Zehn Tage lang Hassmails von links und rechts: Dokuserie über Jens Spahn blickt hinter die Kulissen der Politik

Kann er Kanzler? - Das ist wohl die Frage, die hinter den sage und schreibe neun Filmen der RTL+-Langzeitdokumentation über den Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn (42) steht. Ein medialer Kraftakt, der vor allem deshalb Sinn macht, weil er weit über die Grenzen der Person hinausweist und die poitische Praxis mit Fairness beleuchtet.

Die Doku-Reihe
Die Doku-Reihe "Second move kills" von Aljoscha Pause zeichnet in neun Folgen ein ausführliches persönliches Porträt des 42-jährigen CDU-Politikers und ehemaligen Gesundheitsministers Jens Spahn. (Bild: RTL)

Neunmal mindestens eine Stunde Jens Spahn, das ist kühn - und auf den ersten Blick sicher nicht plausibel. Vielleicht ist sogar die Rechnung, unter dem Titel "Second Move Kills - 5 Jahre mit Jens Spahn" einen aufstrebenden Politiker auf dem Weg bis ganz nach oben zu begleiten, nicht aufgegangen. Hinter allem steht ja doch die Frage, ob Spahn, der gerne und geschickt polarisiert, Kanzler-tauglich ist. Freunde und politische Weggefährten, aber auch politische Gegner und kritische Medienvertreter versuchen in der umfassenden RTL+-Serie die Frage zu beantworten. Immer wieder wird dabei der eloquente Politiker auf die Waagschale gelegt, kommt aber auch ausführlich selbst zu Wort.

Die Wurzeln der Politik-Karriere

"Ich will Kanzler werden", hat er schon als Klassenprimus und Einserabiturient in seiner Heimatgemeinde Ahaus im Westmünsterland gesagt. Andere, wie der eigene Bruder, mochten exzessiv Sport betreiben, er selbst mochte von Beginn an die Politik, die Kämpfe dort und das Kräftemessen. Eintritt mit 15 in die Junge Union, zwei Jahre später in die CDU, sechsmal von 2002 bis 2021 zog er als Direktkandidat seines Wahlkeises in den Bundestag ein.

Über seine Erfolge berichtet er in der Langzeitdoku des Grimmepreisträgers Aljoscha Pause mit Understatement, genauso wie er offensichtlich Niederlagen (wie bei der Neuwahl des CDU-Parteivorsitzes 2018 nach dem Merkel-Rücktritt) wegstecken kann. Auf sein Pandemie-Management als Gesundheitsminister blickt er mit der gleichen Gelassenheit zurück. Eine Herausforderung sei das gewesen, wie es sie seit 70 Jahren nicht in Deutschland gegeben habe. Das Robert-Koch-Institut und seine Vorgaben werden dabei schnippisch gestreift, ohne nachzutreten. Reue über zu strenge Regularien - die Kinder, die Familien! - zeigt er aber doch. Doch die Maskenbestellung, die Impfungen - das alles sei in der Erprobung gewesen. Es habe so sein müssen, wie es war.

Niederlagen steckt er mit einem Lächeln weg: Jens Spahn bei der Amtsübergabe des Gesundheitsministeriums an seinen Nachfolger Karl Lauterbach am 08. Dezember 2021. (Bild: 2021 Getty Images/Pool)
Niederlagen steckt er mit einem Lächeln weg: Jens Spahn bei der Amtsübergabe des Gesundheitsministeriums an seinen Nachfolger Karl Lauterbach am 08. Dezember 2021. (Bild: 2021 Getty Images/Pool)

 

Zehn Tage lang Hassmails von links und rechts

Spahns Kraftmeierei, sein "Rebellentum" sei kalkuliert, bestätigen ihm mehrheitlich die zu Wort kommenden Journalisten. "Ich möchte keine Burka in Deutschland" und "keinen reaktionären Islam" sind so Sätze, mit denen er berühmt geworden ist. Begriffe wie "Vollverschleierungsverbot" und die Verneinung der "doppelten Staatsbürgerschaft" provozierten Kritik. Dass Spahn von manchen für einen Brandstifter gehalten wird, kann er vor der Kamera widerlegen. Er wundert sich dann, dass "Linke" zwar Auseinandersetzungen mit der Kirche oder mit Atomkraftbefürwortern nicht scheuten, in Sachen Islamismus aber zimperlich seien.

Im hautnahen Porträt hat er immer mal wieder das letzte Wort. Dass man in der Hauptstadt seinen Kaffee "auf Englisch" bestellen müsse, ärgert ihn zutiefst. Dass das beim Wahlvolk ankommt, nicht nur im nördlichen Westmünsterland, ist zu erwarten, ebenso wie der Umstand, dass ihn die Presse darob zum "Hipsterhasser" macht.

Wie ist Jens Spahn wirklich?

Die Frage ist bei alldem: Wie ist Jens Spahn wirklich? Ist er liberal oder doch so gefährlich, wie ihn im Film Gerhart Baum - fast als einziger - so beharrlich sieht? Hat er Humor, wie Annalena Baerbock in Erinnerung an die nächtlichen Sondierungssitzungen nach der Bundestagswahl bestätigt? Die Filme lassen solche Fragen letztlich offen, wie sie sich ja überhaupt jedes eigenen Off-Kommentars enthalten. Das macht durchaus Sinn, so möge sich jeder sein eigenes Bild machen. Schade eigentlich nur, dass die Doku-Serie vor der Wahl der Ampel abbricht - und vor allem, dass der Krieg in der Ukraine hier noch keine Rolle spielt.

"Second Move Kills - 5 Jahre mit Jens Spahn" ist eine Doku-Reihe auf RTL+. (Bild: RTL)
"Second Move Kills - 5 Jahre mit Jens Spahn" ist eine Doku-Reihe auf RTL+. (Bild: RTL)

Den Wehretat zu verdoppeln, hatte Spahn im Bundestag bereits vor Jahren angemahnt. Vielleicht gibt ihm ja die Zeit auch in anderen Dingen recht. Kinder würde er mit seinem 2017 geheirateten Mann Daniel Funke gerne haben, so gibt er preis. Die Zeit dränge - die Kinder 18 und man selbst 80, das gehe nicht.

Manchmal bekommt Jens Spahn zehn Tage lang Hassmails von rechts und links, wenn er wieder mal Zugespitztes von sich gegeben hat. Von Frank Plassberg ("Hart, aber fair") bekommt er allerdings höchstes Lob: Endlich mal einer, der offen zu sprechen wagt. So wünsche er sich die Demokratie. Klingt etwas überschwänglich, aber im Großen und Ganzen kann dem beigepflichtet werden.

Die RTL+-Original-Serie "Second Move Kills - 5 Jahre mit Jens Spahn" ist ab 02. November abrufbereit.

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