„Wirklich eine eigene Liga“ - Warum Deutschland das Land der Geldautomatensprenger ist
Fast täglich wird in Deutschland ein Geldautomat gesprengt. Es ist dabei kein Zufall, dass die Kriminellen ihrem Handwerk ausgerechnet in Deutschland nachgehen. Die Lösung des Problems dürfte vielen Verbrauchern aber nicht gefallen.
Die schwarze Limousine verschwand Richtung Autobahn, sagen Augenzeugen. Die Bank sagt: Die Täter haben Geld erbeutet, und der Sachschaden allein liegt im sechsstelligen Bereich. Das Ziel: Ein Geldautomat, gesprengt am frühen Morgen um 4.30 Uhr.
Der Tatort dieses Mal: Parkplatz eines Supermarkts im saarländischen Quierscheid . Vor wenigen Tagen war es Berlin-Lichtenberg . Einige Wochen zuvor: Ebeleben im Thüringer Kyffhäuserkreis . Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Deutschland ist zum Land der Geldautomatensprenger geworden. Praktisch jede Nacht trifft es einen weiteren Standort.
Die Vorteile für die Kriminellen liegen auf der Hand: Kaum oder keine Zeugen, es braucht keine Waffenandrohungen, keine Kooperation der Bankmitarbeiter, wie bei einem bewaffneten Überfall. Stattdessen muss der Automat nur mit aufgesprengt werden, manchmal mit festen Explosivmitteln, oft auch nur mit Gas. Nach wenigen Minuten können sich die Kriminellen mit ihrer Beute davonmachen.
„Deutschland ist hier wirklich eine eigene Liga“
Die Welle an Sprengungen erwischt kein anderes Land in Europa so sehr wie Deutschland, berichtet Bloomberg . Seit 2005 erhebt das Bundeskriminalamt Zahlen. Gut zehn Jahre später zeichnete sich der Boom bereits ab. 2016 registrierten die Beamten bereits 318 Sprengungen, 2022 gipfelte die Statistik schließlich bei 496.
Stefan Lessmann, der beim Automaten-Marktführer Diebold Nixdorf für die Sicherheit verantwortlich ist, sagt hierzu: „Überall auf der Welt sehen wir, wie Automaten gesprengt werden, aber Deutschland ist hier wirklich eine eigene Liga.“
Paradies für Banden aus den Niederlanden
Der Grund, so Bloomberg: Banden aus Amsterdam und Utrecht konzentrierten sich zuvor auf die Niederlande, bis das Land Mitte der 2010er gegensteuerte und ganz einfach die Zahl an Automaten reduzierte – von 20.000 auf nur noch 5.000 – und Geschäfte und Verbraucher animierte, bargeldlos zu bezahlen. Daraufhin visierten die Kriminellen das Nachbarland Deutschland an.
Mit über 50.000 Automaten in der Republik fanden die Verbrecher hier ein Paradies vor, schreibt die Finanznachrichtenagentur. Noch dazu habe Bargeld einem Bundesbank-Bericht aus dem Januar eine „besondere soziale Bedeutung“ – eine Mehrheit der Bundesbürger hat es weniger als einen Kilometer bis zum nächsten Automaten. Das Autobahnnetz bietet den Sprengern zudem einen bequemen Fluchtweg.
Außerdem begünstigt Deutschlands Dezentralität das Handwerk der Banden. Während die Niederlande nur vier Banken haben, gibt es hierzulande hunderte Institute. Weil jedes der 16 Bundesländer eine eigene Polizei hat, ist die koordinierte Bekämpfung der Geldautomatensprenger eine Herausforderung.
Auch nach Hunderten Verhaftungen gehen die Raubüberfälle weiter
Zu guter Letzt scheint den Banden der Nachschub an willigen Sprengern nicht auszugehen. So berichtet Achim Schmitz, Polizeibeamter aus Nordrhein-Westfalen und Leiter eines Teams nur für Automatensprengungen, dass sie über die Jahre zwar hunderte Verdächtige verhaftet hätten, die Einbruchsserie aber deswegen nicht abriss.
„Wir dachten 2015, wenn wir nur den Ring an Tätern zerschlagen würden, würde das Problem enden. Von dieser Hypothese mussten wir uns vor langer Zeit verabschieden“, sagt Schmitz.
Zwar arbeitet die Bundesregierung an höheren Haftstrafen – bis zu 15 Jahre – für derartige Raubfälle. Allerdings, schreibt Bloomberg, fragen sich die Strafverfolger ebenso, ob die Banken nicht auch mehr zur Vorbeugung unternehmen könnten.
Ein runder Tisch der Bundes- und Landeskriminalämter, der Bundesbank, des Finanzsektors und der Versicherer beschloss daher 2022, mehr präventive Maßnahmen zu ergreifen. Darunter fallen etwa neue Schutzmechanismen sowie das Entfernen von Automaten aus riskanteren Gegenden. Allerdings sind diese Maßnahmen freiwillig.
Teilweise hätten diese Maßnahmen Erfolg, so Bloomberg. Die Zahlen würden langsam fallen. Allerdings brachten die Banken in den vergangenen Jahren auch über 300 Millionen Euro für den Schutz der Automaten auf.
Automatensprenger umgehen neue Sicherheitssysteme mit den simpelsten Lösungen
Nicht immer gewannen die Institute den Rüstungswettlauf gegen die Kriminellen. Als die Banken beispielsweise Nebelsysteme installierten, um Raubversuche mit dichtem Rauch zu verhindern, brachten die Automatensprenger einfach Laubgebläse mit. Verstärkte Automaten wiederum führten dazu, dass die Kriminellen von Gas auf solide Sprengstoffe umstiegen. In rund sechs von zehn Fällen, so eine BKA-Statistik, gelinge das Aufsprengen von Automaten.
Diebold-Nixdorf-Exoerte Lessmann wiederum bekräftigt, dass es einfach unmöglich sei, zu 100 Prozent sichere Automaten zu entwickeln – „weder physikalisch, noch kostentechnisch“. Gewisse Schutzmaßnahmen, wie beispielsweise Tintenpatronen, welche die Scheine verfärben, haben ihre ganz eigenen Nachteile. Viele der Scheine seien danach unbrauchbar.
Letztlich gebe es daher keinen garantierten Schutz für die Automaten – es sei denn, man baut sie ab, insbesondere bei Standorten mit angrenzenden Wohnungen. „Das wäre das letzte Mittel“, sagt hierzu die Sparkassen- und Giroverband, und fügt an: „Das wäre sicher nicht beliebt, aber es gibt keine Alternative, wenn dadurch Leib und Leben bedroht sind“.
Polizist plädiert dafür, es den Niederlanden gleichzutun
Daher sollte sich Deutschland die Niederlande als Vorbild nehmen, sagt der niedersächsische Polizeibeamte Jens Burrichter gegenüber Bloomberg. Die Zahl der Automaten müsse drastisch sinken, wie auch der Gebrauch von Bargeld. Gleichzeitig weiß auch Burrichter, dass man damit in Deutschland bei einer Wahl nicht punkten kann.
„Alles werden wir nicht ändern können. Mein Vater ist 70, er wird keinesfalls zur Karte wechseln, um beim Bäcker fürs Brot zu bezahlen.“ Und so wie Burrichters Vater ticken weiterhin viele Bundesbürger. 2023, so eine Bundesbank-Studie , wurde die Hälfte aller Transaktionen mit Bargeld bezahlt.
Viele Verbraucher tragen auch weiterhin Bargeld bei sich, auch wenn immer öfter die Karte gezückt wird. Rund zwei Drittel möchte Bargeld auch in 15 Jahren weiter nutzen wie bisher. Und dafür wären auch dann noch Geldautomaten nötig.