"Wollte nur noch sterben": Berlinerin singt sich in neuer ZDF-Show das Schicksal von der Seele

Wo man singt, da lass dich nieder: VOX-"Löwin" Judith Williams lässt im ZDF gar rührende Grußbotschaften per Live-Ständchen verteilen. Taschentuchbox und ein Ersatzknopf erwiesen sich als wichtigste Utensilien der Auftaktfolge.

Eine gute Viertelstunde ist die Sendung erst alt, da greift Moderatorin Judith Williams das erste Mal hinter sich. Ganz offenbar ist sie gut präpariert für diesen Moment. "Warte, ich hab' auch ein Taschentuch!", versichert sie der an ihrer Sofa-Seite schluchzenden Dame, die sich bereitwillig Augen und Nase tupft. Wer mag es ihr verdenken!

Sonja Kingsbury ist einer der Premierengäste der ZDF-Show "Mein Lied für Dich" - Motto: "Ein Lied sagt mehr als tausend Worte". Konzipiert ist sie wohl eine Art Brückenschlag zwischen Rudi Carrells "Laß Dich überraschen" und einer modernen Musikshow vom Zuschnitt "Sing meinen Song". Frau Kingsbury ist fraglos Gold wert für diese Auftaktsendung, denn ihre Geschichte sei "filmreif wie aus Hollywood", wie Moderatorin Williams versichert, und das ist kaum übertrieben.

Sonja Kingsbury ist mit ihrem amerikanischen Gatten Bill in die Sendung gereist. Wie ein Einspielfilm aufschlüsselt, war sie 1977 mit unschuldigen 19 Jahren unsterblich in ihn verknallt - damals war Bill ein in Karlsruhe stationierter US-Soldat. Nach drei Monaten Romanze wurde Bill in die Heimat abkommandiert. "Es war, als hätte man mir mein Herz rausgerissen." Erst 35 Jahre später fanden die beiden wieder zusammen, heirateten prompt und leben nun - happy ever after - in den Vereinigten Staaten. Fast schon ein kitschiges Happy End, gäbe es da nicht zwei erwachsene Töchter aus erster Ehe, die Sonja Hals über Kopf zurückließ in der Heimat. "Wir haben gemerkt, dass du immer noch ein schlechtes Gewissen hascht", sagt die eine, nach einem Popschlagerständchen an der Seite der berühmten Österreicherin Christina Stürmer. "Wir wollten dir sagen, es ist alles okay."

Eine Show wie ein tiefes "Hach"

Wollte man das Sentiment der Mittwochabendunterhaltung "Mein Lied für Dich" auf eine Lautmalerei bringen, es wäre wohl ein aus der Tiefe des Bauchraums kommendes "Hach!". Judith Williams, leidlich bekannt aus der VOX-Investoren-Show "Die Höhle der Löwen" und gestählt durch ungezählte Auftritte im Shopping-TV, gibt hier eine mit Moderationskarten jonglierende Löwenmama der Mitmenschlichkeit. Schön auch, dass Stefan Raabs langjährige Begleitkapelle Heavytones ausgerechnet im ZDF wieder zu Primetime-Ehren kommt. Und beachtlich ist es, was die Redaktion an Rechercheeifer an den Tag gelegt hat.

Etwa bei der herrlich originellen Berlinerin Marlisa, die ein Schicksal mit sich schleppt, das man sich nicht ausdenken könnte. Vor rund 15 Jahren erkrankte ihre Tochter Jessica während der Schwangerschaft an Krebs. Das Baby wurde als Frühchen geholt und kam zur Oma, damit die Mama sich einer Strahlentherapie unterziehen konnte. Das Baby starb am Plötzlichen Kindstod, die trauernde Mutter Jessica brach die Behandlung ab und erlag dem Krebs. Marlisa: "War ne furchtbare Zeit. Hab nur noch gearbeitet und funktioniert, aber eigentlich wollte ich nur noch selber sterben." Lebensretter Mike, einer Internetbekanntschaft, schmettert die "Hobbysängerin" auf der ZDF-Bühne die Peter-Alexander-Zeilen zu: "Deine Liebe gibt mir neue Kraft, was immer ich auch tu". Klar, dass auch da kein Auge trocken bleibt.

Plötzlich platzt der Hosenknopf

Abseits von großen Fußball-Final-Übertragungen sieht man wirklich nur noch selten solche Sturzbäche an Tränenflüssigkeit im deutschen Fernsehen. Da ist es gut, dass Gäste wie das berlinernde Urgestein Mike verblüffende Unterhaltungstalente offenbaren, als wären eloquente TV-Auftritte auf Spontan-Zuruf oberste Bürgerpflicht. Oder dass Lehrerin Frau Lange so schön trocken den gut gemeinten Dankeschön-Flashmob ihrer in Zuneigung ergebenen Schüler kommentiert: "Als ich das ganze Konfetti gesehen habe, dachte ich: 'Wer räumt das hinterher wieder auf?'"

Noch besser: Karlheinz Hölle, der singende Busfahrer aus der Pfalz, trefflicherweise bekannt aus einem Bericht der ZDF-"Drehscheibe". Als Williams hinter die Bühne zu den Auftrittsproben mit Star-Tenor (und Williams-Nachbar) Jonas Kaufmann schaltet, platzt sie in einen ungünstigen Moment. Kaufmann ist heiterer Dinge, doch der bei Sendungsbeginn noch völlig überrumpelte Herr Hölle hat andere Sorgen: "Wir sind noch nicht so weit. Wir machen so fleißig Atemübungen, dass uns der Hosenknopf geplatzt ist."

"In der heutigen Zeit find' ich so was grandios"

Vermutlich ist den Showmachern schon selbst der Gedanke gekommen, das alles möge auch nicht zu gefühlig werden. Darum wurde Sasha in Rockabilly-Mission zu einem Versteckte-Kamera-Streich in den Friseurladen eines Rock'n'Roll-Fanatikers geschickt. Mit Brille und Perücke müht sich der sonst so freundliche Sänger, den Coiffeur aus der Fassung zu quasseln. Ob er denn nicht mal einen Schlager singen wolle? "Falscher Laden", brummt der Elvis-Fan gefahrvoll, der später im Duett mit dem Sasha-Alter-Ego Dick Brave "Suspicious Minds" als Live-Zugabe schmettern wird.

Schlager gibt es in dieser sichtlich um familiengerechte Bandbreite verlegenen Show dann allerdings auch noch. Bernhard Brink besucht ein Bäckerehepaar auf dem Dorf, das bei einem Ladenbrand fast die berufliche Existenz verlor. Hätte die Dorfgemeinschaft das nicht in einer solidarischen Hauruckaktion verhindert. Der Schlagermann weise: "In der heutigen Zeit, wo Egoismen nach vorne getragen werden, wo Respekt fehlt, find' ich so was eigentlich grandios." Das darf dann schon herhalten als Fazit einer Fernsehsendung, die bei aller Kitschnähe fraglos auch das Falsche am Zeitgeist konterkariert.

Schon in einer Woche (Mittwoch, 23. Oktober, 20.15 Uhr) geht es weiter mit Ausgabe zwei. Prominente Mitwirkende dann sind unter anderem Sarah Connor, Collien Ulmen-Fernandes, Ben Zucker und Johannes Oerding.