Wir müssen reden: Über die No-Go-Areas in Deutschland

Demonstranten in Rostock-Lichtenhagen. EFE/Archiv
Demonstranten in Rostock-Lichtenhagen. EFE/Archiv

25 Jahre nach der rassistischen Randale von Rostock-Lichtenhagen hat sich viel verbessert. Aber schmerzhafte Punkte bleiben. Und die werden gern übersehen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Es wird jetzt leider ein wenig unbequem. Das Los von uns Kolumnisten ist, besserwissend daherzukommen, schließlich beschäftigen wir uns nicht ausschließlich mit uns selbst, was auch zügig an Interesse verlöre. Wir schreiben halt über andere, gern spöttisch. Beim Maskenball schanzt man dann immer uns das Kostüm des eitlen Gecks zu. Das ist zwar ungerecht, aber das Leben ist eben doch keine Schachtel voller Pralinen und auch kein Picknick.

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Besonders anmaßend und schmerzhaft wird es, wenn wir als Vertreter einer Schublade über eine andere schreiben, da potenzieren sich die Stacheln an der Lektürerose zu einem Dornenschrank. Nun aber ist es wieder soweit. Ein Wessi schreibt über Ossis, dafür gibt es einen Grund.

Vor 25 Jahren schaute eine breite Menschenmenge in Rostock-Lichtenhagen vergnüglich zu, wie ein Mob gegen eine Aufnahmestelle für Asylbewerber und ein Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter anrannte. Die Polizei zog sich zurück, es loderte – und damit auch der Menschenanstand. In Brand gesteckt wurde er von Familien, die im Angesicht des Feuers eine Flasche Sekt öffneten.

Jetzt kommt der schon wieder

Damals blühte uns Wessis, die wir ja immer meinen die Nase vorn zu haben, dass in Sachen Rassismus ein neuer Champion in den Ring gestiegen war. Seitdem hat sich viel getan. Ostdeutschland hat sich verändert, wurde offener und demokratischer. Viele zivilgesellschaftliche Strukturen, das beste Vademekum gegen Menschenfeindlichkeit, wurzeln seitdem dort.

Manche Leser denken nun womöglich, was kommt der jetzt mit den ollen Kamellen, von wegen Sekt in Lichtenhagen. Kann das nicht zu den Akten gelegt werden? Und wie steht es um schlechtes Benehmen von Wessis?

Nun, darüber ließe sich einiges schreiben. In Maulfaulheit und Weggucken sind wir Wessis immer noch spitze. Beim Gedanken an eine Art von Gemeinschaft klicken wir rasch Amazon an, und dass wir die einwandernden Griechen, Italiener und Türken als neugierige und offene Gesellschaft begrüßten, ist ein Märchen. Aber zumindest beim letzten Punkt haben wir gelernt, unsere Voraussetzungen waren auch günstiger: Immerhin sperrten wir sie nicht in Wohnheime weg, sondern ließen sie in echte Wohnungen mit echten Straßen, die nicht alle Sackgassen waren (manche schon). Da entwickelte sich ein Zusammenleben, und alle statistischen Daten bestätigen, dass Vorbehalte gegenüber „Fremden“ dort am größten sind, wo es sie nicht gibt.

Die DDR schließlich war eine autoritäre Gesellschaft, der Staat regelte – und hatte in den Augen seiner Bürger auch zu regeln. Dieses Prinzip der Einfachheit spiegelte sich auch im Umgang mit den wenigen Nichtdeutschen in der DDR: Sie gehörten nicht dazu. Für Vorbehalte gegenüber anderen war das guter Humus.

Immer das gleiche Bier?

Politiker bei der AfD halten das für eine vernünftige Einstellung, für ein gesundes Nationalbewusstsein, irgendwie noch unverfälscht im Vergleich zum westlichen Wischiwaschi. Der Humus aus Zeiten der DDR wirkt eben noch heute, nur in verminderter Dosis. Die AfD findet das toll, und nicht umsonst investiert sie einen gewissen Teil ihrer Energie in den Landtagen, zivilgesellschaftlichen Gruppen das Leben zu erschweren.

Ich persönlich finde das weniger gesund. Warum sollte es gut sein, wenn mich ein schlechtes Gefühl beim Anblick anderer Menschen beschleicht, weil ich denke, die seien anders als ich? Für mich klingt das wie eine Dysfunktion.

Um es auf den Punkt zu bringen: Der Rassismus im Osten gestaltet sich im Vergleich zu dem aus dem Westen dahingehend, dass Mancher im Osten keinen Urlaub machen möchte – wenn seine Bräune zum Beispiel nicht aus dem Sonnenstudio kommt. Irgendwie fühlt der sich im Westen weniger unwohl. Das ist kein Kompliment für den Osten. Und ja, dieses Gerede von „Ost“ und „West“ auch nach so vielen Jahren der Wiedervereinigung notwendig und keine Spalterei – eine unterschiedliche Geschichte lässt sich nicht wegdenken.

Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung, die vielfach dafür angefeindet wird, dass sie Wahres ausspricht, sagte am Mittwoch im „Deutschlandfunk“, No-Go-Areas gebe es in Ostdeutschland noch immer. „Warum kann man nicht darüber sprechen? Die Tatsache, dass nicht darüber gesprochen wird, vertieft das Problem nur. Ja, es ist nach wie vor so.“

Also, dann mal los.

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