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"Für mich ist das ein Debakel"

Martin Kind darf vorerst Geschäftsführer der Profiabteilung des Zweitligisten Hannover 96 bleiben. Dies ist das Ergebnis einer mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Hannover am Dienstag.

Ende Juli war der 78-Jährige vom Vorstand des Muttervereins Hannover 96 e.V. als Geschäftsführer der Profifußball-Gesellschaft „aus wichtigen Gründen“ abberufen worden. Dagegen setzte sich der langjährige Vereinsboss juristisch zur Wehr.

96-Legende Dieter Schatzschneider ist ein enger Vertrauter von Kind und als Talentscout auch bei der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA angestellt. Im exklusiven SPORT1-Interview spricht der 64-Jährige Klartext.

SPORT1: Herr Schatzschneider, was sagen Sie dazu, dass Herr Kind weiter Geschäftsführer bei 96 bleiben darf?

Dieter Schatzschneider: Ich bin froh, dass er jetzt weitermachen darf. Es ist nur ein Teilerfolg von Herrn Kind. Und gut ist jetzt bei weitem nicht alles. Es wurde durch diese Aktion viel zu viel Schaden angerichtet. Nicht nur vom Image her. Das wurde völlig katastrophal vorbereitet. Da sitzt ein Anwalt in diesem Gremium und leider gibt es für mich nur eine Alternative für den e.V. Diese Herren dürfen nicht weitermachen. Für mich ist das ein Debakel. Alle müssen sofort zurücktreten. Diese Leute können nur von eingetragenen Mitgliedern gewählt werden.

Da sind Tischtennisspieler, Schachspieler und Dart-Spieler dabei, aber keine ehemaligen Fußballer. Ich würde mir wünschen, dass es nicht sofort heißt ‚Wir können den Kind nicht ausstehen‘, sondern dass der Vorstand mal sagt ‚Ja, wir werden es schaffen, mit Herrn Kind zusammenzuarbeiten‘. Es geht nur um Hannover 96. Aber da ist zu viel Macht im Spiel. Im Leben geht es leider oft um Macht. Jeder möchte mal ran.

SPORT1: Herr Kind ist seit 1997 Mister 96.

Schatzschneider: Ja, und wenn er etwas verdient hat - egal, wie man über ihn denkt - dann ist es selbst zu bestimmen, wann er aufhört. Und nicht fremdgeführt wird von irgendwelchen Leuten, die gerne an die Macht wollen und nicht wissen, wie es geht. Guckt euch doch das Vereinsgebäude und das Nachwuchsleistungszentrum an, dann erkennt man, was Kind da hingezaubert hat.

Schatzschneider: „Ich kann ihn verstehen“

SPORT1: Dass Herr Kind seine Liebe für 96 bewiesen hat, ist unstrittig.

Schatzschneider: Er hat auch bewiesen, dass er seriös arbeitet. Im Gegensatz zu Klaus-Michael Kühne, der meint, von der Schweiz aus regiert das Geld. Kind war immer aktiv an dem Prozess beteiligt, den Klub nach vorne zu bringen. Ich kann ihn verstehen, denn im Inneren sagt er sich ‚So trete ich nicht ab‘. Meine Bitte an den e.V.: Dann mit einem neuen Präsidium anzutreten, das nicht vom Druck der Ultras gesteuert wird. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur 2. Bundesliga)

SPORT1: Sie sind seit Jahren ein treuer Begleiter von Herrn Kind. Beschreiben Sie doch bitte mal Ihr Verhältnis …

Schatzschneider: Ich bin treu, aber auch kritisch. Und ich war immer klar in meinen Aussagen. Ob es jemandem gefällt oder nicht. Doch ich finde Kind überragend. Für mich ist er ein Freund, weil er auch in Lebensfragen immer hilfreich ist. Eins werde ich Kind nie vergessen. Er hat aus einem maroden Drecksverein etwas Gutes gemacht. Klar, dass wir da wieder gelandet sind, wo wir jetzt spielen, waren sicher auch seine Fehler. Da gab es falsche Personalentscheidungen, vor allem bei den Trainern.

SPORT1: Ex-96-Profi Carsten Linke soll für den Übergang ein Thema sein und als Dauerlösung ist Andreas Rettig im Gespräch.

Schatzschneider: Linke und Rettig wurden kürzlich heiß gehandelt, ja. Aber wenn Personen so an einen Job kommen wollen, da stellt sich für mich die Charakterfrage. Da bin ich ganz ehrlich.

SPORT1: Das ist aber hart …

Schatzschneider: Ja, aber so würde ich nie einen Job bekommen wollen. Da würde ich lieber zum Arbeitsamt gehen. So etwas verstehe ich nicht. Ich bin entsetzt und enttäuscht, weil diese beiden Herren auch Fußballer beziehungsweise Sportler waren.

SPORT1: Warum war Herr Kind in der Vergangenheit so ein rotes Tuch für die 96-Ultras?

Schatzschneider: Es waren immer ganz klar die Ultras, die gegen Kind sind. Viele von denen sagen, dass frischer Wind 96 gut tun würde. Jeder soll seine Meinung haben. Ich sehe es aber so: Wenn ich Fan von 96 bin und gehe ins Stadion, dann möchte ich, dass die Mannschaft gewinnen soll. Die Spieler sollen mich die 90 Minuten glücklich machen. Das ist mein Hauptziel, wenn ich ins Stadion gehe.

Schatzschneider: „Jede Menge Druck“

SPORT1: Das passiert bei 96 aber recht selten …

Schatzschneider: Mag sein. Ich denke halt so mit meiner Verrücktheit für diesen Klub. Wenn die Ultras alle im Stadion sind, die diesen Vorstand gewählt haben, dann ist natürlich jede Menge Druck auf der Kiste. Die Ultras wollten Kind raushauen. Denen ist es egal, in welcher Liga 96 spielt. Das deckt sich nicht mit meinen sportlichen Vorstellungen. Die Ultras werden noch zu einem richtigen Problem. Weil diese Gruppierungen haben Druckmittel und sind organisiert. Da wird sich noch so mancher Klub umschauen.

SPORT1: Warum bricht Herr Kind nicht ein, sondern bleibt im Amt?

Schatzschneider: Ich kenne ihn zu gut, als dass er aufgeben würde. Das ist sein Naturell. So, wie er sein Hörgeräte-Imperium aufgebaut hat, so ist er auch als Klub-Boss. Kind würde zurücktreten, wenn es ordentlich ablaufen würde und nicht so, wie es sich zuletzt abspielte. Aus dieser Verantwortung stiehlt er sich jetzt nicht raus. Kind rennt niemals weg. Wir dürfen uns nicht belügen: Hannover 96 ist seit Jahren auf dem absteigenden Ast und ich kann Kind verstehen. Er möchte dann gehen, wenn zum Beispiel der Aufstieg gelingen sollte - so kann ich es mir vorstellen. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der 2. Bundesliga)

SPORT1: Wer wäre denn ein geeigneter Nachfolger?

Schatzschneider: Ich halte viel von unserem Sportdirektor Marcus Mann. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die e.V.-Seite mit so einem Mann nicht klarkommt. Wir haben jemanden im Verein - aber so, wie der e.V. das gemacht hat, geht es natürlich nicht. (DATEN: Die Tabelle der 2. Bundesliga)

Schatzschneider: „Knorriger Kerl, fantastischer Mensch“

SPORT1: Welche Fehler werfen Sie Herrn Kind vor?

Schatzschneider: Ich liebe Herrn Kind wirklich. Er ist ein knorriger Kerl, aber ein fantastischer Mensch. Fehler waren sicherlich die unglücklichen Personalentscheidungen in den vergangenen Jahren. Ob das ein Zuber war, ob das ein Heldt war oder ein Trainer wie Zimmermann. Das waren alles Fehler, die man sich in der 2. Liga nicht erlauben kann. Da wird inzwischen auch härterer, aber guter Fußball gespielt.

SPORT1: Wie lief das eigentlich mit Robert Schäfer? Was war der Plan mit ihm? Er sollte als Kind-Nachfolger aufgebaut werden, wurde aber ohne Absprache mit e.V. geholt und konnte deshalb wegen fehlender Mehrheit im Aufsichtsrat nicht zum Geschäftsführer bestimmt werden.

Schatzschneider: Schäfer war die ärmste Sau. Herr Kind hat es gut gemeint und Schäfer hat ordentliche Arbeit abgeliefert. Er fand aber keine Anerkennung. Das Thema war nach nur einem Satz durch, als der e.V. sagte ‚Das ist nicht unser Geschäftsführer‘. Vielleicht kann man für diesen Satz sogar Verständnis haben, wenn keiner in den Prozess, Schäfer zu holen, involviert war. Aber der Junge kann doch nichts dazu. Er musste nach gut einem Jahr wieder gehen, das ist nicht gut für seine Vita und für die Außendarstellung ist es immer katastrophal, bei 96 geschasst zu werden. Schäfer tut mir schon leid.

Warum verwehrt sich Kind?

SPORT1: Der e.V. sagt, er habe versucht, eine gemeinsame Suche nach einem Kind-Nachfolger zu forcieren, klagt aber, dass die Kapitalseite die Vorschläge ignoriert habe. Der Mutterverein muss gemäß 50+1 aber nun mal mit ins Boot geholt werden. Warum verwehrt sich Kind einer Zusammenarbeit?

Schatzschneider: Das kann ich genau sagen. Der e.V. hat nur einen Kandidaten, das ist Rettig. Und so wie er sich präsentiert hat, ist er für die Kapitalseite kein Gesprächspartner. Ich kann mir vorstellen, dass ein Typ wie der Marcus Mann bei den Fans und bei der Kapitalseite beliebt ist. Da könnte man sich auf einen guten Nenner einigen. Ich habe gesehen, dass er vernünftig mit Geld umgegangen ist. Und das Perverse ist, dass der e.V. nicht auf Rosen gebettet ist, sondern vom Geld der Profiabteilung lebt. Die wollen einen Profiklub führen, können aber nicht mal den e.V. führen.

SPORT1: Am Ende geht es den Fans vor allem um die Einhaltung der 50+1-Regel, deren Gegner Kind nach wie vor ist. Haben Sie Verständnis dafür, dass Fans Angst haben, ihr Mitspracherecht komplett zu verlieren? Negativbeispiele im Ausland gibt es genug …

Schatzschneider: Jeder Verein in Deutschland sollte doch das machen, dass für ihn wichtig und richtig ist. Und damals war es richtig, dass Herr Kind kam und diesen Verein auf Vordermann gebracht hat. Das steht doch außer Frage. Ich will kein Mitspracherecht, sondern will einfach meine Mannschaft sehen. Die Ultras möchten ein Mitspracherecht. Man darf Fans nicht mit Ultras vergleichen.

SPORT1: Ohne Kind würde es in Hannover schon seit Jahren keinen Profifußball mehr geben?

Schatzschneider: Richtig. Weil ich weiß, wer bürgt. Und man muss ja auch eine Lizenz bekommen. Und über Kind und Herrn Rossmann muss ich gar nichts infrage stellen, denn das sind seriöse Kaufleute und keine Typen wie Kühne. Sie haben ein Herz für 96. Ich ertappe mich übrigens leider immer wieder bei einer Sache …

SPORT1: Nämlich?

Schatzschneider: Ich ertappe mich immer mehr dabei, dass ich nach England schaue. Da sehe ich Stadien ohne Zäune, da raucht es nicht und ich sehe dort offensiven Fußball. Und die Fußballer, die mich da erfreuen, werden nun mal von Investoren bezahlt. Darüber regt sich keiner auf. Nur in Deutschland wollen zu viele ahnungslose Leute mitreden, die sich nicht trauen, etwas gegen den DFB und die DFL zu sagen. Aber da wird im Fußball am meisten geheuchelt. Wir brauchen klare Regeln, sonst werden wir irgendwann den Fußball verlieren.

SPORT1: Was wünschen Sie Herrn Kind?

Schatzschneider: Was ich mir wirklich wünsche, ist, dass er auf dem Höhepunkt - das wäre dann wohl der Wiederaufstieg - seine Entscheidung richtig trifft. Herr Kind ist nicht gebrochen. Er ist ein Kämpfer. Mein Kopf würde nach unten schauen, nach all dem, was er durchmachen musste. Er hat durch seine Hörgeräte keinen Vorteil. Das lief schon vorher sehr gut. Alle tun immer so, als würde er jetzt mehr Hörgeräte verkaufen. Das ist Schwachsinn. Herr Kind gibt seit Jahren Geld und muss sich noch beschimpfen lassen. Dafür finde ich den Kerl ziemlich cool. Er ist schon echt belastbar. (lacht)

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