"Ich wollte am liebsten mit den Sex Pistols verreisen"

Ursula Karven ist wieder da: Nachdem sich die 54-Jährige zuletzt rar gemacht hatte, kehrt die Schauspielerin, Buchautorin und Unternehmerin nun zurück auf die TV-Bühne.

Ihre erste Rolle war für Ursula Karven Anfang der 1980er-Jahre schnell wieder vorbei. Damals spielte sie eine Drogenabhängige in einer Episode von "Der Alte", die allzu rasch verstarb. Und doch machte die heute 54-Jährige gleich nachhaltig auf sich aufmerksam, wenig später schaffte sie mit ihrer Hauptrolle in "Derrick" den Durchbruch. Mehr als 30 Jahre danach ist Karven nach dreijähriger Auszeit in dem ZDF-Film "So einfach stirbt man nicht" (Freitag, 29. August, 20.15 Uhr) wieder einmal auf dem TV-Bildschirm zu sehen. Dabei ist sie längst viel mehr als "nur" Schauspielerin. Mit einem Onlineshop hat sich die gebürtige Ulmerin als Firmengründerin etabliert, und im November bringt sie ein Buch auf den Markt. Im Interview verrät Ursula Karven, wie sie diese verschiedenen Berufe unter einen Hut bekommt, warum sie kein einfacher Teenager war und weshalb PayPal sie einst der Geldwäsche verdächtigte.

teleschau: Sie haben Ihren letzten Film 2016 gemacht. Worin ist die lange Pause begründet?

Ursula Karven: Ich hatte eine Situation zu meistern in meinem Leben. Dafür habe ich eine Auszeit gebraucht. Ich hatte einen Unfall und war deshalb körperlich ganz schön angeschlagen. Die Zeit habe ich dafür genutzt, um mich zu regenerieren und die Situation zu bewältigen. Über diese Zeit habe ich auch ein Buch geschrieben, das im November erscheinen und unter: "Diese verdammten Ängste" zu finden sein wird.

teleschau: Wie war es, nach dieser schweren Zeit jetzt wieder zum Film zurückzukehren?

Karven: Das war total schön. Natürlich hat es mir dieser Film auch sehr einfach gemacht, denn es gab ein super Drehbuch für einen Ensemblefilm, in dem tolle Schauspieler und auch Leute, die ich seit vielen Jahren kenne, mitgespielt haben. Wir waren eine super Gemeinschaft und gingen gemeinsam durch dick und dünn.

"Mallorca ist kulturell gesehen ein Trockengebiet"

teleschau: Der Film wurde auf Mallorca gedreht, wo Sie viele Jahre gelebt haben. Wie war es, nun dorthin für die Arbeit zurückzukehren?

Karven: Ehrlich gesagt kannte ich diese Seite der Insel gar nicht wirklich, weil ich in Palma mit kleinen Kindern gelebt habe, die mir damals wenig Zeit gelassen haben, auf der Insel rumzucruisen. Es hat sich ein bisschen so angefühlt, als ob ich als Touristin gekommen wäre, und ich konnte daher die Insel in einem völlig anderen Licht sehen. Dabei habe ich für mich festgestellt, dass ich dort nicht mehr komplett leben könnte. Ich finde es herrlich für einen Urlaub, aber für immer auf der Insel - das wäre nicht mehr meins.

teleschau: Aus welchen Gründen?

Karven: Weil man dort kulturell zu kurz kommt. Der Strand und das schöne Wetter sind natürlich toll, gerade für kleine Kinder. Auf der Insel ist es sorgenfrei und sehr behütet. Aber für alles, was mit Kultur zu tun hat, seien es Kunst, Galerien, Lesungen oder Theater, ist dort eher ein Trockengebiet. Das war für mich nicht gut und hat mir wahnsinnig gefehlt. Ich würde mein Leben heute dafür niemals eintauschen wollen.

teleschau: Sie sind also ein Mensch, der auch abseits des Berufes kulturellen Input jeglicher Art aufsaugt?

Karven: Definitiv. Kunst beflügelt mich, und ich lerne so gerne. Auf einer Insel kann es in dieser Hinsicht schnell eintönig werden. Da gibt es natürlich auch eine deutsche Community, die findet sich zusammen und überlegt, welchen Wein sie passend zur Gelegenheit öffnen. Das interessiert mich tatsächlich nicht wirklich. Natürlich bin ich jetzt krass pauschalierend, es gibt auch immer Perlen. Aber für mich war es nichts. Eigentlich wollte ich schon nach zwei Jahren gehen, aber hatte einfach nicht die Kraft dazu.

"Ich war ein extrem schwieriger Teenager"

teleschau: In Ihrem aktuellen Film spielen sie eine von drei Schwestern, die sich voneinander entfremdet haben. Wie pflegen Sie den Kontakt zu Ihren Geschwistern im wahren Leben?

Karven: Gott sei Dank haben wir ein sehr enges Verhältnis. Meine Schwester Sonja arbeitet mit mir zusammen in meiner Firma Divine Flower, einem nachhaltigen, mittelständischen Unternehmen, das gerade ein schönes Wachstum hinlegt. Wir telefonieren x-Mal am Tag. Auch mit meinem Bruder sind wir in engstem Austausch in einer Geschwistergruppe in WhatsApp. Aber es gab auch andere Zeiten.

teleschau: Nämlich?

Karven: Ich war für zwölf Jahre in Amerika, und das in einer Zeit vor dem allgemein zugänglichen Internet. Damals musste man das Fax, das sowieso an ein Wunder grenzte, ganz eng und klein beschreiben, weil alles wahnsinnig teuer war. Heute ist das eine ganz andere Geschichte, ich bin mit meinen Geschwistern sehr eng verbunden und das ist schön.

teleschau: Passend zum Thema Familie ist auch der Filmcharakter von Jule, einer zickigen Teenie-Göre. Ihr jüngster Sohn ist 15 Jahre alt. Haben Sie auch mit ihm Kämpfe auszufechten?

Karven: Ja, auch wenn er sehr umgänglich ist. Er sagt immer: "Mein Gott Mama, ich bin Teenager. Deshalb war ich jetzt so eklig." Ihm sind eventuelle Ausbrüche total bewusst, was ich wirklich lustig finde. Schon mit zwölf Jahren meinte er nach einem Wutanfall: "Ich war gerade in der Pubertät." Das ist wundervoll, weil er so reflektiert mit diesen Emotionen umgeht. Ich dagegen war, glaube ich, ein extrem schwieriger Teenager, und auch mein älterer Sohn war rebellischer.

teleschau: Woher kam dieses Rebellische bei Ihnen?

Karven: Ich bin in Ulm aufgewachsen und wusste von Anfang an, dass ich dort nicht wirklich reinpasse, in diese Idee eines sehr bürgerlichen Lebens. Mir wurde schnell bewusst, dass das für mich nicht die Umgebung ist, die mich frei wachsen lässt. Zwischen den Auffassungen meiner Eltern darüber, was richtig ist, meiner großen Liebe zu britischem Punk und meinen schwäbischen Klassenkameraden gab es große Differenzen. Ich war da wahrscheinlich auch sehr radikal.

"Ich hatte ganz andere Sehnsüchte"

teleschau: War auch das Thema Schauspielerei ein Streitpunkt?

Karven: Naja, sie haben einfach gesagt: "Warum?" Sie kannten niemanden, ich kannte niemanden, und wir waren meilenweit weg von irgendwelchen künstlerischen oder kreativen Menschen. Stattdessen war es als Kind eines Ingenieurs und einer Hausfrau ein sehr bürgerliches Großwerden. Dabei hatte ich ganz andere Sehnsüchte.

teleschau: Welche waren das?

Karven: Ich wollte am liebsten mit den Sex Pistols verreisen. Das konnte damals keiner in meiner Umgebung nachvollziehen, aber ich hatte ein unbändiges Interesse zu erforschen, was unter diesem Spießertum liegt und wild und unzähmbar ist. Ich bin nach dem Abitur auch einfach gegangen und meine Eltern wussten dann erst einmal nicht, wo ich war - was für Eltern wohl der größte Horror ist.

teleschau: Wie ist Ihnen der Ausbruch aus diesem Spießertum gelungen?

Karven: Durch Konsequenz. Ich wollte einfach raus in die Welt, vor die Kamera und habe damals jede Möglichkeit wahrgenommen. Ich hatte eine kleine Rolle in "Der Alte", in der ich sofort gestorben bin, und danach hatte ich eine Hauptrolle in "Derrick". Und während ich schon gedreht habe, habe ich kontinuierlich an meiner Ausbildung als Schauspielerin gearbeitet.

"Berlin ist einfach mein Ding"

teleschau: Sie lebten in großen Metropolen, etwa Los Angeles oder heute in Berlin. Brauchen Sie dieses Großstädtische und das pulsierende Leben um sich herum?

Karven: Ich glaube, das liegt gar nicht an dem Klein- oder Großstädtischen. Ich weiß mittlerweile, dass ich mit offenen Menschen auch auf dem Dorf zusammenleben kann. Es ist eher die Toleranz, die ich suche. Ich suche Menschen ohne Vorurteile. Das findet man in einer Großstadt vielleicht eher als in einer Provinzstadt. Aber auch das ist immer abhängig von Zeit und Raum. Ich würde sagen, man kann in einem kleinen Dorf glücklich leben, wenn man tolerante, offene und den Nächsten liebenden Menschen um sich hat. Gleichzeitig kann man in der Großstadt total unglücklich sein, wenn man von irgendwelchen rechtsradikalen Idioten umzingelt ist. Man muss sich einfach den Platz suchen, an dem man sich wohlfühlt und an dem man wachsen kann.

teleschau: Liegt diese Zugehörigkeit auch in der Lebensphase begründet, in der man sich gerade befindet?

Karven: Ich glaube nicht. Das ist ein Gefühl, das man ganz früh hat. Ich bin überzeugt, dass wir schon als Kinder wissen, was wir einmal machen wollen. Das wird dann häufig durch äußere Einflüsse verwässert. Aber man merkt schon als Kind, welche besonderen Talente man hat oder woran man besonderen Spaß hat. Dasselbe gilt für einen Ort, an den man kommt. Ich habe mich noch nie an einem Ort wohler gefühlt als in Berlin. Berlin ist einfach mein Ding, weil ich mich dort frei fühle.

teleschau: Wussten auch Sie als Kind, wo Sie einmal hinwollen?

Karven: Mir war schon als Kind ganz klar, dass ich Schauspielerin werden will. Da haben alle gesagt: "Was für ein Schmarrn! Wie sollst du Schauspielerin werden? Hör auf mit dem Mist!" Aber am Ende muss man sich immer fragen, weshalb man hier ist. In dem Moment, in dem man lebt, hat man einen Grund hier zu sein. Irgendwann muss man wissen, welcher das ist.

"Als Erstes bin ich Mama"

teleschau: Sie sind Schauspielerin, Unternehmerin, Buchautorin. Welchen Beruf haben Sie denn eigentlich?

Karven: Ich habe den, der mich gerade am meisten braucht. Als Erstes bin ich definitiv Mama. Aber ich weiß gar nicht, ob man sich entscheiden muss. Ich denke, das geht alles eine Stufe tiefer. Ist man Lehrer? Ist man Heiler? Warum ist man überhaupt hier? Wer ist man? Ich glaube, darum geht es und nicht, in welcher Form sich das gerade präsentiert. Wenn man klug und wach genug ist, springt man auf die Welle auf, die kommt - egal, was das ist.

teleschau: Ist diese Flexibilität, sich immer wieder auf neue Begebenheiten einzustellen und neue Dinge anzupacken, auch ein Ausdruck von Rastlosigkeit?

Karven: Darüber habe ich erst kürzlich nachgedacht. Ich habe ein Geschenk, und zwar an schwierigen Situationen und Schicksalsschlägen zu wachsen, statt daran zu zerbrechen. Wenn ich das geschafft habe, kann ich das teilen, das war schon immer so. Ich glaube, man muss dieses Geschenk, das jeder Einzelne hat, spüren und leben, wenn es einen glücklich macht.

teleschau: Sie geben dieses Geschenk über Ihren "Divine Flower"-Onlineshop weiter, auf dem Sie nicht nur verschiedene Dinge verkaufen, sondern auch Lebensratschläge weitergeben.

Karven: Ehrlich gesagt war das gar keine Idee von mir. Bei einer Yogaausbildung durften sich die Teilnehmer am Ende einen spirituellen Namen aussuchen. Ich habe lange überlegt, weil das immer ein wenig cheesy ist. Dann haben sie mich Pushpa genannt, was so viel bedeutet wie göttliche Blume. Das hat meine Seele berührt. Dann habe ich mir überlegt, wie eine solche göttliche Blume aussieht und mir daraus einen Kettenanhänger machen lassen.

teleschau: Wie ist es dann weitergegangen?

Karven: Alle haben gesagt, dass sie auch eine solche Blüte haben wollen und ich habe sie immer vertröstet. Das ging drei Jahre lang, bis eine Freundin die immer gleiche Leier nicht mehr hören konnte und zu mir sagte: "Jetzt pack es doch endlich an!" Wir haben dann so kleine Blümchen gestaltet und sind mit einer Wordpress-Seite online gegangen.

"PayPal dachte, wir wären Geldwäscher"

teleschau: Wie war die Resonanz?

Karven: Unglaublich, wir hatten plötzlich 60.000 Leute auf der Website. Auf den PayPal-Account, der damals noch über Mallorca lief, überwiesen die Menschen sofort Unmengen an Geld. PayPal hat damals sogar das Konto gesperrt, weil sie dachten, wir wären Geldwäscher. Die Adresse war in Berlin, die Geldströme liefen aber über Mallorca - das war alles außer Rand und Band. Es hat uns viel Zeit gekostet, das erst einmal alles korrekt abzuwickeln. Ich hätte nie gedacht, dass es so eine Nachfrage geben würde. Das ist auch etwas in meinem Leben: Ich habe nichts erfunden, es kam zu mir.

teleschau: In sich selbst hineinzuhören und sich zu fokussieren ist auch ein Thema, das dem Yoga zugrunde liegt - ein Lebensthema für Sie. Wie kam es zu dieser Leidenschaft?

Karven: Ganz ehrlich: durch Rückenschmerzen. Mir wurde Yoga in Los Angeles verschrieben, weil ich kaum mehr laufen konnte und mir nichts dagegen half. Das hat mich mit älteren Damen über 60 zusammengeführt, die aber alle ohne Probleme mit den Händen auf den Boden kamen. Dann habe ich mich auch reingekniet und nach vier Wochen konnte ich auch wieder gerade stehen. Das war genau in der Zeit, in der in Los Angeles plötzlich alle mit Yogamatten unterwegs waren. Und da war ich voll dabei und in Klassen mit Madonna, Meg Ryan und Gwyneth Paltrow. Das hatte aber nichts mit Baum umarmen und singen zu tun, sondern war richtiges Power-Yoga. Ich habe da den Stecker in ein Universum in uns hinein gesteckt, von dem ich nicht mal wusste, dass es existierte, und ich schwöre, es ist das Beste, was es für den Körper gibt.