Wirtschaftspapier veröffentlicht - „Indiskretion“: FDP-Chef Lindner schickt Brandbrief an die eigene Partei

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Christian Lindner (FDP)IMAGO/BMF

Die Ampel ist uneins darüber, wie die Wirtschaft angekurbelt werden soll. Da taucht ein neues Papier von FDP-Chef Lindner auf. Dieser beteuert, es sei nur intern für die Regierung bestimmt gewesen.

FDP-Parteichef Christian Lindner hat „eine Indiskretion“ beklagt, nachdem sein Grundsatzpapier über eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik öffentlich geworden ist. Das Papier hätte zunächst nur im engsten Kreis der Bundesregierung beraten werden solle, schrieb Lindner in einer E-Mail an Parteifreunde, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Wer allerdings für den Leak des Wirtschaftspapiers verantwortlich ist, darüber streitet die Ampel. Laut „Bild“ werfen sich alle drei Regierungsparteien untereinander Verrat vor. Droht jetzt das Ampel-Aus? „Die nächsten Stunden sind entscheidend“, sagt ein führender FDP-Politiker.

Lindner: „Deutschland kann mehr als Durchschnitt“

Lindner schreibt in seinem Brief an die eigene Partei weiter, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vergangene Woche seine Vorschläge zur Bewältigung der Herausforderungen inklusive eines kreditfinanzierten Sondervermögens öffentlich gemacht habe. Zu seinem eigenen Papier schrieb er, mit diesem Konzept schlage er „eine alternative Richtungsentscheidung für unser Land“ vor. „Wir werden im Gesamtkontext nun in Regierung und Koalition beraten.“

„Deutschland kann mehr als Durchschnitt“, schrieb Lindner. Deutschland habe weder zu niedrige Steuern noch zu geringe Staatsausgaben, so der FDP-Chef weiter. Zudem habe Deutschland das Kapital, um das Land zu modernisieren, seine Sicherheit zu stärken und Freiräume für einen neuen Aufschwung zu öffnen. Damit erläuterte Lindner sein Grundsatzpapier, in dem etwa als Sofortmaßnahme die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Vielverdiener, ein sofortiger Stopp aller neuen Regulierungen sowie ein Kurswechsel in der Klimapolitik gefordert werden.

Der Lindner-Brief im Wortlaut

„Liebe Parteifreundinnen, liebe Parteifreunde,

ein Papier, das zunächst nur im engsten Kreis der Bundesregierung beraten werden sollte, wurde heute durch eine Indiskretion anderswo öffentlich. Ich will es nun einordnen:

Deutschland kann mehr als Durchschnitt. Unser Land steckt voller Chancen. Es sind Chancen, die im Moment auf zu viele Hindernisse treffen. Unsere Produktivität ist zu schwach, um ganz vorne mitzuspielen. Bürokratie erstickt gute Ideen. Eine zu hohe Steuerbelastung schwächt Anreize. Politische Unsicherheit bremst Investitionen. Was uns hemmt, wird nicht von allein verschwinden. Aber wir haben es in der Hand, uns davon zu befreien.

Unbestritten ist: Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit hat gelitten. Unsere Infrastruktur hat massiven Modernisierungsbedarf. Und wir werden dauerhaft wesentlich mehr tun müssen für unsere Landes- und Bündnisverteidigung. Manche wollen das Blatt wenden, indem sie Wohlstand durch Umverteilung versprechen. Sie erwecken den Eindruck, ein Staat ohne Schuldenbremse könne neues Wachstum kaufen. Dabei unterschlagen sie, dass Schulden Geld kosten. Schulden belasten die junge Generation. Aus diesem Grund hat sich unser Staat eigenen und europäischen Fiskalregeln verpflichtet. Der einfache Weg ist uns verstellt – ohne Mut und Anstrengung werden wir für die Zukunft nicht gerüstet sein.

Ich bin dagegen überzeugt: Deutschland muss sich politischen Lebenslügen stellen, damit ein neuer Aufbruch möglich wird. Denn unser Land hat weder zu niedrige Steuern noch zu geringe Staatsausgaben. Eine neue Realpolitik muss vielmehr benennen, dass Deutschland sich einen Arbeitsmarkt leistet, der nicht Aktivität belohnt, sondern Untätigkeit toleriert. Wir wenden jedes Jahr Milliarden Euro auf, weil immer noch Konsequenz bei der Unterbindung irregulärer Migration fehlt. Die Sozialausgaben wachsen so schneller als die Wirtschaftskraft. Die Politik greift der Wirtschaft fortwährend durch Regulierung in die Speichen. Und Deutschland verfolgt einen weltweit einmaligen Sonderweg zur Klimaneutralität, der uns teuer zu stehen kommt. Wir haben also das Kapital, um unser Land zu modernisieren, seine Sicherheit zu stärken und Freiräume für einen neuen Aufschwung zu öffnen. Wir setzen unser Kapital nur falsch ein. Die Wende ist dringlich geworden.

Wir müssen durch mehr Treffsicherheit des Sozialstaats und eine europäisch eingebettete Klimapolitik die Mittel im Staatshaushalt freisetzen, die wir für spürbare Wachstumsimpulse in der Wirtschaft brauchen. Eine solche Wende würde zugleich den Arbeitsmarkt mobilisieren. Sie würde die Transformationskosten der Wirtschaft zeitlich strecken und reduzieren. Wir können dadurch nur gewinnen.

Deutschland war immer dann stark, wenn es auf Soziale Marktwirtschaft, Realismus und Verantwortungsethik gesetzt hat. Unsere freiheitliche Ordnung vertraut dem einzelnen Menschen und seiner Schaffenskraft. Sie ist offen für Lösungen und frei von moralischer Überheblichkeit. Individuelle Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortung, mehr Privatinitiative und fairer Wettbewerb sind die Schlüssel für die Bewältigung unserer aktuellen Schwächephase.

Die Bürgerinnen und Bürger erwarten Lösungen. Die Menschen wollen wieder stolz auf Deutschland sein. Der Kollege Habeck hat vergangene Woche seine Vorschläge zur Bewältigung der Herausforderungen inklusive eines kreditfinanzierten Sondervermögens öffentlich gemacht. Mit diesem Konzept schlage ich eine alternative Richtungsentscheidung für unser Land vor.

Wir werden im Gesamtkontext nun in Regierung und Koalition beraten.

Mit besten Grüßen

CL“