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Wutrede bei Maybrit Illner: CDU-Politiker liest ARD und ZDF die Leviten

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Klartext – das gibt es selten in den Talkshows von ARD und ZDF. Am Donnerstagabend konnten die Zuschauer einen dieser Momente erleben. „Abstiegsangst im reichen Land. Warum wächst die Wut in Deutschland?“, fragte Maybrit Illner in ihrer ZDF-Sendung. Die Diskussion war gerade angelaufen, da redete sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Ralph Brinkhaus in Rage.

„Ich finde es schlimm, dass wir uns im öffentlich-rechtlichen Fernsehen viermal in der Woche damit beschäftigen, was alles falsch ist in Deutschland und wir nicht wertschätzen, was wir haben. Viermal in der Woche treffen sich Leute und bejammern, was alles schief läuft und es läuft auch eine Menge schief“, sagte der Politiker in Anspielung auf die vielen Talkshows im deutschen Fernsehen und fügte hinzu: „Aber verdammt noch mal, es laufen auch viele Dinge gut und es regt mich auf, dass wir immer nur alles niedermachen.“ Moderatorin Illner war einigermaßen perplex. „Wir sitzen hier nur einmal in der Woche und bemühen uns um einen differenzierten Blick“, widersprach sie dem CDU-Mann.

Was ist dran an Brinkhaus’ Diagnose? Zunächst einmal ist es nachvollziehbar, dass ein gutverdienender Bundestagsabgeordneter, der im Alter ausreichend abgesichert ist, ein rosiges Bild der Lage malt. Klar ist auch, dass es Menschen gibt, die seinen Befund nicht teilen. Alleinerziehende Mütter beispielsweise. Oder Rentner, die nur die Grundsicherung erhalten. Malocher mit zwei Jobs, die gerade so über die Runden kommen. Man kann Brinkhaus entgegenhalten, dass Kinder aus Arbeiterfamilien viel zu selten studieren und dass der Reichtum hierzulande ungleich verteilt ist. Das darf man nicht abtun.

Doch ein Blick über den Tellerrand zeigt, dass der CDU-Politiker nicht völlig falsch liegt. In den vergangenen Tagen konnten wir schreckliche Bilder sehen. Von einem Haus im syrischen Aleppo etwa, das nach einem Bombenangriff zusammenstürzte und dutzende Menschen unter sich begrub. Wir sahen einen weinenden Vater, der sein totes Kind aus den Trümmern trug. Wir sahen Menschen, die alles verloren haben – Freunde, Familie, ihr Dach über dem Kopf.

Gleichzeitig erleben wir jeden Tag Wutbürger, die behaupten, die Bundesregierung würde alles für Flüchtlinge, aber nichts für die eigene Bevölkerung tun. Angela Merkel wird als „Volksverräterin“ beschimpft, Asylsuchende als „Invasoren“ und irgendeine CDU-Hinterbänklerin schwadroniert von „Umvolkung“. Gefühle und Verschwörungstheorien zählen mehr als Fakten. In der vermeintlichen Anonymität des Internets werden jene denunziert werden, die eine andere Meinung vertreten. Das ist schäbig. Das macht eine sachliche Diskussion unmöglich.

Wir Deutschen bilden uns viel ein auf unseren Fleiß. Aber Fleiß allein war es nicht, der uns zu einem der reichsten Länder der Erde gemacht hat. Das vermeintliche Wirtschaftswunder der Bundesrepublik hat einen Namen: Marshallplan. Rund 13 Milliarden Dollar genehmigte der US-Kongress für den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg.

Dennoch flüchteten Millionen Deutsche aus ihrer zerstörten Heimat – bauten sich in Amerika, Australien oder anderswo eine neue Existenz auf. Auch die Dagebliebenen erlebten einen enormen Wohlstand. Natürlich war die Wiederaufbauhilfe nicht uneigennützig. Es ging den USA auch darum, Westeuropa als glänzende Alternative zum Ostblock zu präsentieren (Nebenbei: In der DDR musste ebenfalls niemand hungern).

Wir sollten uns an diese Zeit erinnern. Ja, die Flüchtlinge werden Geld kosten. Wer etwas anderes sagt, der lügt. Aber es steht uns gut zu Gesicht, mit denen zu teilen, die ihre Heimat verloren haben. Genauso wie uns geholfen wurde, nachdem Deutschland einen ganzen Kontinent in ein Trümmerfeld verwandelt hatte. Wenn die Wutrede von CDU-Mann Brinkhaus bewirkt hat, darüber nachzudenken, dass wir Deutschen nicht alleine sind auf der Welt, dann hat es sich sogar einmal gelohnt, Illners Talkshow zu einzuschalten.

Autor: Frank Brunner

Foto: Screenshot ZDF