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ZDF-Reporter im "Querdenker"-Wohnzimmer: Die Wahrheit ist irgendwo "da drinnen"

Der ZDF-Reporter Jochen Breyer traf Anhänger der "Querdenken"-Bewegung zum Gedankenaustausch. Eine wichtige, aber auch schmerzhafte Erfahrung über die Entkopplung des Argumentierens von der Realität.

Das waren noch Zeiten, als im Mystery-Thriller die "Wahrheit irgendwo da draußen war". Im nicht minder mysteriösen Schauspiel, das seit Monaten auf Deutschlands Straßen zu beobachten ist, liegt die Wahrheit ganz woanders - tief im Inneren! Woher sie denn wisse, dass eine Impfung den Körper schädige, wird eine junge Frau auf einer "Querdenker"-Demo am Bodensee gefragt. Antwort: "Des isch mei Inneres, des isch mei intuitives Gefühl." Der Reporter wendet ein: "Aber Intuition ist nicht Wissen." Doch da liegt er in den Augen der erregten Dame ganz falsch: "Da drin isch des Wissen!", insistiert sie und klopft sich auf die Brust. "Des isch unser wahrer Kern hier drin, und der weiß des!"

Der Reporter in der Szene, das ist der ZDF-Journalist Jochen Breyer. Seit ein paar Jahren hat der vornehmlich aus der Fußballberichterstattung bekannte 38-Jährige für den Mainzer Sender sein Ohr "Am Puls Deutschlands". Für die gleichnamige Reportagereihe hat er mehr oder minder besorgte Bürger unter anderem über die Flüchtlingskrise und zur Klimadebatte befragt. Doch so schwer wie hier, "in ein echtes Gespräch zu kommen", war es für den Empathieträger des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vermutlich noch nie.

Auf einen Gugelhupf bei der "Querdenkerin" in Tübingen

"Stundenlange Telefonate", habe man geführt, um mit irgendwie gemäßigten Anhängern der notorisch heterogenen "Querdenken"-Bewegung in den Dialog zu kommen. In Kusterding, einer recht malerischen Gemeinde im Landkreis Tübingen, gewährte man Jochen Breyer Einlass. Barbara M., Mutter von drei Kindern, arbeitet im Rechtsanwaltsbüro ihres Mannes. Bisher habe sie immer Rot oder Grün gewählt und jahrzehntelang den "Spiegel" gelesen, erfährt Breyer bei Gugelhupf und Filterkaffee. Aber beim Lockdown war damit Schluss, da hat Frau M. die "alternativen Medien" für sich entdeckt. Weil die anderen immer vor einer Gefahr gewarnt hätten, die nicht eingetreten sei.

"Wieso greift man bei Corona so stark ein und bei allen anderen Krankheiten nicht? Das versteh ich nicht!" Breyer möchte aushelfen und verweist auf Experten, die errechnen können, wie schlimm die Pandemie ohne einhegende Maßnahmen verlaufen würde. "Errechnen" ist für die anthroposophisch geprägte Tübingerin jedoch ein Reizwort: "Genau", sagt sie. "Es wird ein rein mathematisches Modell daraus gemacht, der Mensch zählt nichts mehr."

ZDF-Reporter Breyer: "Ich versteh nicht ganz, was Ihnen da fehlt"

Seine ganz eigene Pandemie-Zählweise hat auch Rainer K., freischaffender Schauspieler und Kabarettist aus Leipzig und derzeit zurückgeworfen auf seine Ersparnisse. Von der - gelinde gesagt - ausbaufähigen Entschädigung von Künstlern durch die Bundesregierung ist jedoch nicht die Rede. Herr K. fühlt sich an die Montagsdemos von '89 erinnert. "Als gelernter DDR-Bürger", sagt der Schauspieler, sei er "sensibilisiert für die Dinge, die nicht realistisch dargestellt werden" und vergleicht die deutsche Medienlandschaft des Jahres 2020 mit der gleichgeschalteten Presse der DDR-Diktatur.

Breyer will das nicht stehen lassen. "Aber es wird sich doch kritisch auseinandergesetzt mit der Regierungslinie, Beispiel Beherbergungsverbote. Es werden doch Maßnahmen hinterfragt. Ich verstehe nicht ganz, was Ihnen da fehlt."

Antwort des Kabarettisten: "Wenn man den Leuten jeden Tag sagt: soundsoviele neue Infizierte - das ist doch Manipulation ohne Ende!" Es ist Herbst in Leipzig, gedreht wurde im Umfeld der eskalierten "Querdenken"-Demo vom 7. November, und der Interviewte spricht: "Die Krankenhäuser sind nicht überfüllt. Was sind denn 10.000 Tote in einem Dreiverteljahr? Da kann man doch nicht von einer Pandemie sprechen!"

Breyer hält dagegen: "Wie viele Tote hätten wir, wenn es keine Maßnahmen gegeben hätte?"

Der Schauspieler: "Mit Sicherheit auch nicht mehr."

Breyer fällt es nun sichtlich schwer, die Gesichtszüge im Gleisbett zu halten. "Wie kommen Sie darauf?"

Wieder eine ausweichende Antwort: "Es wird mit der Angst gespielt. Wenn ein Volk Angst hat, ist es viel besser kontrollierbar. Das sind die Zeichen der Diktatur." Glaubt Herr K. ernsthaft, dass in Deutschland verschwörerische Kräfte eine Diktatur errichten wollen? Lange Denkpause. "Letztendlich ja."

Experte warnt vor Gegenwut: "Das wird die Krise nur verschärfen"

Vielleicht ist das Ganze ja wirklich der Anfang vom Ende der Demokratie. Dann aber vermutlich aus konträren Gründen. Etwa weil die Rechtsradikalen, die sich "unter diesen Leuten sehr wohl fühlen", wie Miro Dittrich von der Amadeu Antonio Stiftung sagt, es geschafft haben, die Gesellschaft zu spalten.

Auch Jörg Sommer, Direktor des Berliner Instituts für Partizipation, äußert sich im Film tief besorgt. Er hält die "Ehe zwischen den politischen Akteuren und durchaus signifikanten Teilen der Bevölkerung" für zerrüttet. Die Politik müsse auf die Menschen zugehen und sich nicht über "falsche Plakate" oder "falsche Mitmarschierende" aufregen, dies werde die Krise nur verschärfen. "Es ist kein inhaltliches Eingehen auf die Problematik, sondern man regt sich über die Form auf." Sommer zeichnet ein drastisches Szenario: "Wenn auf dem Grabstein unserer Institutionen steht 'Sie hatten Recht', hilft das niemandem."

Kommentar: Sag mal, Deutschland

So ähnlich sieht es auch Jochen Breyer in seinem Reportage-Resümee: "Mit Pauschalisierungen und Gegenwut kommen wir nicht weiter. Das spielt eher denen in die Hände, die wirklich hoffen, dass uns Corona spaltet." Was stattdessen hilft, harrt jedoch auch nach diesem tapferen Doku-Beitrag der Entdeckung.

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