Zerrissen zwischen Wirtschaft und Ökologie - Deutschlands Wälder sterben - wie Özdemir die notwendige Wende schaffen kann

Vom Borkenkäfer befallene und abgestorbene Fichten stehen im Kellwassertal im Harz.<span class="copyright">Swen Pförtner/dpa/Archivbild</span>
Vom Borkenkäfer befallene und abgestorbene Fichten stehen im Kellwassertal im Harz.Swen Pförtner/dpa/Archivbild

Deutschlands Wälder sind krank - und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir kämpft mit neuen Gesetzen um ihre Rettung. Doch statt Lösungen gibt es Konflikte: Waldbesitzer und Umweltverbände werfen dem Entwurf Versagen vor. Was muss sich ändern, um die grünen Lungen des Landes zu schützen?

Angenommen im bayrischen Wald pflanzt ein Waldbesitzer Fichten an. Wirtschaftlich eine gute Idee: Sie wachsen schnell, das Holz ist stabil. Es lässt sich hervorragend als Bauholz, für den neuen Esszimmertisch oder auch als Brennholz für gemütliche Kaminabende verwenden. Auch das Klima kann in der Theorie von den Fichten profitieren. Jeder Baum fungiert als natürliche Klimasenke und zieht CO2 aus der Atmosphäre, welches im Überschuss dort vorhanden ist.

Aber das hält nicht lange an. Die Sonne knallt auf den monotonen Fichtenwald. Die Hitze und Dürre werden den Fichten zum Verhängnis. Ihr Wurzeln sind zu flach. Sie können kein Wasser tief aus dem Boden ziehen. Am Waldboden häufen sich die braunen Nadeln. Der Klimawandel trocknet den Fichtenwald unaufhörlich aus. Jetzt sind sie noch gefährdeter für Borkenkäfer und Waldbrände.

Deutschlands Wälder liegen im Sterben

Deutschlands Wälder sterben aus. Wie das Landwirtschaftsministerium im großen Wald-Gesundheitscheck untersucht hat, sind vier von fünf Bäumen in deutschen Wäldern krank. Egal, ob Fichten, Kiefern, Buchen oder Eichen. Rund ein Drittel des Landes sind von Wäldern bedeckt. Die grünen Lungen wirken eigentlich als natürliche Klimasenken - sie nehmen das überschüssige CO2 aus der Luft auf.Doch laut Statistischem Bundesamt kompensierten die Wälder im Jahr 2019 nur noch drei Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland, während es 2012 noch mehr als doppelt so viel waren.

Was noch viel schlimmer ist: Wenn Bäume absterben oder gefällt werden, verrotten sie oder werden verbrannt. Während das passiert, wird das im Holz gespeicherte CO2 sogar wieder in unserer Luft freigesetzt. In den vergangenen sechs Jahren hat Deutschland 600.000 Hektar Wald verloren, bedingt durch Klimawandel, Wetter, Baumbefall oder Forstwirtschaft. Deutsche Wälder entwickeln sich zu Dauerpatienten, erklärte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir noch vor wenigen Monaten zutiefst besorgt.

Özdemir: Wälder als „natürliche Klimaanlage“

Deshalb hat sich der grüne Minister eine Mammutaufgabe vorgenommen. Seit 75 Jahren gibt es das Bundeswaldgesetz (BWaldG) - ohne dass es je wegen der Folgen der Klimakrise geändert wurde. Doch die Reform aller deutschen Wälder ist nicht so einfach. Denn Wald ist nicht gleich Wald. Mittlerweile liegt der fünfte Entwurf des neuen BWaldG auf Özdemirs Schreibtisch.

Sein Ziel: Die Wälder widerstandsfähiger gegen den Klimawandel machen. Die Artenvielfalt schützen. Und die Wälder nicht nur als Holzlieferanten zu behandeln. Deshalb hat Özdemir in seinem ersten Entwurf zum neuen BWaldG viele Anforderungen von Umweltverbänden einfließen lassen.

Forstwirtschaft und Waldbesitzer gingen jedoch sofort auf die Barrikaden. Für die Waldbesitzer fühlen sich die geplanten Neuerungen wie ein Vertrauensbruch an. Johannes Schmitt, Mitglied des Deutschen Forstwirtschaftsrats, kritisiert gegenüber FOCUS online Earth, dass die Forstwirtschaft in Deutschland bereits über weltweit anerkannte hohe Standards verfüge. Seiner Ansicht nach sei keine Reform des BWaldG nötig. „Für uns war das ein Schlag ins Gesicht“, so Schmitt. Die Forstwirtschaft plädiere für mehr Flexibilität und will stärker in den Gesetzgebungsprozess miteingebunden werden.

Waldrettung zwischen Wirtschaft und Umwelt

Deshalb ist Özdemir der Forstwirtschaft entgegengekommen. Im neuen Entwurf setzt das Landwirtschaftsministerium stärker auf die forstwirtschaftlichen Interessen:

  • Welche Baumarten an bestimmten Standorten angepflanzt werden dürfen, liegt jetzt in den Händen der Länder.

  • Schädliche Substanzen für den Waldboden zu benutzen, wird nicht mehr bestraft.

  • 200 Millionen Euro sollen Waldbesitzer jährlich bekommen, damit sie ihre Wälder nachhaltig bewirtschaften können.

  • Auch ungenehmigte Kahlschläge werde auch nicht mehr sanktioniert, wie es in früheren Entwürfen noch der Fall war.

  • Jedoch solle in der Novelle gesetzlich verankert werden, dass der Wald nicht nur als Wirtschaftsfaktor, sondern auch als Erholungsraum, Klimaschützer und Ökosystem gleichberechtigt ist.

Umweltverbände unzufrieden: „Eine zahnlose Mikro-Novelle“

Trotz des entkernten Entwurfs zur Waldrettung ist die Forstwirtschaft immer noch nicht zufrieden. Die Umweltverbände allerdings auch nicht. Für den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) ist der aktuelle Entwurf des BWaldG eine „zahnlose Mikro-Novelle“. Patrick Rohde ist Politik-Chef beim BUND. Er kritisiert, dass die entkernte Novelle nur unzureichende ökologische Mindeststandards festlege. Die geplanten Maßnahmen gehen nicht weit genug, um den Wald langfristig zu schützen und widerstandsfähiger zu machen.

Die löchrige Wald-Reform

Die Lösung: Mischwälder. Generell geht es vor allem darum, Monokulturen in gemischte Wälder zu verwandeln und so Risiken zu verringern. Sie seien stabiler und weniger anfällig, erläuterte Expertin Nicole Wellbrock vom Thünen-Institut. Unter anderem könne das Nährstoffangebot im Boden durch verschiedene Wurzeltiefen besser genutzt werden. Bei Monokulturen könnten sich etwa Borkenkäfer schnell hindurchfressen.

„Wir brauchen einen so diversifizierten Wald, dass er unter verschiedenen denkbaren Szenarien robust funktioniert und sich nach Störungen schnell erholen kann“, erklärt Thomas Knoke, Professor für Waldinventur und nachhaltige Nutzung an der TU München gegenüber Table.Briefings. Ständig wechseln sich die Ansprüche an den Wald, erklärt Knoke. Daher plädiert er für eine vielseitige Baumartenauswahl und Waldbewirtschaftung. Mit der Verankerung der Ökosystemleistung könne dies künftig gezielt gefördert werden.

Für Alexander Held, Experte für Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik, geht die Reform nicht weit genug. Die Finanzierung reiche bei weitem nicht aus, um Deutschlands Wälder, um für die Klimakrise fit zu machen. Zudem fehlen noch immer ein klares Ziel und Leitlinien im Entwurf. Es müsse „konstruktiv eingegriffen, Fehlbewirtschaftungen korrigiert und ein artenreicher, strukturreicher Wald aufgebaut werden“, so Held zu FOCUS online Earth.

Frankreich zeigt, wie Waldrettung funktioniert

Wie die Waldrettung besser funktionieren kann, beweist eines unserer Nachbarländer. In Frankreich werden gezielt Bäume wie Eichen gepflanzt, die gut mit Hitze und Trockenheit zurechtkommen. Außerdem fördern sie aktiv Mischwälder und investieren stark in Forschung und neue Ideen. Darunter landesweite Frühwarnsysteme - durch Satellitenüberwachung und Drohnen - um Waldbrände schnell zu erkennen und die Feuerwehr rasch zu alarmieren.

Während Frankreich macht, feilt Deutschland weiterhin an dem Gesetz. Denn ein Stück Papier mit Paragrafen allein rettet unsere Wälder nicht. Damit es weiterhin Papiere mit Paragrafen draufgedruckt gibt, muss die Regierung konkrete, verpflichtende Maßnahmen treffen.