„Wirtschaftswende“ - Steuern, Rente, Bürgergeld – was das Lindner-Papier für Sie bedeutet und was es kostet

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Finanzminister Christian Lindner. (archivbild)Anna Ross/dpa

In einem 18-seitigen Papier ruft Bundesfinanzminister Christian Lindner zur Wirtschaftswende auf, um Deutschland wieder auf Kurs zu bringen. Das Dokument enthält zentrale Maßnahmen für zahlreiche Lebensbereiche. FOCUS online erklärt, was das für Sie bedeutet.

Die aktuelle Steuerschätzung zeigt: die Wirtschaft schwächelt, die Steuereinnahmen steigen nicht wie erwartet. Für den Bundeshaushalt 2025 klafft eine Finanzierungslücke von 12,7 Milliarden Euro. Im November wird der Bundestag final über den Haushalt beraten, zuvor verhandelt der Haushaltsausschuss intensiv. Mitte November soll es losgehen.

Zwischen den Beratungen taucht ein   18-seitiges Papier des Bundesfinanzministeriums  auf, das zahlreiche Maßnahmen vorschlägt – darunter das Einstellen wichtiger Projekte der Ampelregierung. Bundesfinanzminister Christian Lindner soll das Schreiben aufgesetzt haben. Das sogenannte „Lindner-Papier“ ging zuerst an Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Kurz darauf gelangte es auch an die Öffentlichkeit. In der Nacht auf Samstag veröffentlichte die FDP das Schreiben auch auf ihrer Online-Seite.

Beobachter sehen das Schreiben als einen möglichen Grund für einen Bruch der Koalition. FOCUS online hat das Dokument analysiert. Hier die wichtigsten Punkte:

Arbeitszeit: Änderung bei der Regelarbeitszeit

Das Dokument des Bundesfinanzministers trägt den Titel „Wirtschaftswende Deutschland – Konzept für Wachstum und Generationengerechtigkeit“ und schlägt im Hinblick auf die Arbeitszeitregelungen vor, eine Umstellung von der täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit einzuführen. Das würde den Beschäftigten mehr Flexibilität bieten und könnte zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie beitragen. Zudem wird angeregt, Öffnungsklauseln für die Ruhezeitregelungen zu verwenden, um flexiblere Arbeitszeiten zu ermöglichen.

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Ein weiteres Ziel ist es, den vergleichsweise hohen Krankenstand in Deutschland zu senken. Dafür sollen Regelungen entwickelt werden, die Bürokratie abbauen und gleichzeitig Anreize schaffen – zum Vorteil von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleichermaßen, um so die Arbeitsproduktivität zu fördern.

Rente: Renteneintritt steigt, höhere Abschläge bei Frührente

  • Flexibler Renteneintritt : Einführung eines flexiblen Renteneintrittsalters mit versicherungsmathematischen Anpassungen bei Abschlägen und Zuschlägen. Heißt: Wer früher in Rente geht, soll höhere Abschläge zahlen. Wer länger arbeitet, bekommt Zuschläge. Aktuell sind die Abschläge geringer als die Zuschläge. Das soll sich ändern.

  • Anpassung des Rentenalters : Das Mindestniveau der Rente soll an die verlängerte Lebensarbeitszeit angepasst werden. Mit einem Beschluss aus dem Jahr 2007 soll das Renteneintrittsalter sukzessive bis 2031 auf 67 Jahre angehoben werden. Das Bundesfinanzministerium schreibt: Das passt so nicht mehr.

  • Eindämmung des Anstiegs der Sozialversicherungsbeiträge : Um die Generationengerechtigkeit zu sichern, sollen Reformen durchgeführt werden, um die Sozialversicherungsbeiträge stabil zu halten. Wie diese Reformen genau aussehen? Das steht nicht im Dokument.

Steuern: Wer profitieren soll

Das Bundesfinanzministerium schlägt auch weitreichende Steueranpassungen an. Steuererhöhungen sollen dabei vermieden werden.

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  • Abschaffung des Solidaritätszuschlags : Der Solidaritätszuschlag soll in zwei Schritten reduziert und schließlich abgeschafft werden.

  • Senkung der Körperschaftsteuer : Die Körperschaftsteuer soll nach den Vorschlägen in mehreren Schritten gesenkt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen zu erhöhen. Die Körperschaftsteuer in Deutschland beträgt aktuell 15 Prozent des zu versteuernden Einkommens. Zusätzlich wird auf die ermittelte Steuerschuld ein Solidaritätszuschlag von 5,5 Prozent erhoben.

  • Weniger Bürokratie und Regelungen : Für die nächsten drei Jahre sollen keine neuen Regulierungen eingeführt werden, die Unternehmen zusätzlich belasten. Stattdessen sollen bestehende Regeln vereinfacht werden.

  • Automatische Anpassung zur Vermeidung kalter Progression : Einführung eines „Tarifs auf Rädern“, der automatisch die Eckwerte der Steuertarife anpasst, um Steuererhöhungen durch Inflation zu verhindern.

Bürgergeld: Vermögen, Heizpauschale und Senkung

Das Bundesfinanzministerium plant Einsparungen von fast vier Milliarden Euro beim Bürgergeld . Im Zentrum stehen dabei die Anpassung der Bürgergeldhöhe, strengere Vorgaben zum Vermögensbesitz und zur Wohnungswahl sowie schärfere Sanktionen gegen Arbeitsverweigerer. Die einzelnen Veränderungen im Überblick.

  • Abschaffung der Besitzstandsregelung : Die Regelungen im Bürgergeld sollen angepasst werden, um Arbeitsanreize zu stärken und Fehlanreize zu vermeiden. Die Karenzzeit sollte ursprünglich ab 2025 auf sechs Monate verkürzt werden. In dieser Zeit müssen Bezieher des Bürgergeldes ihre Ersparnisse nicht antasten. Der Wunsch von Bundesfinanzminister Christian Lindner? Die bisherige Obergrenze von 40.000 Euro senken.

  • Option zur Senkung des Bürgergeldes: Bundesfinanzminister Christian Lindner schlägt vor, die Berechnungsmethode für das Bürgergeld zu überprüfen, um überproportionale Erhöhungen zu vermeiden. Die aktuelle gesetzliche Regelung des Bürgergeldes sieht vor, dass die Regelsätze jährlich überprüft und an die Preis- und Lohnentwicklung angepasst werden. Dabei ist eine sogenannte Nullrunde möglich, bei der die Leistungen unverändert bleiben, wie es für das Jahr 2025 vorgesehen ist.

  • Pauschalierung der Kosten für Unterkunft und Heizung : Die Auswahl der Unterkunft und die Heizkosten sollen nicht mehr komplett, sondern durch ein neues System bezahlt werden. Das Bundesfinanzministerium schlägt vor, bei den Heizkosten regionalspezifische Pauschalen einzuführen. Bei der Unterkunft sollen bundesweit einheitliche Obergrenzen gelten. Dadurch sollen auch mehr Anreize geschaffen werden, dass Menschen eine Arbeit suchen.

  • Härtere Sanktionen gegen Arbeitsverweigerer: Für Bezieher von Bürgergeld, die dem Arbeitsmarkt kurzfristig zur Verfügung stehen, sollen neue Meldefristen gelten. Sie müssen sich dann einmal im Monat bei der Arbeitsagentur melden. Auch die Zumutbarkeitsregeln sollen verschärft werden. Längere Anfahrtswege zu einer angebotenen Arbeitsstelle müssen dann in Kauf genommen werden.

  • Integration junger Menschen : Die Arbeitsmarktintegration junger Menschen soll ohne administrative Doppelstrukturen erfolgen, um Effizienz zu steigern und Kosten zu sparen.

Das kostet das Lindner-Paket

Durch diese Maßnahmen könnte der Staat langfristig höhere Steuereinnahmen erzielen und die Ausgaben effizienter gestalten, heißt es auf Seite 17 des Dokuments. Das Ziel ist, Unternehmen zu stärken, die Wirtschaft zu beleben und mehr Leute in Arbeit zu bringen.

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Steuersenkungen :

  • Körperschaftssteuer senken (um 2 Prozentpunkte): -3,5 Milliarden Euro

  • Solidaritätszuschlag senken (erste Stufe um 2,5 Prozentpunkte): -4,5 Milliarden Euro

  • Gesamt für Steuersenkungen: -8 Milliarden Euro

Subventionskürzungen :

  • Streichung der Intel-Subvention: +10 Milliarden Euro

  • Einsparungen in Klima-Subventionen und KTF-Auflösung: +4 Milliarden Euro

  • Gesamt für Subventionskürzungen: +14 Milliarden Euro

Förderung von Forschung und Innovation :

  • Mehr Geld für Spitzenforschung: -1 Milliarde Euro

Arbeitsmarkt und Sozialreformen:

  • Anpassung des Bürgergeldes und Strukturveränderungen: Einsparungen bis zu +4,5 Milliarden Euro

Zusammengefasste Bilanz:

  • Gesamtkosten (vor allem durch Steuersenkungen und Förderprogramme): ca. -9 Milliarden Euro

  • Gesamteinsparungen (durch Subventionsstreichungen und Sozialreformen): ca. +18,5 Milliarden Euro

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Netto-Effekt : ca. +9,5 Milliarden Euro Einsparung im Staatshaushalt.

Kritik an der Ampel-Regierung von der CDU

„Es scheint die Märchenstunde des Bundesfinanzministers zu sein, anders kann ich die Zahlen nicht deuten“, kritisierte Christian Haase, Chefhaushälter der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Die Schlussfolgerungen würden „diametral zu der bisherigen Politik der Ampel stehen“.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Union im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), sagte der „Rheinischen Post“ (Samstag): „Es wird Zeit, dass die Regierung endlich den Weg frei macht zu Neuwahlen. Es wäre der letzte Dienst, den sie unserem Land erweisen könnte.“ Frei bezeichnete Lindners Papier als „ultimative Scheidungsurkunde“. Nach dieser Klatsche könne Olaf Scholz wohl kaum zur Tagesordnung übergehen.

Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), der CSU-Politiker Manfred Weber, sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Wir brauchen so schnell wie möglich eine handlungsfähige Bundesregierung und Neuwahlen in Deutschland.„ Der Ampel-Regierung werde es nicht mehr gelingen, Europa zusammenzubringen und maßgeblich zu stärken. “Ich sehe keine Führungsfähigkeit bei Kanzler Scholz mehr.“