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ZDFzeit: Populisten gegen Europa

Rechtspopulisten mischen Europa kräftig auf. Allen voran Italiens Innenminister Matteo Salvini (r.) und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán (l.). "ZDFzeit" anaylsiert, welche Gefahren von den neuen starken Männern ausgehen. Foto: ZDF / ANSA / Daniel dal Zennaro
Rechtspopulisten mischen Europa kräftig auf. Allen voran Italiens Innenminister Matteo Salvini (r.) und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán (l.). "ZDFzeit" anaylsiert, welche Gefahren von den neuen starken Männern ausgehen. Foto: ZDF / ANSA / Daniel dal Zennaro

Die Dokumentation „Laut, forsch, national – wie Salvini, Orbán & Co Europa spalten“ arbeitet Kernelemente populistischer Bewegungen heraus. Sie zeigt, wie nationale Bewegungen in Europa vermehrt die liberale Demokratie infrage stellen.

„Wir sind es, die wieder gesundes Blut in die europäischen Arterien pumpen werden.“ Mit diesem vielsagenden Satz des italienischen Innenministers Matteo Salvini beginnt die Dokumentation „ZDFzeit“ über rechts-populistische Bewegungen in Europa. In zahlreichen Ländern stellen oder stützen ähnlich agitierende Parteien, wie die italienische Lega Nord, die Regierung: in Österreich, Polen, Ungarn, Dänemark, Finnland oder der Slowakei. Sie alle wahlkämpfen momentan – kurz vor der Europawahl – mit anti-europäischen Motiven. Wie konnte es soweit kommen? Das versucht die Dokumentation von Daniel Sich zu erklären und geht auf Spurensuche – wie funktioniert eigentlich Populismus?

In der ZDFzeit-Ausgabe werden immer wieder Zitate eingeblendet, einige werden auch hier im Verlauf des Textes lose wiedergegeben. Etwa Matteo Salvini (Lega Nord): „Das heutige Europa ist nicht reformierbar. Wir müssen es abreißen und neu errichten.“

Aus der Not geboren

Ein Beispiel, an dem sich Entwicklungen und Ziele von Populisten wie in einem offenen Buch nachlesen lassen, ist Ungarn. Im Jahr 2010 wurde Viktor Orbán zum Ministerpräsidenten gewählt. Vorausgegangen war nach 2008 mit der globalen Finanzkrise eine Zeit des wirtschaftlichen Misserfolgs. Ein Nährboden für Populismus und radikale Kräfte, die schnelle Änderungen und Besserungen versprechen. Das Volk drängte damals genau darauf.

Ängste und Sorgen aussprechen

Was Populisten eint: Sie sprechen die Ängste und Sorgen der Bürger aus und wirken daher, als würden sie die Bürger besser verstehen. Mit einfachen Parolen haben sie vermeintliche Lösungen für komplexe Probleme parat. Yascha Mounk, Politologe, sagt dazu: „Populisten sprechen die echten Sorgen der Menschen viel klarer und dezidierter aus, als die etablierten Parteien. Nur, ich würde nicht sagen, dass sie diese Sorgen auch ernster nehmen, wenn sie an der Macht sind. Sie lösen Probleme nicht, im Gegenteil, Länder stagnieren wirtschaftlich, weil nicht in Bildung oder in moderne Wirtschaftszweige investiert wird. Das müssen dann langfristig alle Bürger bezahlen.“

Viktor Orbán (Fidesz): „Die Liberalen sind die Feinde der Freiheit.“

Feindbilder schaffen

Wichtiger Bestandteil populistischer Rhetorik ist außerdem die Bildung von Feindbildern. Oft schießt diese Rhetorik scharf gegen die etablierte Politik. Das soll den Effekt haben, sich selbst als unverbraucht und neu darzustellen und sich mit den Bürgern, „dem Volk“, zu einen. Die AfD in Deutschland etwa hat den eigentlich schwer belasteten Begriff „Altparteien“ wiederbelebt, um sich von den etablierten Parteien abzugrenzen. Auch die NSDAP hatte damit das restliche Parteien-Spektrum bezeichnet.

Daniela Schwarzer, Politologin der Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, sagt: „Populisten verkehren Ängste der Bevölkerung in eine Rhetorik, die mit Feindbildern arbeitet. Eine Rhetorik, die gegen Andere arbeitet und diese ausgrenzt. Und natürlich am Ende dem Machterhalt der Populisten dient.“

Björn Höcke (AfD): „Wir werden die Macht bekommen. Und dann werden wir durchsetzen, was notwendig ist, damit wir in Zukunft unser freies Leben leben können. Dann werden wir die Direktive ausgeben, dass am Bosporus mit den drei großen M – Muezzin, Mohammed und Minarett – Schluss ist.“

Diesen Mechanismen bedient sich auch Orbán. Er ist 2015 der erste Politiker Europas, der aus der Flüchtlingssituation Kapital schlägt. Die Angst vor Flüchtlingen wird zu einem starken Verbündeten. Er schürt Hass gegen Fremde, gegen Flüchtlinge, indem er sie beispielsweise Invasoren nennt, er betreibt Symbolpolitik und baut einen 174-Kilometer langen Zaun an der Grenze zu Serbien. Später wird sich zeigen, dass jeder, der will, einfach unter dem Zaun durchschlüpfen kann. Dennoch sagt er: „Wir waren es, die die Invasion von Migranten nach Europa an den Südgrenzen Ungarns aufgehalten haben.“

Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit

Sind Populisten in der Regierung und haben politische Macht inne, arbeiten sie an deren Erhaltung. Orbáns Regierung greift Oppositionelle und Kritiker, die Meinungsfreiheit, den Journalismus und den Rechtsstaat an. Weil Orbán eine verfassungsändernde Zwei-Drittel-Mehrheit besitzt, kann er den Staat umbauen.

Mounk sagt: „Zuerst hat er das Staatsfernsehen in einen Propaganda-Kanal umgekrempelt. Dann hat er Institutionen, die unabhängig sein müssen, um die Demokratie zu bewahren, mit seinen Loyalisten bestückt.“ Mounk erklärt weiter, dass die Demokratie nicht durch einen Militärputsch in Gefahr gerate. Nicht durch einen Faschisten, mit ausgestreckter rechter Hand. Es sei vielmehr ein schleichender Verfall der unabhängigen Institute und dass mehr und mehr die Grundrechte verloren gingen.

Viktor Orbán (Fidesz). „Unsere Kultur, unsere Identität, unsere Nation, wie wir sie kennen, wird nicht mehr existieren. Unsere schlimmsten Alpträume werden Wirklichkeit. Der Westen wird fallen, während der Westen nicht mal merkt, dass er überrannt wurde.“

In Österreich sitzen die Rechtspopulisten in der Regierung: Der FPÖ-Politiker  Heinz-Christian Strache (r.) ist seit Ende 2017 Vizekanzler und bestimmt zusammen mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die großen Linien in der Politik. Foto: Roland Schlager / APA / dpa
In Österreich sitzen die Rechtspopulisten in der Regierung: Der FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache (r.) ist seit Ende 2017 Vizekanzler und bestimmt zusammen mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die großen Linien in der Politik. Foto: Roland Schlager / APA / dpa

Judith Sargentini, sie ist niederländische EU-Abgeordnete, hat ein Jahr lang Fakten zu Ungarn zusammengetragen und kommt zu einem besorgniserregenden Urteil: „Sie haben 2010 damit angefangen, die Verfassung zu ändern und Richter zu entlassen. Die Demokratie, der Respekt vor dem Rechtsstaat und der Respekt vor Bürgerrechten, alles nimmt in Ungarn ab. Demokratie in Europa bedeutet nicht: Der Sieger bekommt alles. Sondern: Respekt für Minderheiten.“

Aufgrund der Untersuchungen Sargentinis wurde schließlich ein Rechtsstaats-Verfahren der EU gegen Ungarn begonnen, das noch läuft.

Kampf um Meinung und Wahrheit

Wer die Medien kontrolliert, kontrolliert den Verstand. Paul Lendvai, er hat das Buch „Orbáns Ungarn“ geschrieben, sagt: „In Ungarn hat man keine Zeitung verboten. Man hat sie vielmehr aufkaufen lassen durch vermögende Freunde und dann eingestellt. Das erinnert an eine kontrollierte Demokratie. Die ungarischen Medien sind zu 95 Prozent in den Händen der Regierung.“ Das Ziel dahinter ist klar: keinen journalistischen kritischen Dialog mehr zuzulassen, sondern eine loyale Berichterstattung sicherzustellen, die den radikalen politischen Kurs verteidigt und gutheißt.

Elmar Podgorschek (FPÖ): „Was wir unbedingt durchführen müssen, ist eine Neutralisierung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks. Ich sage, auch auf die Gefahr hin, dass uns eine Orbánisierung vorgeworfen wird: Das müssen wir durchziehen.“

Eine zentrale Rolle dabei spielen auch soziale Medien, um etablierte Medien zu umschiffen. Sie machen möglich, selbst zum Medien-Schaffenden zu werden und direkt und ungefiltert zum Publikum zu sprechen.

Loyalisten einsetzen

Um die eigene Macht zu erhalten, hat Orbán an vielerlei politische Positionen Gefährten gesetzt. Mit anderen Worten: Die Korruption nimmt zu. Ein Jugend-Freund Orbáns etwa, Lőrinc Mészáros, ist während Orbáns Amtszeit vom Gasinstallateur zum fünftreichsten Mann des Landes aufgestiegen. Zynischerweise wird dieser personelle Austausch oft mit dem ihm eigenen Ziel begründet: der Korrumpierbarkeit des bestehenden Personals.

Jaroslaw Kaczyński (PiS): „Das polnische Justizwesen leidet an einer ernsten Krankheit, am Verfall der moralischen Prinzipien, am Verfall des beruflichen und privaten Anstands.“

Sargentini sagt dazu: „Möchte man Orbán verstehen, muss man wissen, Macht korrumpiert und es ist schön, mächtig zu sein. Und dass Orbán und seine Familie in den letzten Jahren immer reicher geworden ist.“ Und damit sammelt Orbán viele Bewunderer im politischen Europa, zahlreiche Populisten suchen seine Nähe, ob aus Österreich, Deutschland oder Italien.

Wut auf die EU

Ein vorletzter Punkt, der viele Populisten ein, ist ihre Anti-EU-Haltung. Denn die EU steht den nationalen Versprechen entgegen. Die oft milliardenschweren Finanzhilfen der EU jedoch sind weiter willkommen, aber ohne Einmischung in die nationale Politik. Ein Beispiel dafür: Beim Ausbau der neuen Metro in Budapest flossen angeblich Bestechungsgeldern in Höhe von 300 Millionen Euro. In der Bahn selbst hängen heute Anti-EU-Plakate und gleichzeitig Aufschriebe, die darüber informieren, dass die Bahn mithilfe der EU gebaut wurde.

Mehr oder weniger EU?

Zuletzt: Laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen für diese Dokumentation sehen 72 Prozent der Befragten in rechtspopulistischen Bewegungen und Regierungen eine Gefahr für die gemeinsamen Werte Europas. Die Frage lautet also: Mehr oder weniger EU? Mehr oder weniger Nationalismus? Die Bürger Europas haben es bald in der eigenen Hand: Am 26. Mai ist Europa-Wahl.