Zwei entscheidende Ereignisse stehen an - Kurz vor TV-Duell vollzieht Trump eine bemerkenswerte Wende

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Trump spinnt die Erzählung von der angeblichen Wahlmanipulation vor vier Jahren weiter. (Archivbild)Alex Brandon/AP/dpa

Umfragen sehen Donald Trump aktuell knapp vor einer Konkurrentin Harris. Aber jetzt stehen zwei Ereignisse an, die das Rennen ins Weiße Haus entscheiden können. Und Trump vollzieht eine bemerkenswerte Wende.

Im US-Wahlkampf hat sich kürzlich eine Sensation ereignet: Ex-Präsident Donald Trump, der am 5. November zurück ins Weiße Haus gewählt werden will, hat vor einem Millionenpublikum zugegeben, dass er 2020 gegen Joe Biden verloren hat.

Zwar nur „um Haaresbreite“ („by a whisker“). Aber eben verloren. Das sagte Trump im Podcast mit Lex Fridman. „Ich wurde Präsident“, referierte der Milliardär in dem YouTube-Gespräch zunächst seinen Wahlsieg von 2016.

Vor der Wahl 2020 habe man ihm gesagt, „wenn ich 63 Millionen Stimmen bekäme, wie beim ersten Mal, 'würdest du gewinnen, es kann nicht sein, dass du nicht gewinnst'. Und ich bekam Millionen von Stimmen mehr und verlor um Haaresbreite.“

Donald Trump und seine Wut auf die Wahlergebnisse

Tatsächlich hatte sich Trump 2020 auf 74 Millionen Stimmen gesteigert. Aber die Wahlbeteiligung war höher und Joe Biden siegte mit 81 Millionen Stimmen nicht nur bei dieser sogenannten „Popular Vote“, sondern gewann mit 306 zu 232 (74 Stimmen Differenz) mehr Wahlleute („Electoral Vote“) in den einzelnen Bundesstaaten.

So gesehen war es nicht einmal ein Sieg um Haaresbreite für Biden, sondern der nicht erneut antretende Demokrat gewann insgesamt deutlicher als Trump vier Jahre zuvor Hillary Clinton geschlagen hatte.

Die nämlich entschied 2016 den „Popular Vote“ mit 66 zu 63 Millionen Stimmen klar für sich und verlor das entscheidende „Electoral Vote“ mit 304 zu 227 (77 Stimmen Differenzen) nur um drei Stimmen höher, als Trump 2020 in dieser Disziplin verlor.

Man könnte diese Aussage von Trump als Versprecher abtun. Doch zum einen wäre das bei einem so zentralen Punkt wie den angeblich gestohlenen Wahlen, auf die er seit vier Jahren seine gesamte Kampagne aufbaut, mindestens so bedenklich wie die rhetorischen Schnitzer von Biden, der Selenskyj als „Präsident Putin“ begrüßt hatte. Biden (82) wurde beginnende Altersdemenz unterstellt, so dass er aus dem Rennen ausstieg.

Zum anderen hatte Trump (78) dieses Eingeständnis schon am 30. August in einer im Fernsehen übertragenen Veranstaltung der „Moms for Liberty Conference“ formuliert: „Er (Biden) besiegte mich um Haaresbreite, und das war eine schreckliche Sache.“ Einmal verplappert mag ja noch sein. Aber gleich zweimal?

Warum vollzieht Trump diese Wende?

Jetzt wird gerätselt, ob Trump aus taktischen Gründen seine bisherige Argumentationslinie verlässt. Möchte er unabhängige Wähler umwerben, die seiner Politik zuneigen, aber abgestoßen sind von seinem Dauervorwurf des Wahlbetrugs?

Mehr als 60 Gerichte haben entsprechende Klagen des Trump-Lagers abgewiesen und das höchste Gericht hat die erkennbar substanzlose Behauptung nicht einmal zur Anhörung zugelassen.

Jetzt mag er sich dieser Mitte andienen als jemand, der sich von der Obsession der gestohlenen Wahl zu lösen begonnen hat. Trumps Eingeständnis seiner Niederlage 2020 kommt zu einem Zeitpunkt, wo er und Kamala Harris (59) als Kandidatin der Demokraten eng beieinander liegen – lange Zeit mit leichten Vorteilen für die Vizepräsidentin.

Doch jetzt gab es einen Dämpfer für die Demokraten. In der aktuellsten US-weiten Umfrage, durchgeführt zwischen dem 3. und 6. September von der „New York Times“ und dem Institut Siena unter „wahrscheinlichen Wählern", hat Trump mit 48 zu 47 Prozent die Nase knapp vorn.

Und noch ein anderer Wert dieser Erhebung spricht für den Kandidaten der Republikaner: 30 Prozent der Befragten sehen die Vereinigten Staaten „auf dem richtigen Weg“, aber 60 Prozent fürchten, das Land steuert „in die falsche Richtung“. Wenn fast zwei Drittel die Lage solchermaßen einschätzen, darf man durchaus von einer Wechselstimmung sprechen.

Umfragen zeigen Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Trump und Harris

Im Durchschnitt der anerkannten US-weiten Umfragen, regelmäßig ausgewertet vom Portal „RealClearPolitics“, ist der Vorsprung der Vizepräsidentin damit von 2 auf nunmehr nur noch 1,3 Prozentpunkte geschrumpft - und das liegt innerhalb der Fehlermarge.

In den heiß umkämpften „Battle Ground“ oder „Swingstates“ wie Arizona, Georgia, Nevada, North Carolina, Pennsylvania, Michigan und Wisconsin liegen die beiden Bewerber zwischen einem halben und zwei Punkten auseinander, meist aktuell mit Vorteil für Harris, doch auch das bewegt sich im Rahmen von Messunschärfen.

Zu erinnern ist daran, dass Trump in Umfragen der Vergangenheit schlechter abschnitt als bei den Wahlen selbst, 2016 ebenso wie 2020.  Was also wird die Wahl entscheiden? Laut ABC/PSOS führt Harris bei den Frauen mit 13 Prozentpunkten, während Trump bei den Männern mit 5 Punkten vorne liegt.

Dieser Frauen-Männer-Graben in der Zuneigung zu demokratischen oder republikanischen Kandidaten ist altvertraut; die aktuelle Debatte um Abtreibungsrechte hat ihn aber vertieft, und darum bemüht sich Trump, in dieser Frage weicher zu argumentieren als es sich viele konservative Anhänger von ihm wünschen.

In der Mitte wird der Kampf um das Weiße Haus gewonnen oder verloren

Denn in den entscheidenden „Swingstates“ mit knappen Mehrheiten erklären nach einer Umfrage von „New York Times“ und „Siena“ 23 Prozent der Frauen unter 45 Jahren, das Abtreibungsrecht sei für sie das wichtigste Thema; Wirtschaft folgt mit 18 Prozent nur auf Platz 2.

Mit ähnlichen Motiven rückt Harris von ihrer ursprünglich sehr linken Positionierung deutlich in Richtung Zentrum. Forderte sie 2019 etwa noch ein Verbot der in den Cola- und Softdrink-affinen USA so populären Plastikstrohhalmen, will ihr Team davon nichts mehr wissen. In der Mitte, das wissen beide Kandidaten, wird der Kampf um das Weiße Haus gewonnen oder verloren.

Allerdings basiert die Entscheidung von Wählerinnen wie Wählern selten auf einem einzigen Programmpunkt. Die innere Sicherheit, etwa angesichts aktueller Amokläufe an Schulen, sind für Eltern wichtige Punkte.

Da könnten Punkte an die Demokraten gehen, die einmal mehr strengere Waffengesetze fordern. Große Bedeutung haben das Problem der illegalen Einwanderung und natürlich die Wirtschaft. Auf beiden Feldern werden Trump höhere Kompetenzwerte zugeschrieben.

Prominente Republikaner für Harris

Zwar hatte sich die US-Wirtschaft unter Biden gut erholt von den Pandemiefolgen. Aber der Präsident hatte die Corona-Hilfsmittel so üppig unters Volk gebracht, dass er damit die Inflation zusätzlich befeuerte.

Und als dies überwunden schien, blieben jetzt die Augustzahlen vom US-Arbeitsmarkt mit 142.000 neuen Jobs unter den Erwartungen von 160.000 zusätzlichen Arbeitsstellen. Bereits die enttäuschenden Juli-Zahlen hatten die Stimmung gedämpft – außer im Trump-Lager, das die eigenen Chancen dadurch befördert sieht.

Dafür wird Trump aktuell gepiesackt durch prominente Republikaner, die öffentlich ankündigen, für Harris zu optieren oder zumindest ihm nicht ihre Stimme zu geben, von Jimmy McCain, dem Sohn des verstorbenen Senators John McCain, bis zu Dick Cheney, der Außenminister unter George W. Bush war und den Trump umgehend als „Rino“, als „Republican in name only“ („Republikaner nur dem Namen nach“) beschimpfte.

Auf seiner Habenseite kann Trump jedoch verbuchen, dass der bislang unabhängige Kandidat Robert F. Kennedy, der immerhin auf Umfragewerte von 13 Prozent kam, sein Rennen aufgegeben hat und seine Anhänger zur Wahl von Trump aufruft.

Trump und Harris sind also in einer Position, in der beide noch alle Karten in der Hand haben. Den Ex-Präsidenten jetzt bereits abzuschreiben, wie das in vielen deutschen Medien, beispielsweise im „Spiegel“ anklingt mit Artikeln darüber, dass ihm (wie seit 2016 permanent) Musiker das Recht streitig machen, zu ihren Hits in die Wahlkampfarenen einzuziehen, oder weil McCain Junior zur Wahl von Harris aufruft, wirkt wie ein sehr verfrühtes Teilen des Bärenfells.

TV-Duell kann wichtige Rolle spielen

Denn nichts ist so wichtig wie Ökonomie und die Zahlen vom Arbeitsmarkt. Zumindest die für September wird man im Oktober noch erfahren. Sollten sie erneut enttäuschen, wird das eine schwere Bürde für Harris.  Der eigentliche Game-Changer kann das TV-Duell werden, bei dem sich Trump und Harris an diesem Dienstag im Sender ABC News gegenüberstehen.

Trump ist der deutlich erfahrenere Debattenredner, und bei seinem TV-Duell mit Biden ließ es den Präsidenten durch dessen desolaten Auftritt sein eigenes politische Grab schaufeln.

Trumps Schwäche: Bislang hat er nur unoriginelle („Biden war der schlechteste Präsident und sie ist noch schlechter“) bis vulgäre Beschimpfungen (in den sozialen Netzwerken teilte er einen dümmlichen Witz über „blow job“-Erfahrungen der Kandidatin) für Harris auf Lager. Er scheint sich immer noch nicht damit arrangiert zu haben, dass er nicht gegen einen vier Jahre älteren Mann, sondern eine fast 20 Jahre jüngere Frau kämpfen muss.

Sollte Harris im Duell gegen Trump zumindest bestehen, hätte sie gute Aussichten für die Präsidentschaftswahl 55 Tage später. Präsentiert sich Trump aber als faktensicher (was nicht unbedingt seine Domäne ist) und einigermaßen stilvoll (auch darin ist er kein Könner), sähe es nicht gut aus für die Vizepräsidentin.

Übrigens sprach Lex Fridman im weiteren Verlauf des Interviews Trump noch einmal an auf den Vorwurf der Wahlmanipulation 2020, und diesmal kehrte der Befragte zurück zu seinen altbekannten Vorwürfen. Er denke, „die Wahl war ein Betrug und viele Leute fühlten das ebenfalls“.

Da war er wieder, der altvertraute Faktenschleifer.