"Wenn ich das Wort 'solo' höre, könnte ich schon kotzen"

Auf seinem zweiten Soloalbum "Why Me? Why Not." klingt Liam Gallagher so selbstbewusst und überzeugend wie lange nicht mehr. Kein Wunder, denn dem ehemaligen Oasis-Sänger geht es bestens.

Eine Welt ohne die Beatles - dieses Szenario bildet den Rahmen für den im Juli veröffentlichten Kinofilm "Yesterday" von "Trainspotting"-Regisseur Danny Boyle. Nach einem merkwürdigen Stromausfall kann sich bis auf den Musiker Jack Malik (Himesh Patel) niemand an die Fab Four erinnern, und weil es die Beatles nie gegeben hat, gibt es Oasis in dem Film auch nicht. Eine Situation, die Liam Gallagher sich lieber nicht vorstellen möchte. "Das wäre kein Leben gewesen, sondern die Hölle", erklärt der 46-Jährige im Interview. Es gibt aber auch ein sehr aktuelles und reales Thema zu besprechen: Gallaghers neues Album "Why Me? Why Not.".

"Ich kann mir nicht vorstellen, in einem Büro zu arbeiten und Anweisungen von jemandem zu bekommen. Ich hätte vermutlich ziemlich viele Drogen genommen - und meistens endet so was nicht gut. Also ich bin froh, dass ich die Musik hatte. Ich glaube Menschen, die Musik in ihrem Leben haben, sind gesegnet", fährt der ehemalige Oasis-Sänger im Gedanken an eine Welt ohne Oasis fort. Wie so ein Song zusammenkomme, aus dem Nichts, fasziniere ihn auch nach all den Jahren noch. "An manchen Tagen stehst du auf, machst den Fernseher an und denkst, dass alles scheiße ist", erklärt er. "Dann fällt der Blick auf die Gitarre, du nimmst sie in die Hand, und plötzlich passiert etwas. Dieser Song wird geboren, du nimmst ihn auf, veröffentlichst ihn - und dann berührt er jemanden in Taiwan. Das ist ein Wunder, es ist magisch."

Eine gewisse Magie versprüht zweifellos auch Gallaghers zweites Soloalbum "Why Me? Why Not." Der 46-Jährige klingt darauf so selbstbewusst und überzeugend wie lange nicht mehr. Um zu verstehen, wo das herkommt, muss man einen kleinen Blick in die Vergangenheit werfen. Zehn Jahre ist es inzwischen her, dass Oasis ihre Trennung bekanntgaben. Unmittelbar vor einem Auftritt in Paris waren Liam und sein Bruder Noel mal wieder aneinandergeraten. Noel strich die Segel, und die britische Band, die die Musikszene der 90-er so entscheidend mitgeprägt hatte, war Geschichte. Gemeinsam mit seinen Oasis-Kollegen Gem Archer, Andy Bell und Chris Sharrock gründete Liam Gallagher daraufhin die Band Beady Eye, doch ihr Erfolg war mäßig. Nach nur zwei Alben löste Gallagher die Band wieder auf.

"Ich mache mich selbst glücklich"

Drunter und drüber ging es zu jener Zeit auch in Gallaghers Privatleben. Nach Bekanntwerden seiner Affäre mit der Journalistin Liza Ghorbani reichte seine Frau, All-Saints-Sängerin Nicole Appleton, die Scheidung ein. "Das war auf jeden Fall nicht die beste Zeit. Aber ich habe daraus gelernt", zeigt Gallagher sich überraschend geläutert. "Ich habe gelernt, die Leute nicht scheiße zu behandeln, und aufgehört, mich selbst in Situationen zu bringen, die schlecht enden und das Leben anderer kaputtmachen. Ich sage nicht, dass alles geklärt ist. Ein Tag nach dem anderen. Aber ich weiß zum Beispiel, wann ich ins Bett gehen sollte. Die Stimme in meinem Kopf, die sagt 'Du bist 46, geh schlafen', ist inzwischen sehr laut."

Statt abends lange zu feiern, steht Gallagher, der inzwischen mit seiner Managerin Debbie Gwyther verlobt ist, lieber früh auf und geht joggen. "Ich bin ohnehin Frühaufsteher und liebe es, morgens früh herauszukommen", erklärt er. "Wenn du um 12 Uhr aus dem Haus gehst, sind alle unterwegs, und es ist die verdammte Selfie-Hölle. Also versuche ich, ein paar Stunden für mich zu haben, wenn noch niemand wach ist. Natürlich jogge ich vor allem, um fit zu bleiben, aber es ist definitiv gut für meinen Kopf. Ich kann dabei über alles mögliche nachdenken."

Nachdem er in seinem Leben aufgeräumt hatte, konnte Gallagher auch musikalisch wieder nach vorne blicken. 2017 veröffentlichte er sein erstes Soloalbum "As You Were" und schaffte es damit an die Spitze der britischen Charts. "Mit dem Album haben wir die Tür geöffnet, und das hat die neue Platte möglich gemacht", beschreibt Gallagher den Entstehungsprozess von "Why Me? Why Not.". "Manchmal ist man im Leben glücklich, aber die Musik reflektiert es nicht, oder umgekehrt. Bei diesem Album ist beides auf einem Level. Es spiegelt genau wider, wo ich im Moment stehe. Ich bin echt glücklich. Meine Kinder machen mich glücklich, meine Freundin macht mich glücklich, meine Mum macht mich glücklich, ich mache mich selbst glücklich, meine zwei Katzen machen mich glücklich. Und ich habe mein Leben eben etwas vereinfacht. Ich bin 46, ich habe kein Drogen-Problem, ich habe kein Alkohol-Problem. Ich fühle mich gut!"

"Aber wenn er nicht will, mache ich halt 'solo' weiter"

Gallagher wagt auf "Why Me? Why Not." keine unnötigen Experimente, sondern widmet sich ganz einfach dem, was er am besten kann: Rock'n'Roll. Da sind klassische Britpop-Songs wie die Protesthymne "The River" und "Shockwave", aber auch an die Beatles und Pink Floyd erinnernde Balladen wie "Once" und "Meadows". Eins haben fast alle Songs gemeinsam: einen großen Refrain. "Und ich habe nichts damit zu tun", gibt Gallagher ohne Umschweife zu. Beim Schreiben holte er sich Hilfe von Grammy-Gewinner Greg Kurstin (Sia, Adele, Foo Fighters, Beck) sowie Songwriter Andrew Wyatt, der zuletzt an Lady Gagas und Bradley Coopers Hit "Shallow" mitarbeitete. "Ich bin kein Songwriter, sondern habe angefangen als Sänger. Ich kann Verse schreiben, aber diese großen, hymnenhaften Refrains kann ich nicht", gesteht Gallagher. "Aber ich habe auch kein Problem damit, die Arbeit zu teilen. Darum geht es doch bei Musik. Je mehr Leute zusammenkommen, desto besser. Elvis hat es schließlich auch so gemacht!"

Ein Song, der besonders heraussticht, ist die Single "One Of Us". Das dazugehörige Video wurde von Steve Knight und Anthony Byrne produziert, die für die fünfte Staffel der britischen Erfolgsserie "Peaky Blinders" verantwortlich waren. Gallagher schlendert vorbei an Kindheitsfotos aus glücklicheren Zeiten, dazu macht er seinem Bruder Noel, mit dem es immer wieder Streit gibt, eine Art Versöhnungsangebot: "Come on I know you want more, come on and open your door / After it all you'll find out / You were always one of us". Wenn Noel nett fragen würde, wäre Liam dann für eine Oasis-Reuinion zu haben? "Ohne Zweifel! Ich liebe Oasis. Wenn ich das Wort 'solo' höre, könnte ich schon kotzen. Ich ziehe es vor, in einer Band zu sein. Wir haben den Leuten so viel bedeutet - ich glaube, es wäre gut. Aber wenn er nicht will, mache ich halt 'solo' weiter ..."