Zeitenwende sticht Energiewende - Das Militär-Dilemma, an dem die deutsche Windkraft scheitert
Der Ausbau der Windenergie kollidiert mit den Zielen der Bundeswehr. Auch tief in Bayern spielt sich in Mindelheim das Dilemma zwischen Windkraft und Militär ab. Längst haben die vielen Konflikte Berlin erreicht. Klima- oder Zeitenwende: Was ist der Politik wichtiger?
Stephan Winter ist ein Mann, der den Fortschritt liebt. Solarpaneele auf städtischen Dächern, geförderte Elektroräder auf den Straßen, energieeffiziente Schulen – der Bürgermeister von Mindelheim, einer 15.000-Einwohner-Stadt im Unterallgäu, treibt eine grüne Wende voran. Wenn es jetzt noch mit der Windenergie klappen würde.
Wenige Kilometer vom denkmalgeschützten Rathaus, im Fichtenhain des Stadtwaldes, sollen sie stehen, vier Windmühlen, die fossile Energie ersetzen. So beschloss es der Stadtrat nach der Zeitenwende, die Pläne sind weit fortgeschritten. „Wir sind angewiesen auf den günstigen Strom. Grüne Energie ist ein Standortfaktor geworden“, sagt der CSU-Politiker. In der Region sind Maschinenbauer ansässig, ein Automobilzulieferer, die Grob-Werke, sind mit 5800 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber der Stadt.
Nur geht der Plan nicht auf. Die Bundeswehr führt Gründe an, die die Windräder verhindern. Ein Flugplatz der Luftwaffe ist nahe, die hohen Türme würden die Radare und den Flugbetrieb stören. Dazu liegen Tiefflugstrecken für Hubschrauber über dem Stadtgebiet. Winter hat die Karten der Bundeswehr studiert, rot schraffierte Flächen über dem gesamten Stadtgebiet: Vorrang der militärischen Belange. Landesverteidigung sticht Klimaschutz. „Das ist eine herbe Enttäuschung“, sagt der Bürgermeister. „Diese Absolutheit, dieses kategorische Nein gegen Projekte, bremst unsere Energiewende“, sagt er.
Zeitenwende sticht Klimawende
Die Bundesregierung hat sich viel vorgenommen. Bis 2035 soll die Stromerzeugung in Deutschland nahezu grün sein und entsprechend ambitioniert sind auch die Ausbauziele von Wirtschaftsminister Robert Habeck für die nachhaltige Energie. Gerade in der Windkraft muss sich der Zubau stark beschleunigen, damit der Plan aufgeht. Tausende Windräder müssen ins Land. Auch nach Bayern.
Mindelheim ist allerdings kein Einzelfall. Seit Monaten lässt sich beobachten, wie die Interessen der Klimabranche und die der Bundeswehr miteinander kollidieren. Immer wieder und in etlichen Regionen scheitern Windräder aus militärischen Gründen. Oft ist der Abstand zu Radaranlagen das Problem. Etliche Projekte misslingen aber an geheimen Tiefflugstrecken für Hubschrauber.
Der Bundesverband Windenergie (BWE) rechnete 2022 damit, dass in einem Zeitraum von zwei Jahren über 950 Windräder wegen militärischer Belange blockiert wurden. Doch die Bundeswehr betont, dass Planer ihre Windprojekte bei einem Bundesamt „auf Vereinbarkeit mit Bundeswehrbelangen“ überprüfen lassen könnten. Die Lage ist dennoch so zugespitzt, dass sich manche Berater ganz auf die Streitigkeiten um Flächen zwischen Klimabranche und Verteidigungsressort spezialisiert haben.
Vorsprechen in Berlin
Kein Wunder also, dass der Streit die Hauptstadtpolitik erreicht hat. Vor Monaten forderte etwa Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann im persönlichen Gespräch mit Verteidigungsminister Boris Pistorius Änderungen und machte dies öffentlich. Denn Flugkorridore und die Radar-Mindestflughöhen sperren ihm zu viele Flächen. Die Staatssekretäre des Wirtschafts- und des Verteidigungsressorts sind dazu ebenso im Austausch wie ihre Minister. Habeck und Pistorius sprachen mehrfach über das Thema. Doch die große Lösung, die herausragt, blieb bislang aus.
Für das BMWK ist es ein Ärgernis. Doch die Materie ist heikel. Streit kann die Ampel nicht gebrauchen, schon gar nicht zwischen den Ressorts der Klima- und Zeitenwende. Das BMWK drückt sich vorsichtig aus, wenn es um die Dynamik des Windkraftausbaus geht. „Auch Flächen der Bundeswehr könnten hierbei hilfreich sein“, sagt ein Sprecher. Man befinde sich im guten Austausch.
So ist ein ungelöstes Problem zweier selbstbewusster Gruppen. Und so stellt sich noch immer die Frage, welche Ziele Vorrang haben. Sind es Klimaschutz und Energiesicherheit? Oder ist es im Zuge der Zeitenwende die Verteidigungsfähigkeit?
Der Konflikt erreicht das Parlament
„Wenn das Problem nicht gelöst wird, scheitert die Energiewende“, sagt Martin Maslaton. Er ist Professor für erneuerbare Energien und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Seit Jahren begleitet er Streitigkeiten um Windflächen auf Seiten der Kommunen und Projektierer, auch vor Gericht.
Erst im Zuge der Energiekrise hatte die Bundesregierung den Grundsatz eingeführt, dass erneuerbare Energien und Stromnetze im überragenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen. Das erleichtert ihre Genehmigungsfähigkeit. Nun sorgt sich Maslaton, dass es zu einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse kommt. „Es gibt Akteure, die einen grundsätzlichen Vorrang der Bundeswehr etablieren wollen“, sagt Maslaton.
Denn der Konflikt hat auch die Parlamente erreicht. Zuletzt setzte sich das Verkehrsressort von Volker Wissing (FDP) im Bundestag dafür ein, dass militärische Radare nicht von Bauwerken gestört werden. Für die 18 Bundeswehr-Radare sah man einen Prüfradius von 50 Kilometern vor. Der BWE sprach von der „Radarfalle“. Ein Drittel der Bundesfläche sei für die Windkraft in Gefahr. Minister Habeck hätte seine Ausbauziele wohl zu den Akten legen können, wenn das Luftverkehrsgesetz entsprechend geändert worden wäre. Der Bundestag lehnte den Vorstoß nach intensiver Lobby-Arbeit der Windbranche ab.
Noch im vergangenen September verhandelte der Bundesrat eine Gesetzesinitiative Bayerns, um das Raumordnungsgesetz anzupassen. So sollten die „räumlichen Erfordernisse der Verteidigung“ fortan „im überragenden öffentlichen Interesse“ liegen. Für die Planung von Windenergie-Projekten wären auch dadurch schlechte Zeiten angebrochen. Ende Oktober lehnte der Bundesrat die Initiative ab, den Bundestag erreichte sie nie.
Ginge es nach Anwalt Maslaton, würde man das Luftverkehrsgesetz anpassen bei etwaigen Kollisionen zwischen den Interessen den Windkraftprojekten einen Vorrang einräumen. „Dann wäre das große Problem der Energiewende gelöst“, sagt er.
Rauer Ton im Arbeitskreis
„Wir brauchen eine bundespolitische Lösung, damit Windkraftausbau und Energiewende gelingen“, sagt BWE-Geschäftsführer Wolfram Axthelm. „Es gilt, Konflikte schon im Vorfeld zu vermeiden. Dafür muss sich die Bundeswehr bei der Erstellung der Regionalpläne frühzeitig beteiligen. So lässt sich ausschließen, dass Flächen in die Planung gelangen, die sich zum Beispiel mit Tiefflugstrecken überschneiden.“
Alle paar Monate tagt aktuell der Arbeitskreis Windenergie, Luftverkehr und Radar. Darin sitzen Vertreter von Bundesministerien, Behörden, Verbänden und Vertretern der Länder. Das Verteidigungsministerium führt das Wort, dann die nachgeordneten Behörden, also Luftfahrtamt der Bundeswehr und das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen.
Regelmäßig tragen die Energieverbände BWE und BDEW dort Probleme der Branche vor, flankiert vom BMWK und teils den Ländervertretern. Dann geht es etwa darum, dass die Bundeswehr zusichert, sich kategorisch sehr früh im Verfahren zu äußern oder die sogenannten Mindestführhöhen an Flugplätzen kategorisch um 30 Meter zu erhöhen. Gerade zwischen den Vertretern der Ministerien soll der Ton dort zuletzt sehr rau gewesen sein.
„Wir vermissen einen nach vorn gerichteten Pragmatismus. Es gibt fast immer gute Lösungen, mit denen beide Seiten umgehen können. Die muss man aber auch erarbeiten wollen“, sagt Axthelm. „Alles geht nur über den Weg der Einzelfallprüfung. Das ist zeitaufwendig und bürokratisch.“
Das BMVg unterstütze die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung, heißt es. Aber: „Nicht immer lassen sich beide Schwerpunkte vereinbaren. Die Bundeswehr prüft deshalb in jedem Einzelfall gründlich und ergebnisoffen, ob einem Vorhaben zugestimmt werden kann“, sagt eine Sprecherin. Im Zeitraum von 2020 bis 2023 sei die Bundeswehr an rund 3100 Genehmigungsverfahren für Windprojekte beteiligt gewesen. In 95 Prozent der Fälle habe man diesen Projekten zugestimmt.
Hoffen auf die Amtsspitze
Der frühere Verteidigungsminister Thomas de Maiziere forderte einst seine nachgeordneten Behörden dazu auf, Ausgleiche herzustellen. Das Geheiß von der Amtsspitze half. Darauf hofft nun auch der BWE. „Ein derartig starkes Bekenntnis zur Windenergie würden wir uns auch jetzt wünschen“, sagt Axthelm. „Wir begrüßen ausdrücklich, dass es im Bundesverteidigungsministerium die erkennbare Bereitschaft zu einem offenen und regelmäßigen Austausch gibt.“
Stephan Winter macht Mindelheim nun ohne Windenergie klimafest, die Energiewende soll nicht warten. Die Stadt schwenkt um auf Photovoltaik. Ein sechs Hektar großer Solarpark geht noch in diesem Jahr in Bau. Winter sagt aber auch: „Es muss eine Möglichkeit geben, bei der Windräder und Flugstrecken der Bundeswehr nebeneinander existieren können – auch in der Zeitenwende.“