„Der wusste genau, was er tat“ - Solingen-Täter wollte unbedingt nach Deutschland - dann begann Katz-und-Maus-Spiel
Die Spurensuche rund um den islamistischen Attentäter von Solingen gestaltet sich schwierig. Nun fanden die Ermittler in einem Gully ein Handy - und FOCUS online erfuhr neue Details rund um den gescheiterten Abschiebeprozess.
Nach wie vor prüfen die Staatsschützer den Echtheitsgrad des Bekennervideos, das die Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) veröffentlichte. In dem Clip soll Issa al Hasan, 26, vor der Messerattacke mit drei Toten und acht Verletzten auf dem Stadtfest vermummt dem Emir der Kalifatsbrigaden den Treueeid geleistet haben. Die Tat deklarierte der IS als Racheakt für die Verfolgung der Palästinenser „durch die Zionisten“.
Wie FOCUS online aus Sicherheitskreisen erfuhr, fanden die Ermittler in einem Gully ein Handy, das allerdings völlig durchnässt war. Auch ein Tablet wurde gefunden. Noch ist nicht klar, ob die beiden Geräte dem Tatverdächtigen gehören und wieder aktiviert werden können. Nachdem ein Bundesrichter in Karlsruhe dem Syrer den Haftbefehl unter anderem wegen dreifachen Mordes und Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verkündete, wurde der Beschuldigte in die JVA Düsseldorf gebracht. Wie es hieß, soll der Islamist Gesprächsbereitschaft signalisiert haben. Ob dies zutrifft, werden die folgenden Tage zeigen.
Als Issa al Hasan nach Deutschland kam, begann das Katz-und-Maus-Spiel
Das Abschiebedesaster rund um den mutmaßlichen Mörder offenbart erneut ein komplexes Dickicht an Zuständigkeiten, in dem Tausende abschiebepflichtige Migranten durchs Netz schlüpfen. Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sollten bis Ende Juli 25.000 Ausländer nach dem Dublin-Abkommen bundesweit ausreisen. Tatsächlich wurden gerade einmal 3512 an andere EU-Staaten überstellt, in denen sie zuerst zugewandert waren. Meist konnten sich die irregulären Migranten rechtzeitig vor dem Abschiebetermin absetzen.
So geschehen bei Issa al Hasan. Ende Dezember 2022 war der Syrer eingereist. Wie FOCUS online erfuhr, hatte der Attentäter die Route über die Türkei, Bulgarien, Österreich nach Deutschland gewählt. Laut Sicherheitskreisen wollte er unbedingt nach Deutschland. Im Interview mit einer Ausländerstelle gab er an, dass ein Onkel hier lebe. „Wir haben den Onkel aber nie gefunden“, berichtete ein hoher Beamter.
Dann begann das Katz-und-Maus-Spiel. Da seine Fingerabdrücke bereits in der EU-biometrischen Datenbank Eurodac für Asylbewerber in Bulgarien gespeichert waren, fanden die Behörden schnell heraus, dass al Hasan laut dem Dubliner-Abkommen in Deutschland nichts zu suchen hatte. Mit Sofia arrangierte man die Übernahme des Flüchtlings. Doch als die zuständigen Mitarbeiter aus dem Bielefelder Ausländeramt bei al Hasan in seiner Flüchtlingsunterkunft anklopften, rührte sich nichts.
Staatsschützer über abgetauchten Attentäter: „Der wusste genau, was er tat“
Bis heute wundern sich mit dem Fall vertraute Insider darüber, „warum man sich nicht wenigstens bei den Nachbarn oder beim Wachschutz über den Verbleib des Gesuchten erkundigt hatte ?“ Tatsächlich aber ließ man es offenbar bei dem einen Kurzbesuch bewenden. Weitere Nachforschungen unterblieben. Folglich verstrich die sechsmonatige Frist ungenutzt, um den syrischen Migranten nach Bulgarien zu überstellen. Just vier Tage nach dem Ende der Deadline tauchte al Hasan wieder auf. „Der hatte gute Berater aus der Flüchtlingshilfe oder durch spezielle Anwälte; der wusste genau, was er tat“, berichtete ein Staatschützer.
Fortan geriet al Hasan zum Fall für die deutschen Behörden. Er wurde nach Solingen verlegt, erhielt den subsidiären Status und staatliche Stütze. Fall erledigt, sollte man meinen. Derzeit versuchen die Strafverfolger zu klären, wo und wie al Hasan in den vergangenen Monaten aktiv war.
Obschon zuletzt das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster entschieden hat, dass in Syrien für die Zivilbevölkerung keine Gefahr mehr Leib und Leben besteht, blockiert das Auswärtige Amt unter Annalena Baerbock (Grüne) nach wie vor eine verstärkte Rückführung syrischer Menschen, die einzig nur den subsidiären Schutzstatus besitzen. Das Ministerium stützt sich auf einen Lagebericht, der den gesamten syrischen Staat als Bürgerkriegsgebiet einstuft. Deshalb scheiterten auch etliche Versuche des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, die Blockade aufzuheben.