auch nicht zu 100 Prozent C02-neutral produzieren – und wenn, dann nur durch Kompensation. Ansonsten ist mir mittlerweile zum Beispiel auch wichtig, nur vegane Produkte zu bewerben. Ich schaue aber auch, ob und welcher Kritik das Unternehmen bisher schon ausgesetzt war und was sich daraufhin geändert hat.

BI: Aber das war mal anders?

Dellert: Früher habe ich wirklich alles angenommen – von der elektrischen Zahnbürste bis hin zu Werbung für einen großen Sportartikelhersteller. Wenn ich mir heute die Liste angucke, mit wem ich so zusammengearbeitet habe, sehe ich da ganz viele Unternehmen, mit denen ich heute erstmal in ein tiefes Gespräch gehen würde. Der Sinneswandel kam 2017. Damals ist mir während eines Urlaubs auf Malta zum ersten Mal aufgefallen, wie viel Müll am Strand und im Meer landet. Das hat mich auch emotional sehr beschäftigt. Also habe ich angefangen, mich zum Thema Nachhaltigkeit zu informieren. Und das hieß für mich dann irgendwann auch, mit bestimmten Unternehmen nicht mehr zusammenzuarbeiten.

BI: Du verdienst schon sehr lange dein Geld als Influencerin. Warst du da nicht auch in gewisser Weise abhängig von den Einnahmen durch die Kooperationen?

Dellert: Ja, irgendwann habe ich gemerkt: Das funktioniert nicht mehr. Erstmal habe ich natürlich angefangen, nach Unternehmen und Kooperationen suchen, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Aber damals hat das echt noch keine Sau interessiert. Es gab einfach nichts.

BI: Also brauchtest du eine andere Einnahmequelle.

Dellert: Ja. Und trotzdem wollte ich die Möglichkeit, über Instagram Geld zu verdienen, nicht einfach aufgeben. Und dann habe ich überlegt: Was macht Sinn? Wie kann ich dazu beitragen, dass in den Haushalten weniger Plastik verbraucht wird? Und wie kann ich die Menschen dazu bringen, Produkte nicht nur einmal zu benutzen? So kam mir dann die Idee für Naturalou.

BI: Das ist dein Online-Shop. Dort verkaufst du unter anderem allerlei plastikfreie Haushaltsartikel.

Dellert: Genau. Das wurde dann eine Zeitlang zu meiner Haupteinnahmequelle. Kurze Zeit später wurde dann Greta Thunberg berühmt. Das war für mich wirklich ein Segen, weil das Thema natürlich einen größeren Fokus bekommen hat und mehr und mehr Mainstream wurde. Dementsprechend hat es die Leute dann auch einfach mehr tangiert. Ich glaube, ich hatte einfach Glück, dass ich das Thema schon vorher für mich entdeckt hatte und es dann groß geworden ist. Denn mittlerweile ging es ja auch auf meinem Kanal viel um Nachhaltigkeit und Umweltschutz.

Nebenbei hostet Louisa Dellert ihren eigenen Podcast ("LOU Podcast") und moderiert das Funk-Talkshowformat "Deep und Deutlich".  - Copyright: Lisa Kempke / Business Insider
Nebenbei hostet Louisa Dellert ihren eigenen Podcast ("LOU Podcast") und moderiert das Funk-Talkshowformat "Deep und Deutlich". - Copyright: Lisa Kempke / Business Insider

BI: Heute gibt es viele Influencer, die auf eigene Produkte setzen, aber damals war das noch eher selten.

Dellert: Das stimmt, aber für mich war das ganz logisch. Ich glaube, das liegt auch ein bisschen an meiner Mentalität. Ich komme aus einer Familie von Dachdecker-Unternehmern. Bei uns gilt der Grundsatz: Im Zweifel einfach machen! Praktisch denken! Und wenn es nicht läuft, dann guckt man, wie man es anders angehen kann. Im Prinzip habe ich es von Anfang an so gehandhabt.

BI: Inwiefern?

Dellert: Als ich mit dem Fitness-Content angefangen, habe ich noch bei meinem Vater im Unternehmen gearbeitet und wusste nicht mal, was eine Influencerin ist. Mein Account bekam dann vor allem in Braunschweig – dort habe ich damals gelebt – sehr viel Aufmerksamkeit. Also habe ich ein Community-Treffen in Braunschweig organsiert. Und da kamen dann tatsächlich so 40 bis 50 Leute, die mit mir Sport gemacht haben. Mein Vater ist fast aus den Latschen gekippt und ich war auch total überfordert. Aber da habe ich verstanden, welche Möglichkeiten ich habe. Und weil mich immer alle gefragt haben, wie ich Sport mache, habe ich meine Workouts in einer PDF-Datei festgehalten und die für fünf Euro an meine Follower verkauft. Und das war für mich der Einstieg zu verstehen: Mit Reichweite und dem, was ich mache, kann ich auch Geld verdienen.

BI: Heute setzen Influencer oft auf eigene Mode-Kollektionen oder Testimonial-Kampagnen. Wie unabhängig machen sie sich damit überhaupt noch?

Dellert: Das ist die große Frage. Grundsätzlich bringt so etwas natürlich Geld ein und macht Menschen damit mittel- oder sogar langfristig finanziell freier und unabhängiger. Aber ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist. Letztendlich ist so eine Mode-Kollektion irgendwann auch ausgelutscht und bringt dich nicht weiter, wenn du als Person nicht mehr bekannt bist oder die Leute dich nicht mehr sehen wollen. Diese Situation kann nämlich auch eintreten. Und das verstehen viele, besonders junge Content Creator noch nicht.

BI: Und was würdest du stattdessen machen?

Dellert: Wenn ich Managerin von einem Content Creator wäre, dann würde ich ihm ganz klar sagen: Horch mal in dich hinein: Welches Thema liegt dir am Herzen und was kannst du damit machen? Ein Content Creator, der auf seinen Kanälen beispielsweise über Hass im Netz aufklärt, muss nicht die hundertste Fashion Brand auf den Markt bringen. Stattdessen könnte man vielleicht überlegen, wie man mit der Reichweite etwas Sinnvolles aufbaut – einen Verein oder eine nützliche App zum Beispiel. Da dann weiterzudenken, das fehlt mir manchmal in der Branche.

BI: Im Sommer 2022 hast du deine eigene Social Media-Beratungsagentur gegründet. Wie kam es dazu?

Dellert: In den vergangenen zwei Jahren war ich aber immer wieder an dem Punkt, an dem ich mich gefragt habe, ob das Influencerinsein mir überhaupt noch Spaß macht. Man kriegt einfach so oft Shit für alles Mögliche und aus den verschiedensten Filterblasen und man ist ständig in den Medien. Das ist kräftezehrend. Vor allem, wenn man das meiste allein macht, so wie ich. Das heißt: Ich brauche mittlerweile einfach mehr Pausen. Und Pausen bedeuten in der Social Media-Welt, dass man an Relevanz verliert. Es war an der Zeit, dass ich mich weiterentwickle. So böse es klingt: Ich wollte nicht irgendwann in einem Teufelskreis der Aufmerksamkeitsökonomie im Dschungelcamp landen.

BI: Und warum dann eine Beratungsagentur?

Dellert: Weil ich die Expertise habe. Ich habe zehn Jahre lang gelernt, wie man kommuniziert, was man lieber lässt, wie man mit Shitstorms umgeht und wie Plattformen funktionieren. Ich kann guten Gewissens sagen, dass es das ist, was ich kann und was machen möchte. Es fühlt sich einfach gut und richtig an. Und ich möchte gerne Brands, aber auch Einzelpersonen und Content Creator dazu ermutigen, wertvoller und verantwortungsbewusster zu arbeiten. Und das ist im Prinzip die Mission, die dahintersteckt.

Teil zwei des Interviews lest ihr kommende Woche auf Business Insider. Um nichts zu verpassen, meldet euch hier für den BI Daily Newsletter an.