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Wo in Deutschland sind noch Spuren von Tschernobyl zu finden?

Am 26. April 1986 ereignete sich im Atomkraftwerk Tschernobyl der Super-GAU. Die Explosion des Reaktorblocks setzte einen radioaktiven Fallout frei, der nicht nur Gebiete in Russland, Weißrussland und der Ukraine betraf, sondern auch solche in Skandinavien und Mitteleuropa. In Teilen Deutschlands sind Pilze und Wildtiere bis heute so verstrahlt, dass sie nicht verkauft oder verzehrt werden dürfen.

Das Atomkraftwerk Tschernobyl wenige Wochen nach der Katastrophe. (Bild: Getty Images)
Das Atomkraftwerk Tschernobyl wenige Wochen nach der Katastrophe. (Bild: Getty Images)

Der schwerste Unfall in der zivilen Nutzung der Atomenergie hat auch 33 Jahre nach der Katastrophe noch konkrete Auswirkungen. Laut dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit starben 50 Menschen direkt bei oder kurz nach dem Unfall, wobei verschiedene Organisationen die Zahl der insgesamt durch den Unfall verursachten Todesfälle ganz unterschiedlich beziffern.

Die geschätzten Todesfälle reichen von 4.000 bis 240.000

Während das UN Chernobyl Forum 2006 von 4000 Fällen ausging, rechnet Greenpeace damit, dass insgesamt 93.000 Menschen an Krebs als Spätfolge des Reaktor-Unfalls sterben werden. Die Ärzteorganisation IPPNW schließlich geht davon aus, dass durch den Unfall bis zum Jahr 2056 europaweit ganze 240.000 Menschen an Krebs sterben werden.

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Ein Mitarbeiter steht vor einem Strahlenschutzschild in der Nähe des Atomkraftwerks Tschernobyl. (Bild: Getty Images)
Ein Mitarbeiter steht vor einem Strahlenschutzschild in der Nähe des Atomkraftwerks Tschernobyl. (Bild: Getty Images)

In Deutschland ist ein Zusammenhang mit Krebsfällen nicht erwiesen

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit betont auf seiner Website, dass diese Gefahr in Deutschland nicht bestehe. Konkret heißt es dort: “In Deutschland wurden und werden voraussichtlich auch zukünftig keinerlei messbare gesundheitliche Auswirkungen beobachtet.“ Die mittlere Strahlenbelastung betrage gegenwärtig weniger als 0,01 Milli-Sievert pro Jahr, was akute Strahlenschäden ausschließe. “Mögliche strahlenbedingte Krebsfälle durch Tschernobyl“ ließen sich vor dem Hintergrund der spontanen Krebshäufigkeit nur schwer nachweisen. “Auch für ein vermehrtes Auftreten von Schilddrüsenkrebs bei Kindern gibt es in Deutschland keine Hinweise.“ Dass die Spätfolgen des Super-GAUs in Teilen Deutschlands aber bis heute zu spüren sind, ist unbestritten.

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Pilze sind besonders belastet

Die Verbraucherzentrale wies zum letzten Mal im September 2018 darauf hin, dass
Waldböden, Pilze und Wildfleisch aus Süddeutschland auch heute noch radioaktiv belastet seien. Vor allem in Bayern, Südthüringen und Baden-Württemberg, wo der Fallout 1986 bis zu zehn Mal höher war als zum Beispiel im Norden Deutschlands, sind manche Böden und Lebensmittel bis heute mit radioaktivem Cäsium 137 und teilweise auch mit Strontium 90 belastet. In Pilzen wie dem Semmelstoppelpilz, dem Maronenröhrling, Mohrenkopfmilchling, Trompetenpfifferling und dem Wohlriechenden Schneckling würde bis heute teilweise eine stark erhöhte Radioaktivität nachgewiesen.

Pilze wie der Maronenröhrling sind auch heute noch stark verstrahlt. (Symbolbild: Getty Images)
Pilze wie der Maronenröhrling sind auch heute noch stark verstrahlt. (Symbolbild: Getty Images)

Bei manchen Pilzen wird der Grenzwert massiv überschritten

Auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) warnt vor dem Verzehr von in bestimmten Teilen Deutschlands gesammelten Pilzen. “Bei einigen Wildpilzarten kann auch mehr als drei Jahrzehnte nach dem Tschernobyl-Unfall noch keine Entwarnung gegeben werden“, sagte die Präsidentin Inge Paulini nach letzten Messungen aus dem Jahr 2018. Die Experten wiesen in manchen Pilzarten bis zu einige 1.000 Becquerel Cäsium-137 pro Kilogramm nach. In Deutschland liegt der Grenzwert für gehandelte Speisepilze bei 600 Becquerel pro Kilogramm.

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Die Verbraucherzentrale warnt vor dem Verzehr von Wildschwein

Neben den Pilzen ist auch das Fleisch von Wildtieren, insbesondere von Wildschweinen, betroffen. Soll es verkauft werden, muss es zuvor auf seine Strahlenbelastung getestet werden. Ein solcher Test wird auch bei Pilzen aus Osteuropa fällig, die nach Deutschland importiert werden. Trotz der Tests empfiehlt die Verbraucherzentrale, “hoch belastete Lebensmittel wie Waldpilze und Wildschwein nur gelegentlich oder gar nicht“ zu essen und sie ganz zu meiden, wenn sie aus Waldgebieten in Süddeutschland wie dem Münchner Umland, dem Bayerischen Wald, den Alpen oder dem Pfälzer Wald kommen.

Im Waldboden wird die Strahlung länger gehalten

Dass gerade die Pilze und die im Wald lebenden Tiere besonders stark belastet sind, liegt daran, dass die Radionuklide in den Waldböden länger erhalten bleiben als in landwirtschaftlich genutzten Böden, die von den Landwirten regelmäßig bearbeitet werden. Die vom BfS in landwirtschaftlichen Produkten wie Getreide und Milch sowie im Grundwasser und Fischen gemessenen Werte an künstlichen Radionukliden waren dagegen nicht erhöht und entsprachen sogar denjenigen vor dem Reaktor-Unfall.

Kernkraftwerk Neckarwestheim, Deutschland (Bild: Getty Images)
Kernkraftwerk Neckarwestheim, Deutschland (Bild: Getty Images)

So langsam reagierte die Politik auf den Unfall

In Deutschland wurde zwar “schon“ 1998 und damit zwölf Jahre nach Tschernobyl die Energiewende verkündet, in deren Rahmen die Energieversorgung umgestellt und die Nutzung der Atomenergie beendet werden sollte. Doch richtig auf den Plan kam die Sache erst wieder 2011 nach der Katastrophe in Fukushima. Insgesamt acht deutschen Kernkraftwerken wurde die Berechtigung zum Leistungsbetrieb entzogen, bis zum Jahr 2022 werden die übrig gebliebenen Kernkraftwerksblöcke, darunter Neckarwestheim 2, Brokdorf und Gundremmingen C endgültig abgeschaltet.

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Die Folgen der Atomenergie werden noch Generationen beschäftigen

Dabei ist es keineswegs so, dass die Sache mit den Atomkraftwerken und der von ihnen ausgehenden Gefahr damit erledigt wäre. Zum einen werden schon im ganz nahen Ausland wie Belgien noch immer sehr alte Reaktoren wie Tihange und Doel betrieben, bei denen es bekannterweise immer wieder auch zu Störfällen kommt. Zum anderen wird es noch Jahrzehnte dauern, bis die AKW rückgebaut sein werden und das strahlende Material in sicheren Endlagern liegt.

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