"Ich wollte verstehen, wie es Katar geschafft hat, diese WM zu bekommen"

Für seine Reise hatte sich Jochen Breyer (links) vorgenommen, auch mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen. (Bild: Mateusz Schmolka)
Für seine Reise hatte sich Jochen Breyer (links) vorgenommen, auch mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen. (Bild: Mateusz Schmolka)

Jochen Breyer, Anchorman des ZDF während der Fußball-WM in Katar, macht es sich nicht leicht. Zweimal reiste der 39-jährige Sportjournalist vor dem Turnier für eine Primetime-Doku in den umstrittenen Golfstaat. Ein kritisches Interview über den Fußball und seine Geschäftsmodelle.

Vom 20. November bis 18. Dezember wird in der Wüste um den WM-Titel im Fußball gekickt. ZDF-Mann Jochen Breyer, der am 11. November 40 Jahre alt wird, ist das Gesicht seines Senders, der rund zwei Dutzend der 64 Spiele übertragen wird (ARD und Magenta TV übernehmen den Rest). Doch bereits vor Jochen Breyer und seine Studiogäste und Experten über das umstrittene Turnier diskutieren - übrigens von Deutschland aus -, wollte sich der Sportjournalist ein Bild davon machen, wie sich das Leben im kleinen Golfstaat anfühlt. Sein Film "Geheimsache Katar" läuft am Dienstag, 8. November, um 20.15 Uhr, im ZDF. Ein Gespräch über Indoor-Vergnügungsparks mit Achterbahnen und venezianischen Gondeln sowie den Grund, warum wir genauso viel Schuld haben an einer WM in Katar tragen, wie die katarischen Machthaber selbst.

teleschau: Sie beschäftigen sich im Film mit dem Land selbst und der umstrittenen Vergabe der Fußball-WM. Gleichzeitig sind Sie ZDF-Anchorman der WM-Spiele. Passt das zusammen?

Jochen Breyer: Genau deshalb wollte ich diesen Film machen. Weil die Fußball-WM in Katar für mich die schwierigste Veranstaltung ist, die ich bis jetzt als Journalist moderiert habe. Ich wollte diesen Job nicht machen, ohne vorher selbst im Land gewesen zu sein und eigene Eindrücke gesammelt zu haben.

teleschau: Wenn Sie sagen "schwierigste Veranstaltung" - worin besteht das Dilemma?

Breyer: Wir wollen während der WM für den Sport in Katar begeistern, denn es geht ja letztlich um Sport. Trotzdem geht es noch um viel mehr: Katar will das Event als Werbe-Show nutzen. Auf uns als übertragenden Sender wird es unter anderem ankommen, das alles einzuordnen. Deshalb war es mir so wichtig, mir dort selbst ein Bild machen, wie dieses Turnier werden könnte. Und ich wollte auch verstehen, wie es Katar geschafft hat, diese WM zu bekommen.

Jochen Breyer, der die Fußball-WM 2022 als Anchorman des ZDF moderieren wird, wollte sich vor Beginn des Turniers am 20. November selbst machen. Für eine kritische Reportage reiste der 39-jährige Sportjournalist zweimal ins Emirat. Nun läuft seine kritische Bestandsaufnahme "Geheimsache Katar" in der ZDF-Primetime. (Bild: ZDF / Nadine Rupp)
Jochen Breyer, der die Fußball-WM 2022 als Anchorman des ZDF moderieren wird, wollte sich vor Beginn des Turniers am 20. November selbst machen. Für eine kritische Reportage reiste der 39-jährige Sportjournalist zweimal ins Emirat. Nun läuft seine kritische Bestandsaufnahme "Geheimsache Katar" in der ZDF-Primetime. (Bild: ZDF / Nadine Rupp)

"Was hinter der Fassade liegt, sollten wir aber nicht sehen"

teleschau: Wie groß ist die Gefahr, dass man positive Gefühle vor Ort - schöne Stadien, tolle Spiele - auf den Gastgeber, also das Land Katar, überträgt?

Breyer: Sie sprechen das an, was man als "Sportswashing" bezeichnet: große sportliche Events, die autoritäre Regime reinwaschen. Dass Katar genau das bezweckt, habe ich auf meinen Drehreisen selbst gespürt. Wir konnten dort nicht einfach das drehen, was wir wollten, sondern nur das, was uns erlaubt wurde. Die Behörden wollten uns ein geschöntes Bild präsentieren. Und wir hatten immer einen Begleiter an unserer Seite, der uns kontrolliert hat.

teleschau: Was durften Sie denn sehen?

Breyer: Zum Beispiel die Stadien, die wirklich beeindruckend sind. Ich habe schon viele Stadien gesehen, aber diese sind mit die schönsten und spektakulärsten. Klar, Geld hat auch keine Rolle gespielt - und Nachhaltigkeit übrigens auch nicht. Dann wurden wir auf ein Hochhaus geführt, von dem aus wir einen irren Blick über Doha mit seiner Skyline hatten. Uns wurden schöne Fassaden gezeigt. Was hinter der Fassade liegt, sollten wir aber nicht sehen.

teleschau: Es gab also Dinge, die Sie nicht filmen durften ...

Breyer: Wir hätten gerne einen Blick in das katarische Leben geworfen. Und wir hätten gern offen mit Verantwortlichen gesprochen. Den WM-Organisationschef hatten wir angefragt. Es war uns auch ein Interview bestätigt worden, doch das ist in letzter Sekunde geplatzt. Was wir geschafft haben, war immerhin einmal eine katarische Familie zu besuchen. Auch, wenn es sich dabei um einen ehemaligen Fußballstar des Landes und katarischen WM-Botschafter handelte.

Im Lusail Stadion in Doha rollt schon bald der Ball: Journalist und Sportmoderator Jochen Breyer besuchte die Stadien in Katar. (Bild: Mateusz Schmolka)
Im Lusail Stadion in Doha rollt schon bald der Ball: Journalist und Sportmoderator Jochen Breyer besuchte die Stadien in Katar. (Bild: Mateusz Schmolka)

"Ich war mal im Death Valley, das war gar nichts dagegen"

teleschau: Hatten Sie versucht, die Arbeitsbedingungen auf den WM-Baustellen zu beleuchten?

Breyer: Das haben wir nicht versucht, weil ich das Gefühl hatte, dass dazu andere Medien schon umfassend und sehr gut berichtet haben. Uns hat der Blick ins Private interessiert. Deshalb haben wir gefragt, ob wir mit unserer Gastfamilie gemeinsam Fußball schauen dürfen. Das ging dann auch bei unserem zweiten Besuch - und es war sehr aufschlussreich.

teleschau: Inwiefern?

Breyer: Geschaut wird in einer Art ausgelagertem Wohnzimmer, zu dem nur Männer Zutritt haben. Es wird dort Tee getrunken und Shisha geraucht. Dabei wird man von Angestellten bedient, die permanent auf Abruf bereitstehen und einem Speisen oder Getränke nachreichen. Mein Gastgeber sagte: Wenn er möchte, stehen die dort noch morgen früh. Ein irritierendes Gefühl.

teleschau: Wann genau waren Sie in Katar?

Breyer: Im Juni und dann noch einmal vor kurzem. Wir wollten unseren ersten Besuch auf einen Zeitpunkt legen, wenn auch die WM normalerweise stattgefunden hätte. Ich kann nur sagen: Der Juni hatte bis zu 50 Grad, es wäre der Wahnsinn gewesen. Ich war mal im Death Valley, das war gar nichts dagegen. In Katar findet das komplette Leben über die sommerlichen Monate indoor statt. Oft in riesigen Einkaufszentren, die wie überdachte Städte wirken - inklusive Vergnügungsparks mit Achterbahnen und venezianischen Gondeln, in denen man auf Kanälen die Malls durchquert. Die Kataris verbringen ganze Wochenenden in solchen Anlagen. Draußen haben wir im Juni absolut niemanden getroffen. Noch nicht mal am Strand zum Schwimmen.

Die Skyline von Doha ist beeindruckend. Doch was entdeckt Sportmoderator Jochen Breyer hinter der Fassade? (Bild: Mateusz Schmolka)
Die Skyline von Doha ist beeindruckend. Doch was entdeckt Sportmoderator Jochen Breyer hinter der Fassade? (Bild: Mateusz Schmolka)

"Wie werden sie reagieren, wenn sich schwule Männer auf der Straße küssen?"

teleschau: Hatten Sie das Gefühl, sich in einem Unrechtsstaat zu bewegen?

Breyer: Wir hatten auf jeden Fall das Gefühl, uns in einem Überwachungsstaat zu bewegen. Es gibt Kameras an jeder Ecke und in jeder Straße. Wir waren unterwegs in einem neu gebauten Viertel in Doha mit 25.000 Einwohnern - und 10.000 Kameras. Als wir dort unsere Fernseh-Kamera ausgepackt haben, dauerte es keine 60 Sekunden, bis ein Sicherheitsmann da war, um unsere Drehgenehmigung und unsere Papiere zu überprüfen.

teleschau: Glauben Sie, dass das auch bei Menschen passiert, die mit Ihrem Handy filmen?

Breyer: Das weiß ich nicht. Wir hatten natürlich eine professionelle Kamera dabei und waren damit auffälliger. Katar ist es gewohnt, totale Kontrolle über die Einwohner zu haben. Immer und überall. Da haben wir uns natürlich gefragt, wie es bei der Weltmeisterschaft wird. Sie bedeutet ja einen Kontrollverlust für die Kataris. In der Spitze werden eine halbe Million Menschen in Doha zu Gast sein. Der Staat wird versuchen, das alles zu überwachen. Doch wie werden sie reagieren, wenn Fans oberkörperfrei durch die Stadt laufen, wenn sie Bier trinken oder wenn sich zwei schwule Männer auf der Straße küssen?

teleschau: Weiß man denn, wie viele Fans kommen werden?

Breyer: Man erwartet anderthalb Millionen Fans. Die Tickets sind fast ausverkauft.

teleschau: Das klingt nicht unbedingt nach einem Boykott ...

Breyer: Ich kann jeden verstehen, der die WM boykottiert, aber auch diejenigen, die dort hinfahren möchten. Schließlich bringt es einem auch immer etwas, die Dinge mit eigenen Augen zu sehen. Es ist ohnehin zu kurz gesprungen, wenn man mit den Fingern nur auf Katar zeigt. Die Gründe, warum sie die WM wollten, sind ja nachvollziehbar. Es geht um Geostrategie, um Sportswashing und darum, dass sie sich verletzlich fühlen als kleines und sehr reiches Land. Es gibt mächtige Nachbarn, und da braucht man viele Allianzen, Prestige und Absicherungen.

Ein Fußballstadion scheinbar mitten im nichts: das Lusail Station in Doha. (Bild: Mateusz Schmolka)
Ein Fußballstadion scheinbar mitten im nichts: das Lusail Station in Doha. (Bild: Mateusz Schmolka)

"Es greift zu kurz, wenn man sagt: Die Bösen sitzen nur in Katar!"

teleschau: Und das alles bekommt man, Indem man massiv im europäischen Ausland investiert?

Breyer: Genau, die Kataris besitzen Paris St. Germain oder sind Top-Sponsor beim FC Bayern München. Sie haben über einen Fernsehsender die Rechte an einigen europäischen Ligen erworben und übertragen diese im arabischen Raum. Auch das schafft Einfluss. Katars Ziel war es, möglichst viele Abhängigkeiten zu schaffen. Das ist gelungen. Aber nur, weil es viele im Fußball und speziell in der FIFA gab, die das mitgemacht haben. Paris St. Germain hat sich kaufen lassen. Der FC Bayern oder die europäischen Fußball-Ligen haben sich teuer bezahlen lassen, über Sponsoringverträge und TV-Rechte-Deals. Insofern greift es zu kurz, wenn man sagt: Die Bösen sitzen nur in Katar!

teleschau: All diese Abhängigkeiten führen dazu, dass man Katar auch nur noch im begrenzten Rahmen kritisieren kann, oder?

Breyer: Genauso ist es. Man muss sich ja nur mal anschauen, wie die Funktionäre des FC Bayern über Katar reden. Anders als die anderer Clubs - weil sie Vertragspartner der staatlichen Fluglinie sind. Auch die FIFA wird in erheblichem Maße von katarischen Firmen gesponsert.

teleschau: Investigative Recherchen zu den letzten WM-Vergaben lassen vermuten, dass zumindest seit dem Sommermärchen 2006 viele oder alle Weltmeisterschaften "gekauft" wurden. Ist das auch Ihr Eindruck?

Breyer: Es gibt zumindest glaubhafte Belege dafür, dass die WM-Vergabe nach Deutschland nicht sauber gelaufen ist. Und die an Russland - da glaube ich auch nicht an eine faire Abstimmung nach rein sportlichen Gesichtspunkten.

teleschau: Sie besuchten für Ihren Film auch Sepp Blatter. Er war FIFA-Präsident, als die WM nach Katar vergeben wurde. Was haben Sie sich von dem Besuch erhofft?

Breyer: Ich wollte vor allem wissen, weshalb die Bewerbung 2010 überhaupt zugelassen wurde. Weil ja jeder wusste, dass bei 50 Grad Celsius keine WM stattfinden kann. Das hat sogar die Prüfkommission der FIFA selbst in ihrem Bericht festgestellt.

Jochen Breyer blickt von unten auf die Wolkenkratzer von Doha. Katar will mit der WM hoch hinaus.

 (Bild: Mateusz Schmolka)
Jochen Breyer blickt von unten auf die Wolkenkratzer von Doha. Katar will mit der WM hoch hinaus. (Bild: Mateusz Schmolka)

"Weil man nicht dachte, dass sie gewinnen können ..."

teleschau: Und was hat Sepp Blatter Ihnen geantwortet?

Breyer: Er sagte, man habe die Bewerbung zugelassen, weil man nicht dachte, dass sie gewinnen können. Und dann haben sie angefangen zu arbeiten ...

teleschau: Was war für Sie der bedrückendste Moment während Ihrer Reportage?

Breyer: Das war, als ich mit Khalid Salman Al-Muhannadi, dem WM-Botschafter, den wir besuchen durften, über Menschenrechte gesprochen habe. Auch wie mit den Bediensteten dort umgegangen wurde, Menschen von den Philippinen, war verstörend. Sie wurden schlecht behandelt. Es ist viel über die Ausbeutung von Bauarbeitern gesprochen worden. Hausangestellten geht es noch schlimmer, weil ihre Arbeit im Verborgenen stattfindet. Diese Ausbeutung muss wirklich furchtbar sein, sagt Amnesty International. Davon konnte man eine Ahnung bekommen, wenn man sich deren Arbeit dort anschaut.

teleschau: Glauben Sie, dass sportliche Großveranstaltungen in totalitären Ländern etwas verändern können?

Breyer: Da habe ich meine Zweifel. Haben sich Russland oder China nach der WM oder den Olympischen Spielen verändert? Kurzfristig verbessert sich die Menschenrechtslage womöglich. Dann nämlich, wenn die Scheinwerfer der Welt auf ein Land gerichtet sind. Meine ersten Olympischen Spiele waren Peking 2008. Da ging es intensiv um Tibet und die Unterdrückung. Hat sich seitdem etwas verbessert? Das heißt nicht, dass es mit Katar genauso laufen wird. Selbst Menschenrechtsorganisationen sagen ja, dass die rechtliche Situation der Arbeitsmigranten verbessert worden sei. Die Frage ist nur, ob das auch so bleiben wird, wenn die Welt nicht mehr so kritisch nach Katar blickt.

Jochen Breyer will sich vor Ort ein eigenes Bild von Katar machen. Unter anderem wurde im Al-Bayt-Stadion in Doha gedreht. (Bild: Mateusz Schmolka)
Jochen Breyer will sich vor Ort ein eigenes Bild von Katar machen. Unter anderem wurde im Al-Bayt-Stadion in Doha gedreht. (Bild: Mateusz Schmolka)