ZDF-Dokumentation: Ein Leben mit HIV

Corinne arbeitet als Kinderbetreuerin in einem Ferienclub auf Fuerteventura. Nach fast vier Jahren sucht Corinne nach neuen Herausforderungen, sie hat den Entschluss gefasst die Insel zu verlassen. Foto: ZDF / Tobias Tempel
Corinne arbeitet als Kinderbetreuerin in einem Ferienclub auf Fuerteventura. Nach fast vier Jahren sucht Corinne nach neuen Herausforderungen, sie hat den Entschluss gefasst die Insel zu verlassen. Foto: ZDF / Tobias Tempel

Corinne ist 23 Jahre alt, seit ihrer Geburt trägt sie das HI-Virus in sich. Dank ihrer Medikamente führt sie ein verhältnismäßig normales Leben. Dennoch beeinträchtigt sie das Virus bei all ihren Entscheidungen. „Ich lebe positiv“.

„Die Menschheit redet nicht darüber. Es ist wie das Thema Tod.“ Damit meint Corinne das HI-Virus und die Krankheit, die es verursacht: Aids. Seit ihrer Geburt trägt Corinne das HI-Virus in sich, übertragen von ihrer Mutter. Die war positiv. Deshalb muss Corinne ihr ganzes Leben lang Medikamente nehmen, damit bei ihr nicht auch die Krankheit ausbricht. Doch obwohl sie dank der Tabletten einen beinahe normalen Alltag hat, drehen sich doch viele Entscheidungen in ihrem Leben um das Virus.

Damit in Zukunft mehr über das Thema HIV geredet wird, hat Corinne der Autorin Maike Conway erlaubt, sie in unregelmäßigen Abständen mit der Kamera zu begleiten – das war vor 15 Jahren, Corinne war damals acht Jahre alt. Daraus sind mittlerweile zwei Langzeitdokumentationen geworden. Die erste Doku veröffentlichte Conway im Jahr 2015 unter dem Titel: „Niemand darf es wissen.“

Darin wird das Leben Corinnes bis zu ihrer Volljährigkeit nachgezeichnet und wie sie sich am Ende als „positiv“ outet. Der Film beginnt damit, wie Corinne schon in jungen Jahren zu einer Pflegefamilie in Bayern kommt, weil ihre Mutter sich nicht mehr um sie kümmern kann. Wenige Jahre später stirbt ihre Mutter an den Folgen ihrer Aids-Erkrankung. Später zeigt der Film eine 12-jährige Corinne, die langsam mehr lernt über das Virus in ihr: „Wenn ich meine Tabletten nicht nehmen würde, hätte ich auch Aids. Aber meine Krankheit heißt nicht Aids, sondern HIV-positiv.“

Ein neues Leben auf Fuerteventura

Weil Corinnes Pflegeeltern Angst vor Ausgrenzung und Mobbing haben, darf niemand von Corinnes Infektion erfahren. Erst mit 18 darf sie selbst entscheiden und sich anderen Menschen anvertrauen. Was sie auch macht.

Am Dienstag nun folgt der zweite Film über Corinnes offenen Umgang mit ihrer Krankheit: „Ich lebe positiv.“ Kurz nach ihrer Volljährigkeit zieht sie nach Fuerteventura, um in einem Clubhotel zu arbeiten. Sie will ein neues Leben beginnen, ein ehrliches.

Sie beginnt damit, dem Clubdirektor von ihrer Krankheit zu erzählen. Der sagt: „Wir müssen damit umgehen, wenn besorgte Eltern auf uns zukommen. Es ist unsere Pflicht, dass wir sie aufklären.“ Dafür richtet er sogar eine Telefon-Hotline ein. Er weiß: Reale Gefahr besteht nicht, denn das HI-Virus wird über Blutkontakt oder ungeschützten Sex übertragen. Bleibt das Virus durch Medikamente aber unter der Nachweisgrenze – wie bei Corinne – besteht keine Ansteckungsgefahr.

Corinne arbeitet im Kinderatelier des Hotels, ihre Aufgabe ist es, die kleinsten Touristen zu bespaßen. Hinter den Club-Kulissen lernt sie zudem viele Arbeits-Kolleginnen und Kollegen in ihrem Alter kennen. Aber die Bekanntschaften bleiben, obwohl sie von Corinnes Krankheit wissen, oberflächlich. Sie sagt: „Hier muss man funktionieren. Wenn es dir nicht gut geht, merkt das deshalb auch keiner.“

Das erste Mal Sex

Als Corinne zwei Jahre auf der Insel ist, will sie deswegen neue Bekanntschaften schließen. Sie lernt dafür spanisch, trifft vermehrt Einheimische. Einer ist Alexis, er sagt: „Sie ist immer aufmerksam und kümmert sich um alle. Das mag ich sehr.“

Die beiden werden ein Paar. Vor allem gefällt Corinne, dass Alexis unbelastet ist im Umgang mit HIV: „Er wusste nicht viel über die Krankheit. Hatte aber nie Angst davor. Er vertraut mir, wenn ich sage, dass meine Werte niedrig sind und er sich nicht anstecken kann.“

Die beiden führen eine normale Beziehung, sie haben auch Sex. Bis dahin war Corinne Jungfrau. Alles ist in Ordnung, bis Corinne ihre Medikamente unregelmäßiger nimmt. „Sie hat das schon ihr ganzes Leben. Sie weiß, dass sie andere anstecken könnte. Sie muss diese Tablette jeden Abend nehmen. Aber das hat sie nicht. Ich habe Angst, dass das Virus stärker wird“, sagt Alexis.

Wie geht es weiter?

Ärztliche Untersuchungen zeigen: Corinnes Werte schwanken. Doch sie achtet wieder mehr auf sich und die Werte normalisieren sich. Im Gegensatz zu ihrer Beziehung: Weil Corinne mehr vom Leben will, als sich auf Fuerteventura um fremde Kinder zu kümmern, entzweien sich die beiden. Alexis kann sich ein Leben woanders nicht vorstellen.

Die Beziehung war der letzte Grund, der Corinne auf der Insel gehalten hat. Sie sucht nach einer neuen Herausforderung – und wird in Mecklenburg-Vorpommern fündig. Dort will sie eine Ausbildung zur Hotelfachfrau machen. Damit gibt sie die große Sicherheit auf, in einer Umgebung zu leben, in der alle über ihre Krankheit Bescheid wussten. Ob sie ihren neuen Arbeitgeber in Kenntnis setzt, weiß sie noch nicht. Verpflichtet ist sie dazu nicht.

Man rückt der Protagonistin unangenehm auf die Pelle

Die Dokumentation „Ich lebe positiv“ hinterlässt einen seltsam voyeuristischen Eindruck beim Zuschauer. Denn es sind äußerst private Momente, die die Protagonistin Corinne gleich zu Beginn mit der Kamera teilt. Jedoch kennt man Corinne erst wenige Augenblicke – das ist den kurzen 30 Minuten des Formats geschuldet. Da bleibt keine Zeit, um sich ihr zu nähern und sich auf diese Distanzlosigkeit einzufühlen.

Die halbe Stunde Sendungsdauer bringt zudem ein weiteres Problem mit sich: Vier Jahre Leben in so kurzer Zeit zu erzählen – da wackelt der emotionale Unterbau. Denn Corinne trifft jede Entscheidung sozusagen im Zeitraffer. Weil zwischen den einzelnen Treffen der Autorin Conway mit Corinne meist Monate liegen (zumindest drängt sich dieser Verdacht bei Corinnes wechselnden Frisuren und ihrer Erscheinung auf), erzählt Corinne stets sehr abgeklärt über alles Zurückliegende – denn das hat sie ja alles längst erlebt und verarbeitet.

Zuletzt dreht sich vieles in „Ich leben positiv“ nicht mehr um HIV, sondern um „gewöhnliche“ Alltagsthemen, wie Liebe, Sex, Vertrauen, Zukunft. Das ist einerseits schön, weil es zeigt, dass Medikamente ein einigermaßen normales Leben mit dem HI-Virus ermöglichen. Zeitgleich ist es dadurch aber an vielen Stellen schlicht eine Dokumentation übers „Erwachsenwerden“.