„Ich will nicht sagen, das ist Unfug, aber ...“: Vorschläge aus der Politik gegen die Krise bringen Ifo-Chef Fuest aus der Fassung

Das staunt der Ökonom, und der Laie wundert sich. Ifo-Präsident Clemens Fuest.  - Copyright: Picture Alliance
Das staunt der Ökonom, und der Laie wundert sich. Ifo-Präsident Clemens Fuest. - Copyright: Picture Alliance

Ifo-Präsident Clemens Fuest ringt um Fassung. Im getäfelten Saal der Leibniz-Gemeinschaft in Berlin hat er gerade seine Prognose für die in der Krise gefangene deutsche Wirtschaft präsentiert. „Die Lage ist ernst“, sagt Fuest. Mehrere Ranglisten führen den eher kühler, analytischen Volkswirt als Deutschlands einflussreichsten Ökonomen. Unlängst hat er eine lange Reformagenda für Deutschland vorgelegt. Sein Rat ist bei der Politik gefragt. Doch aktuell macht diese Politik ihn ratlos. Das wird deutlich, als Fuest auf jüngste Vorschlägen aus der Politik gegen diese Krise angesprochen wird: Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel? Ladeguthaben für E-Auto-Käufer? Mietendeckel? Fuest zögert.

Dem 56-jährigen Westfalen ist anzusehen, wie es in ihm arbeitet. „Ich will nicht sagen, dass das Unfug ist“, sagt Clemens Fuest schließlich. Und sagt es in den Worten des Ökonomen dann doch: „Aber das ist alles doch nicht zielführend“. Konkret nimmt er den Vorschlag von Wirtschaftsminister und Kanzlerkandidat Robert Habeck auseinander, den Kauf von E-Autos mit einem Ladestrom-Guthaben von 1.000 Euro anzureizen. „Das klingt wie ein Marketing-Gag der Autoindustrie. Aber das ist doch vollkommen ungeeignet, auch nur eines der Probleme der Autoindustrie zu lösen.“

Marketing-Gags und Wohlstandsvernichtung

Dass auch immer wieder eine Abwrackprämie für funktionierende Autos ins Spiel gebracht wird, nennt Fuest ein gezieltes „Wohlstandsvernichtungsprogramm“. Wie beim Ladeguthaben werde damit keines der Probleme gelöst, warum Kunden sich nicht freiwillig für ein E-Auto entscheiden.

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Ebenso verwundert ihn der Vorschlag von Kanzler und Kandidat Olaf Scholz, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel von 7 auf 5 Prozent zu senken: „Das ist eine teure, wenig zielgenaue Umverteilung“, sagt Clemens Fuest. Wenn man etwas für Menschen mit geringen Einkommen tun will, wären direkte Hilfen besser. Aber eine neue Sonderlocke bei der Mehrwertsteuer, die auch die Milch für Millionäre einige Cent billiger machen würde: „Das ist Umverteilung, wie man sie nicht machen sollte". Dass die CSU den Vorschlag umgehend für sich reklamiert, trägt auch nicht gerade dazu bei, Fuest' Hoffnung auf den ökonomischen Verstand einer kommenden Regierungspolitik zu stärken.

Deckel auf der längsten Stagnation der Geschichte

Das ist es, was es Fuest sichtlich schwermacht, die Contenance zu wahren: Seit sechs Jahren steckt Deutschland in der Stagnation fest. So lange wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Dem Land droht eine Deindustrialisierung, ein Abstieg. Allen sollte klar sein, dass es wirkliche Reformen braucht, um Wachstumskraft und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Stattdessen immer wieder solche Vorschläge, die an Symptomen doktern, vordergründige Wünsche befriedigen, bestenfalls keinen zusätzlichen Schaden anrichten – meistens aber doch.

Zum Beispiel der Mietendeckel. Jeder weiß, es fehlen Wohnungen. Also müssten mehr Wohnungen gebaut werden, und mehr bestehende Wohnungen müssten an den Mietmarkt kommen. Wie man das nun ausgerechnet mit einem Mietendeckel bewerkstelligen will, macht den Ökonomen ratlos. Studien, dass Mietendeckel das Angebot an Mietwohnungen verringern, gebe es ausreichend. Allein, wen interessiert’s?

Im Gegenteil sind auffallend viele ökonomisch offenkundig unsinnige, ja schädlichen Forderungen populär. Weil sie populär sind, nehmen Politiker sie auf. Ist das bequem? Ist das Populismus? „Jetzt ist Wahlkampf“, sagt Clemens Fuest, zuckt mit den Achseln und zieht die Mundwinkel noch ein wenig tiefer herunter.

Schuldenmachen kann jeder. Umschichten und Sparen ist anspruchsvoll

Wenn es schon im Kleinen nicht gelingt, Menschen die Wahrheit zu sagen und sie von wirtschaftlichen Zusammenhängen zu überzeugen, wie könnte man als Ökonom im Großen darauf hoffen. Etwa beim ganz großen Thema, der Schuldenbremse. „Ich halte es für einen Fehler, wenn die Debatte über die Ausgaben des Staates mit der Schuldenbremse begonnen wird“, sagt Fuest. Zu Beginn müsse gefragt werden, was der Staat tun solle und was nicht. In den vergangenen Jahren sei die Staatsquote, also der Anteil des Staates an der Wirtschaft von 44 auf 49 Prozent gestiegen. Der Staat habe sich ja nicht zurückgezogen, sondern ausgebreitet. Vor allem durch mehr Subventionen.

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Zuerst müsse es daher eine Bestandsaufnahme geben, Umschichtung von Ausgaben und Einsparungen. Wenn das nicht ausreiche, um nötige Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung zu finanzieren, dann könne man über Sondervermögen reden. „Aber es ist fatal, mit der Schuldenbremse anzufangen.“

Womit Fuest wieder bei der Politik ist: „Schuldenmachen ist leicht. Das kann jeder“, sagt der Ökonom. „Ausgaben umzuschichten, zu sparen, das ist anspruchsvoll“. Dafür müssten Verteilungskonflikte gelöst und ausgehalten werden. Dieser Aufgabe gehe die Politik aus dem Weg.

Stattdessen „Symptom-Kuren“. „Die Politik sollte sich mit Ursachen der Krise beschäftigten", fordert Fuest. Er sagt es mit wenig Illusion. Wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Ökonomie haben es in der Politik besonders schwer. Als Beispiel nennt Fuest einen guten Vorschlag: Die dringend nötige Zuwanderung in den Arbeitsmarkt mit Anreizen bei der Einkommensteuer für Zuwanderer zu fördern. Es gebe klare empirische Studien anhand echter Beispiele anderer Länder, dass sich ein solches Instrument auszahlt. Das müssten Politiker erklären. Denn populär sind steuerliche Anreize für Ausländer bei Inländern nicht. Schnell war der Vorschlag im Sommer auch wieder in der Schublade verschwunden.

Clemens Fuest: „All das verlangt Konsumopfer"

Fuest will konstruktiv sein. Auch die Ampel-Koalition habe richtige Vorschläge in ihrem Wachstumspaket geplant. Er halte auch gar nichts davon, einer kommenden Regierung schon im Vorhinein wenig zuzutrauen. Wer hätte schon erwartet, dass Anfang des Jahrtausends die rot-grüne Regierung mit den Arbeitsmarkt-Reformen einen Grundstein für den folgenden, langen Aufschwung legen würden.

Doch vor Deutschland liegt ein schwieriger Weg. Am Beginn einer Lösung stehe Einsicht. Zum Beispiel, dass der Umbau zu einer CO₂-freien Energieversorgung oder sogar einer klimaneutralen Wirtschaft teuer ist. Dass zudem die Verteidigung hohe Investitionen erfordere. Und dass beides erst einmal nicht das Wachstumspotenzial erhöht. „All dies verlangt Konsumopfer“, sagt Clemens Fuest. Das müsste auch in der Politik mal jemand sagen. Stattdessen verspreche sie durch die Dekarbonisierung auch noch ein Wirtschaftswunder. Aber wundergläubig? Das wird Clemens Fuest in diesem Ökonomen-Leben nicht mehr werden.