Zickenkrieg mit Aussicht: "Selling Sunset" ist die glamouröseste Dokuserie der Welt

Lifestyle und Glamour bis zur Schmerzgrenze: Die Netflix-Serie "Selling Sunset" lässt den finanziell eher mittelprächtig ausgestatteten Zuschauer staunen und schaudern zugleich. Aber Achtung: Die Makler-Doku kann süchtig machen.

Hand drauf: Amerika war, ist und bleibt das Land der Dealmaker. Wer sich aufs Verhandeln versteht und gute Abschlüsse macht, ist erfolgreich, und dem Erfolgreichen gehört die Welt. Jeder kann es schaffen - genau wie ein jeder scheitern und flott nach unten durchgereicht werden kann. So ist das im Land of the Free, wo sich, mehr als sonst irgendwo, eine Gesellschaft auf dieser Basis definiert und sich mit den unbegrenzten Möglichkeiten ebenso zu arrangieren weiß wie mit gewaltigen sozialen Unterschieden. Nicht umsonst sitzt der selbsterklärte größte Dealmaker aller Zeiten im Weißen Haus. Aber in dieser Geschichte soll es höchstens im Subtext um Politik gehen. Hier geht es um Luxus, Geld, Sex - und um Fernsehen, das süchtig macht, weil es unverfroren genug ist, das Verlangen nach einem Lebensstil zu schüren, den es gar nicht gibt.

Jeder gute Dealmaker weiß: Sex sells! Und zum Einmaleins eines Fernsehmachers gehört die Weisheit, dass es nichts Faszinierenderes gibt als das nackte Grauen. Die Netflix-Dokuserie "Selling Sunset" besteht aus genau diesen Grund-Ingredienzien. Sie ist sehr heiß und sehr furchtbar - also geradewegs so schlimm, dass man sich ihr nicht entziehen kann. Wer auf Netflix unlängst schon den Hype um den "Tiger King" (auf Deutsch: "Großkatzen und ihre Raubtiere") in vollen Zügen mitnahm, wird wissen, welche Sogwirkung so ein perfides Stück Fernsehen haben kann.

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Auch "Selling Sunset" versteht sich als "Character-driven" Dokutainment. Die Serie bedient mit unverschämt nahen Kamerainstellungen die gleiche Lust am Voyeurismus, ist aber der glamouröse, kompromisslos auf sexy getrimmte Gegenentwurf zum prolligen "Tiger King"-Universum. Hier schaut man als guter deutscher Mittelklasse-Zuschauer nicht nach unten, wenn man die Protagonisten verfolgt und über ihr erstaunliches Tun den Kopf schüttelt, sondern der Blick geht weit nach oben. Der Fokus ist auf ein paar aufgedonnerte Westküstenladys gerichtet, die nichts mit den texanischen Raubkatzenfreunden gemein haben. Das Tiger-Motiv findet sich allenfalls als Animalprint auf Zwölfzentimeter-High Heels oder auf den hautengen Kleidchen der Protagonistinnen, die ab und an auch ihre Krallen ausfahren.

Die Perversion einer Vorstellung von realem Geschäftsleben

Die gescriptete Hochglanz-Doku, deren zweite Staffel gerade bei Netflix abräumt, hebt sowohl die Vorstellung von Reality-TV als auch des gepflegten Geschäftemachens nach amerikanischer Prägung auf eine neue Ebene: Unter kalifornischer Sonne geht es im Stakkato fast beiläufig um Millionensummen und Traumimmobilien. Als ob das nicht genug der Perversion einer Vorstellung von realem Business wäre, kommen die Dealmaker hier in aller Regel in Ferrari und Designer-Kleid, auf langen Beinen und extra-gefährlichen Louboutins daher. Gegen diese illustre Truppe von Immobilienmakerlinnen und ihren zum Verkauf stehenden Objekten sah es selbst in den hochkarätigsten Folgen der einst hierzulande erfolgreichen Variante "Mieten, kaufen, wohnen" auf VOX aus wie in einer Hartz-IV-Doku.

Chrishell Stause, Christine Quinn, Maya Vander, Mary Fitzgerald, Heather Young und Davina Potratz: So heißen die Prinzesinnen von Bel Air - Maklerinnen der real existierenden "Oppenheim Group", auf deren Homepage die Damen als Ansprechpartnerinnen für exklusivste Immobilien, vornehmlich in den Hanglagen um Hollywood, zu finden sind. Ja, es gibt sie - natürlich ist man bei so einem ungeheuerlichen Glamourfaktor skeptisch. Doch was können die Ladys dafür, dass sie - wie die meisten ihrer Objekte - eigentlich zu gut aussehen, um wahr zu sein. Jedenfalls halten sie sich in "Selling Sunset" mit nichts auf, was unter ihrem Niveau ist: Alles ist "gorgeous", nur wenig ist echt.

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So gestelzt ihre geschäftigen Auftritte im Businessmodus wirken, so gekünstelt und oberflächlich geht es auch im Privaten zu. Wenn man im Club der ehemaligen Models oder Schauspielerinnen unter sich ist, ist der Kommentar: "Oh my Gosh!" die mit Abstand gebräuchlichste Formulierung. Gespeist wird - wenn nicht gerade irgendwo eine Party im kalifornischen High-End-Ambiente steigt - in lässigen Lokalen. Dann gibt es vereinzelte Gabeln von Salatvariationen mit Mango, solche Dinge. Mehr ist bei diesen Bodys nicht drin. Wichtig ist nicht, was auf dem Teller kommt, sondern allein, was im Glas ist: Die gepflegten Damen bechern in den edelsten Designer-Bars Hollywoods schon untertags ordentlich was weg. Auf dass die Zunge locker sitzt und die Tränchen schneller fließen.

Rund um Alltagsproblemchen, Stress mit Männern, Party-Gästelisten und - das große Thema dieser Staffel! - Hochzeitsplanungen, entwickelt sich ein pseudopsychologisches Zickengemetzel, gegen das jede "Bachelor"-Staffel ein Streichelzoo ist. Nach vornehin gibt man sich als Busenfreundin, hintenrum ist man die um Provision und hierarchische Stellung kämpfende Mega-Bitch. So ist das wohl, wenn es nur noch um Deals geht und der Look das oberstes Gebot ist, dem sich alles zu unterwerfen hat. Was nicht passt, wird passend gemacht: Die Maklerinnen stecken Unsummen in die verkaufsträchtige Präsentation ihrer Immobilien, und man ahnt, dass sie kaum weniger Aufwand für die Perfektion des eigenen Erscheinungsbildes betreiben. Was diese Damen hier vorführen, ist viel mehr Lifestyle als Leben. Aber es ist atemberaubend.

Wer hat's erfunden? - Ein alter Bekannter!

Wer sich fragt, wie ernst das Ganze zu nehmen ist, ist schon im Ansatz auf der falschen Fährte. Hier geht es nicht um den vordergründigen Wahrheitsgehalt, sondern darum, Emotionen, Sehnsüchte, gewiss auch Sozialneid beim Zuschauer zu evozieren und ihn mit maximalen Schauwert-Einsatz bei der Stange zu halten. Möge das Publikum ins Geschehen hineinfantasieren, was immer es will. Fakt ist, diese glamourösen Makler-Ladys existieren, und genauso gibt es tausende Luxusbuden mit einem Wert im zweistelligen Millionenbereich im Großraum L.A. Der Realitätsbezug macht fraglos einen Teil des Reizes aus.

Diese Chrishells, Christines und Marys sind sowieso längst alles auf einmal: Maklerinnen, TV-Starlets und Social-Media-Gigantinnen mit aberwitzigen Followerzahlen auf Instagram. In "Selling Sunset" verwischen die Grenzen zwischen Realität und Fantasie auf durchaus kunstvolle Art zu einer neuen Wirklichkeit. Das Leben dieser Immobilienmaklerinnen ist das Leben von Top-Influencerinnen. Sie sitzen in TV-Shows und bieten Stoff für die einschlägigen Gazetten in Übersee. Jede einzelne der betörenden Business-Ladys ist zur eigenen Marke geworden. Chapeau!

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Erfunden hat das Ganze einer, der sich mit dieser Sorte Reality-TV auskennt. Produzent Adam DiVello schickte vor 15 Jahren schon die MTV-Serie "The Hills" aus Los Angeles um die Welt - eine Pseudo-Doku, die man wie "Selling Sunset" getrost als seicht abtun darf, und doch kam man als guter Mittzwanziger seinerzeit kaum daran vorbei. "Selling Sunset", schon verschiedentlich als "The Hills' für Erwachsene" tituliert, ist nun eine ziemlich unverfrorene Weiterentwicklung des Prinzips, die - schiebt man die absurde Frage, wie echt das alles ist, mal beiseite - bei aller Attraktion einen höchst ungeschönten Blick auf Teile der US-amerikanischen Businesswelt und ein fragwürdiges Frauenbild freigibt. Hier sind alle schön, gertenschlank, alle geben sich immer hochprofessionell, sind flirtbereit und auf eine seltsame Art prüde zugleich - und fast alle sind weiß.

So what, würden gute Amerikaner sagen

Auch wenn die eigentlichen Geschäftsmethoden hier gar nicht näher beleuchtet werden, ist klar: Um ans große Geld zu gelangen, tun schöne Menschen auch mal auch viel Unschönes. "Fuckable" zu sein, ist da noch das Geringste. Das gehört in jener Welt augenscheinlich ebenso zum Geschäftserfolg wie Ehrgeiz, Kälte und, wenn es drauf ankommt, Gnadenlosigkeit. Aber wofür das alles? - Das ist die Frage, die den staunenden Zuschauer unentwegt beschäftigt. Wo liegt der tiefere Sinn dieses Festivals der Statussymbole? Und was sind das eigentlich für Karriereträume, die hier angeheizt werden?

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Dass die vordergründig extrem selbstbestimmt auftretenden Ladys zwei männlichen Firmenbossen, den 1977 geborenen Zwillingen Brett und Jason Oppenheim, wie freie Mitarbeiterinnen auf selbstständiger Basis unterstellt sind, spricht Bände. Die Chefs geben sich cool, sie sind all ihren Mitarbeiterinnen freundschaftlich verbunden. Im Büro wird ziemlich viel gekichert, auf dass die schneeweißen Zahnreihen um die Wette strahlen. Das ganze Spiel ist oft genug zum Fremdschämen, aber eben auch lustig und höchst unterhaltsam, gerade weil der Ton immer wieder von einem Augenblick auf den anderen sehr ernst wird. Da ahnt man allerdings, was für ein knallhartes Geschäftsverhältnis sich dahinter wirklich verbirgt.

Egomanie kann sexy sein

So what, würden gute Amerikaner an dieser Stelle wohl entgegnen, that's Business! Wir sagen: Selbst schuld, wem beim Wort "Dealmaker" nichts Originelleres einfällt als Donald J. Trump. "America first", lautet dessen Credo, das "Selling Sunset" auf das Wirken von ein paar hochattraktiven Individuen im Haifischbecken der US-amerikanischen Hochglanz-Geschäftswelt runterbricht: "Me first!"

Was am Ende hängenbleibt: Egomanie kann verdammt sexy sein. Und dass man das Suchtpotenzial von gut gemachtem Fernsehen erst dann erkennt, wenn es zu spät ist. Eskapismus auf höchstem Niveau!