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"Die Zeit, sich höflich rauszuhalten, ist vorbei"

Im ZDF-Thriller "Jenseits der Angst" gibt Benjamin Sadler ein weiteres Mal den netten Typen mit fiesem Kern. Auch "Ein verhängnisvoller Plan" forderte den 48-Jährigen psychisch. Warum ihm diese Rollen so stehen und was ihn am neuen Fernsehboom so begeistert, erklärt der Schauspieler im Interview.

Eigentlich ist Benjamin Sadler, geboren in Toronto und mit fünf Jahren nach Deutschland gezogen, ja ein fürchterlich sympathischer und überaus kluger Typ. Eine Art Mann, die der Schauspieler auch in seinen Filmen zuletzt oft verkörperte - mit dem kleinen Unterschied, dass seinen Figuren unter der bürgerlichen Oberfläche nicht selten etwas Wahnhaftes, Sadistisches, Böses anhaftet. So ähnlich war es im gefeierten "Tatort: Das Nest" und in "Schuld nach Ferndinand von Schirach" - und so ist es auch in den neuesten Fernsehfilmen des 48-Jährigen: Im ZDF-Thriller "Jenseits der Angst" (Montag, 16. September, 20.15 Uhr) manipuliert er in der Rolle des vorgeblich sorgenden Ehemannes seine Frau bis in den Wahnsinn. Nur vier Wochen später (Montag, 14. Oktober, 20.15 Uhr, im ZDF) reüssiert Sadler im preisgekrönten Drama "Ein verhängnisvoller Plan" als Kommissar mit toter Affäre und Amnesie. Wie man sich auf derlei psychisch fordernde Parts vorbereitet, verrät der Wahlberliner, der in London studierte, im Interview.

teleschau: In "Jenseits der Angst" spielen Sie einen an der Oberfläche mitfühlenden Mann, der seine Frau fürchterlich manipuliert. Reizen Sie solche Typen?

Benjamin Sadler: Mich interessierte das Hochmanipulative, das dieser Figur inne ist. Was treibt so jemanden an? Oft ist es ja das Aufstrebende, das Gesehen-werden-wollen, das diese Leute zu allen Mitteln treibt. Weil man davon überzeugt ist, es verdient zu haben - weil man dafür so hart gearbeitet hat etwa. Ein seltsames, pathologisches Gefüge.

teleschau: Was unterscheidet eine solche Figur von "normalen" Krimischurken?

Sadler: Gerade das Vorspielen von Empathie ist hochinteressant. Es geht nicht um eiskalte rationale Pläne, sondern vielmehr um eine tief verwurzelte psychische Störung. Die machen sich ihre Welt einfach zurecht. Es macht auch einfach Spaß, den dysfunktionalen Menschen zuzuschauen. Und das ist noch einmal etwas anderes als sonst im deutschen Krimiland.

teleschau: Giert man angesichts der internationalen TV-Revolution hierzulande als Schauspieler nach außergewöhnlicheren Geschichten wie "Jenseits der Angst"?

Sadler: Global gesehen haben wir gerade die goldene Zeit des Fernsehens. Mit ganz anderen Formen und Inhalten, die sich erzählen lassen. Aber klar ist hierzulande der Krimi vorherrschend. Und "Jenseits der Angst" ist als Thriller immerhin schon einmal ein anderes Genre. Es gibt da auch Bewegung. Und Qualität muss eben die Chance bekommen, auch erzählt zu werden. Das ist bei den Öffentlich-Rechtlichen immer noch von einem Abwägen begleitet.

teleschau: Ärgert Sie das manchmal?

Sadler: Natürlich sind für einen Schauspieler seit den "Sopranos" Qualitätsformate immer Ansporn, so etwas auch zu spielen. Unsere Nachbarn in Skandinavien machen uns das ja mit großem Erfolg seit 20 Jahren vor. Deren Formate laufen international in der Primetime - mit Untertiteln. Und durch Netflix und Co ist das ja ohnehin Normalität geworden. Man muss sich einfach mal freimachen von diesem Stigma "Nur weil es Deutsch ist, funktioniert es nicht". Man braucht gute Inhalte. Wenn du die hast, kannst du überall funktionieren.

teleschau: Ist Deutschland da auf einem guten Weg?

Sadler: Nach oben hin ist viel Luft. Aber das war immer so. Durch neue Spieler am Markt bewegt sich in letzter Zeit etwas. Das kommt nicht von heute auf morgen. Zu sagen "alles Scheiße" und dass die anderen es besser machen, bringt nichts. Die anderen haben ja auch länger dafür gearbeitet - und wir diskutieren hier ja auch nur die Crème de la Crème aus dem Ausland. Auch da wird viel Grütze gemacht. Ich glaube, dass alles in eine bessere Richtung geht als noch vor acht, neun Jahren.

"Der archaische Kern wohnt allen Geschichten inne"

teleschau: Muss man den Zuschauern auch ein wenig die Richtung weisen?

Sadler: Mir ist das fremd, diese amorphe Masse. Ich weiß gar nicht wie der "Zuschauer" aussehen soll. Natürlich gibt es gewisse Gewohnheiten. Für viele ist Fernsehen auch reine Entspannung. Ich halte es für schwierig, wenn im Öffentlich-Rechtlichen so argumentiert wird wie bei den Privaten. Man muss gewisse Bereiche abdecken - und manche davon halte ich für unterrepräsentiert. Vielleicht gibt es Möglichkeiten, die Zuschauer mitzuziehen, die nicht so daran gewöhnt sind. Es wird aber immer Leute geben, die es nicht mögen.

teleschau: Es klingt, als hätten Sie sich damit viel auseinandergesetzt ...

Sadler: Ich schaue von beiden Seiten drauf, auch als Konsument. Vielleicht habe ich mich in den letzten Jahren etwas intensiver damit beschäftigt. Auch weil es mich hinsichtlich der Gestaltung von neuen Formaten sehr interessiert. Es ist ja keine Zauberei: Man kann gewisse Strukturen auseinandernehmen und analysieren, warum bestimmte Formate so gut funktionieren. Das kann man dann als Beleg und Motivation nehmen.

teleschau: Ist so ein tiefer Einblick in die Branche hinderlich oder von Vorteil, wenn es als Schauspieler um die Bewertung von Stoffen geht?

Sadler: Wenn ich ein Drehbuch lese, gehe ich immer emotional an die Sache. Manchmal gibt es dann eben gute Geschichten, die aber vielleicht nicht wirklich gut umgesetzt wurden. Das Dilemma haben wir immer wieder. Da hilft es oft, in andere Länder zu schauen.

teleschau: Inwiefern?

Sadler: Die andere Kultur und Sprache macht es einem scheinbar klarer, wie eine ähnliche Geschichte anders erzählt werden kann. Denn der menschliche Aspekt, der archaische Kern wohnt allen Geschichten unabhängig von der Kultur inne.

teleschau: Apropos: Würden Sie gern in Ihrer zweiten Muttersprache spielen - auf Englisch?

Sadler: Ich habe in London eine Agentur, die mich über interessante Angebote informiert. Das ist natürlich manchmal schwierig, weil das Englisch bei mir dann meist einen Akzent haben muss. Aber ich will gute Arbeit machen - ob das auf Deutsch oder Englisch ist, ist zweitrangig.

teleschau: Manche zweisprachig aufgewachsene Menschen berichten, dass sie in den verschiedenen Ländern und Sprachen bisweilen unterschiedliche Personen seien. Kennen Sie das?

Sadler: Ja, das kenne ich gut. Die Sprache stellt noch mal andere Seiten des eigenen Wesens heraus. Weil die Kulturen doch unterschiedlich funktionieren. Ein sehr großer Spagat ist das bei mir aber nicht - zwischen einer aufgeklärten bürgerlichen Existenz in Deutschland und einer in England. Da gibt es größere Unterschiede. Dennoch: Der Habitus, verschiedene gesellschaftliche Riten, bringen andere Sachen aus dir heraus. Das kenne ich auch, weil ich viel in Italien weile, von meiner quasi italienischen Existenz. In einer römischen Situation verhält man sich anders als in Berlin.

teleschau: Gibt es in Berlin Dinge, die Sie dahingehend stören?

Sadler: In Berlin kann es ja schon sehr schnodderig sein - aber das ist eher etwas, was mich hier noch am meisten nervt. Ich empfinde das auch in letzter Zeit als immer weniger, das merkt man zuerst in der Gastronomie. Eine neue Generation, mit mehr Freude und mehr Charme. Die Ruppigkeit ist natürlich auch Teil der Großstadt, das passiert auch in New York oder London. Ab einer gewissen Größe vergisst man vielleicht, dass Menschen auch aufeinander angewiesen sind. Und am Ende ist es ja doch wieder total dörflich.

teleschau: Haben Sie die britische Höflichkeit internalisiert?

Sadler: Klar, das ist auch ein kulturelles Ding. Mit Freundlichkeit hat man einen Grund, die Leute auf Distanz zu halten. Wenn jemand nervt und man unfreundlich ist, dann nervt derjenige ja noch mehr. Heute ist einem in vielen Situationen geholfen, sich zusammenzureißen und freundlicher miteinander umzugehen. Es war noch nie cool, rumzumotzen. Andererseits: Als ich zum ersten Mal in Russland war, fragte ich mich auch, warum alle so grummelig sind. Dabei war das normal - und die Menschen dort alles andere als herzlos. Es ist eine andere Codierung in den Umgangsformen.

"Der zivilisatorische Überbau ist sehr fragil"

teleschau: Muss man auch in diesen politisch aufwühlenden Zeiten allem höflich begegnen?

Sadler: Natürlich gibt es heute gewisse Grundtendenzen, bei denen man nicht einfach sitzen bleiben und sagen kann: "Dass du solche neofaschistischen Ansichten hast, finde ich jetzt nicht so gut." Da muss man aufstehen und seine Meinung sagen. Die Zeit, sich höflich rauszuhalten, ist vorbei.

teleschau: Die Klassikerfrage: Sollte man mit Rechten reden?

Sadler: Klar, in einer Demokratie sollte man versuchen, im Dialog zu bleiben. Oder überhaupt erst mal einen entstehen zu lassen. Im Moment heißt es ja: Wer am lautesten schreit, hat gewonnen. Da kursieren viele Gefühlsduseleien, die mit Fakten nichts zu tun haben.

teleschau: Verstehen Sie, dass viele Menschen mit den Verhältnissen unzufrieden sind?

Sadler: Klar, wenn behauptet wird, dass alles toll und wunderbar ist, aber Fakt ist: Viele Menschen haben nicht mehr die Chance, an der Gesellschaft teilzuhaben. Weil sie das Geld, weil sie die Möglichkeiten nicht haben. Die sind außen vor. Da geht es um beide Seiten.

teleschau: Bricht da etwas hervor, das lange unter der Oberfläche schlummerte?

Sadler: Das ist eine komplexe Frage. Was genau hat zum wiedererstarkten Nationalgefühl, zu den Ängsten vor dem Fremden, beigetragen? Ich glaube, das war subkutan immer da. Möglicherweise wurde nach der Wende und im Zuge der Europäisierung das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Der Niedergang des klassischen Arbeiterstaates, der Stolz, aber auch Unternehmensverantwortung, das konnte nie kompensiert werden. Heute rackern sich die Leute für Mindestlohn bei Paketdiensten ab. Deshalb kommen viele Debatten, die früher als Alt-Sozi-Diskussionen galten, heute zu Recht wieder hoch.

teleschau: Worum geht es im Kern?

Sadler: Um die Frage, in welchem Land wir leben wollen. Was wollen wir uns leisten? Wofür stehen unsere Werte? Es ist die Frage, was mit unseren intellektuellen liberalen Errungenschaften geschieht. Der zivilisatorische Überbau ist sehr fragil.