Zwei Werke vor der Schließung? - Die große Liste! Wen VW mit nach unten zieht - und welche Bereiche besonders betroffen sind
Volkswagen denkt über Werksschließungen in Deutschland nach, will Medienberichten zufolge bis zu 30.000 Stellen hierzulande abbauen und zehn Milliarden Euro einsparen. Von der Krise beim Autobauer sind aber noch viele weitere Unternehmen bedroht. Ein Überblick.
Wie ist die aktuelle Lage bei Volkswagen?
Dem Volkswagen-Konzern geht es gut. 2023 wurde mit rund 322 Milliarden Euro der höchste Umsatz der Unternehmensgeschichte erzielt, für die kommenden Jahre sind weitere Steigerungen prognostiziert. Der Gewinn nach Steuern lag zuletzt bei 16 Milliarden Euro, ebenfalls ein Rekordwert. Dieses Jahr soll er etwas geringer ausfallen, ab 2025 aber weiter steigen.
Der Volkswagen-Konzern wiederum besteht aber aus vielen Automarken, etwa Audi, Seat, Skoda, Bentley und so weiter. Die wichtigste Marke ist Volkswagen selbst. Die VW-Pkw erwirtschafteten vergangenes Jahr einen Umsatz von rund 86,4 Milliarden Euro. Der Gewinn stieg immerhin von 2,6 auf 3,5 Milliarden Euro. Das ist aber nicht genug für die VW-Spitze.
Die Wolfsburger wollen die VW-Marke wieder profitabler machen. Angepeilt ist eine operative Rendite von 6,5 Prozent. Das bedeutet, dass der Jahresüberschuss bei 6,5 Prozent des Umsatzes liegen soll. Im vergangenen Jahr hätte VW dafür 5,6 Milliarden Euro Gewinn machen müssen. Es fehlten also im Vorjahr bereits 2,1 Milliarden Euro. Davon ausgehend, dass der Umsatz dieses Jahr steigt, wächst auch die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Um diese in den kommenden Jahren zu schließen, hat VW harte Sparpläne angekündigt. Möglich sind Werksschließungen in Deutschland, dazu sollen tausende Arbeitsplätze abgebaut werden. Derzeit arbeiten rund 130.000 Menschen in Deutschland für die Pkw-Kernmarke des Konzerns. Laut Manager-Magazin könnten es in einigen Jahren 30.000 weniger sein. Die eigentlich bis 2029 ausgehandelte Beschäftigungsgarantie zwischen VW und den Gewerkschaften hat der Vorstand dafür aufgekündigt.
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Steckt VW wirklich in einer Krise?
Rein von den finanziellen Zahlen her hätten wohl viele Konzerne gerne Volkswagens Probleme, dass 3,5 Milliarden Euro Jahresgewinn zu wenig sind. Unter der Haube hat VW aber tatsächlich tiefgreifende Probleme. Das Wichtigste ist, dass Deutschlands größter Autobauer den Wechsel vom Verbrenner hin zu alternativen Antrieben, allen voran Elektroautos, verschlafen hat.
Konzernchef Oliver Blume spricht davon, dass der „Gegenwind“ in der Branche stärker werde. Was er meint, ist schlicht, dass andere Konzerne wie Tesla aus den USA oder BYD aus China mit ihren Elektroautos auch in Europa immer mehr Marktanteile gewinnen. War Volkswagen jahrelang der größte Autohersteller der Welt, reicht es bei Elektroautos nur zu Platz 3 in der Hersteller-Hitliste. Zudem rauschen die Konkurrenten dahinter mit starken Wachstumszahlen immer näher heran. In den Unternehmenszahlen macht sich das noch nicht so stark bemerkbar, weil VW mit seinen Verbrennern noch gutes Geld verdienen kann. Je mehr Marktanteile Elektroautos aber gewinnen, desto mehr werden die Wolfsburger zurückfallen. „Der Kuchen ist kleiner geworden und wir haben mehr Gäste am Tisch“, sagt Blume blumig.
Die aktuellen Sparprogramme sollen also eher eine künftige Krise verhindern. Ob das mit dem einzigen Fokus auf Gewinnmargen gelingen kann, sei mal dahingestellt. Sicher ist aber, dass zum Bau eines Elektroautos weniger Personal benötigt wird, als für den Bau eines Verbrenner-Autos. Deswegen werden die Belegschaften bei allen traditionellen Autobauern in den kommenden Jahren schrumpfen. Unbestritten ist auch, dass der europäische Automarkt dieses Jahr nur sehr langsam wächst. Besonders in Deutschland ist die Nachfrage nach Elektroautos eingebrochen, da diese seit Januar nicht mehr von der Bundesregierung mit Kaufprämien gefördert werden. Zudem sind die Energiepreise weiterhin hoch. Dass Konzerne auf solche Rahmenbedingungen mit Sparprogrammen reagieren, ist also nicht weiter verwunderlich.
Wo will Volkswagen genau sparen?
Der VW-Vorstand hat zuletzt erklärt, zwei Standorte in Deutschland wären für die Bedürfnisse des Marktes überflüssig und könnten geschlossen werden. Welche das sind, ist noch unklar, es gibt aber Tendenzen. Das Hauptwerk in Wolfsburg dürfte unantastbar sein, ebenso die „gläserne Manufaktur“ in Dresden, die sowieso mehr repräsentativen Charakter hat. Der Hauptstandort der Nutzfahrzeuge in Hannover ist ebenso sicher, das profitable und gut ausgelastete Komponentenwerk in Chemnitz ebenfalls.
Anders sieht es bei den beiden Produktionsstandorten für Elektroautos in Emden (8000 Mitarbeiter) und Osnabrück (2800 Mitarbeiter) aus. Mindestens einer der beiden soll der Sparpolitik wohl zum Opfer fallen. Auch von den drei weiteren Fabriken für Komponenten in Braunschweig (7000 Mitarbeiter), Kassel (16.000 Mitarbeiter) und Salzgitter (7500 Mitarbeiter) steht eines auf der Kippe. Beim Produktionswerk in Zwickau (10.000 Mitarbeiter) wären Stellenstreichungen denkbar. Schon allein mit zwei Werksschließungen käme Volkswagen also auf einen Stellenabbau von 9800 bis 24.000 Mitarbeitern. Wenngleich die Zahl des Manager-Magazins von insgesamt 30.000 gefährdeten Stellen sowohl vom Konzern als auch vom Betriebsrat dementiert wurde, scheinen substanzielle Stellenstreichungen auf dem Plan zu stehen.
Zudem sollen die Mittel für Investitionen gekürzt werden. In den kommenden fünf Jahren will Volkswagen 10 Milliarden Euro weniger für die Entwicklung neuer Modelle, Antriebsarten und ähnlichem ausgeben. Immerhin werden trotzdem noch 160 Milliarden Euro investiert.
Wie wirkt sich das auf die Zulieferer-Industrie aus?
Bei Deutschlands Autoindustrie denken wir zwar meistens an die großen Autobauer VW, BMW und Mercedes-Benz, dahinter steckt aber eine riesige Industrie von großen bis kleinen Zulieferer-Betrieben. Die spüren die generelle Krise des europäischen Automarktes schon jetzt stärker als die großen Hersteller. Bei den größten Zulieferern wie Continental, Schaeffler, ZF Friedrichshafen und Bosch Mobility ist bereits ein Abbau von bis zu 25.000 Stellen in den kommenden Jahren geplant. Das ist eine Mischung aus dem Wechsel zur personalärmeren Produktion von Elektroauto-Komponenten und wirtschaftlich schweren Zeiten.
Ein großes Sparprogramm mit Werksschließungen wie VW es plant, wird den Druck auf die Zulieferer aber weiter verschärfen. „Wenn VW weniger produziert, dann werden auch wir am Ende des Tages weniger verkaufen“, sagte etwa Holger Klein, Chef von ZF Friedrichshafen, zuletzt in einem Interview mit der Wirtschaftswoche . Er rechnet vor: „VW redet über eine halbe Million Fahrzeuge, die weniger gebaut werden. In jedem Auto stecken vier Stoßdämpfer. So gesehen sind es beispielsweise zwei Millionen Stoßdämpfer weniger, die Zulieferer wie ZF an VW liefern können.“
Wie hart das andere Zulieferer treffen wird, lässt sich schwer vorhersagen. Da BMW und Mercedes-Benz bisher keine vergleichbaren Sparprogramme fahren und im Elektroauto-Bereich derzeit stärker wachsen als VW, ist möglich, dass die beiden Autobauer die Einbußen des Geschäfts mit Volkswagen bei den Zulieferern auffangen können. Gerade kleinere Betriebe haben aber oft nur einen Kunden, also zum Beispiel VW. Sie sind also von den Werken des Konzern abhängig und würden von Werksschließungen hart getroffen. Hinzu kommt, dass auch die Zulieferer den Wandel zum Elektroauto mitmachen müssen und dafür in den vergangenen Jahren viel Geld investiert haben. Sinken jetzt also zusätzlich die Einnahmen, wird für viele die finanzielle Luft dünn.
Wie wahrscheinlich ist ein hartes Sparprogramm bei VW?
Nach der Aufkündigung der seit 1994 geltenden Beschäftigungsgarantie dürfte Volkswagen ab Juli 2025 theoretisch betriebsbedingte Kündigungen aussprechen. Dafür gibt es aber hohe Hürden. VW müsste nachweisen, dass die jeweiligen Arbeitsplätze dauerhaft wegfallen. Das wäre im Fall einer Werksschließung gegeben, doch bei solchen Unterfangen müsste sich der Vorstand mit dem Betriebsrat auf Sozialpläne für die Mitarbeiter einigen. Das wird schwer: „Mit mir wird es keine VW-Standortschließungen geben!“, gab die VW-Betriebsrätin Daniela Cavallo zuletzt bei einer Betriebsversammlung deutlich zu Protokoll . Indirekt drohten sie und die Gewerkschaft IG Metall bereits mit Streiks als Mittel des Protestes.
Die Betriebsräte machen vielmehr das Missmanagement des VW-Vorstandes für die Krise verantwortlich. „Volkswagen krankt eben genau nicht an seinen deutschen Standorten und an den deutschen Personalkosten. Sondern Volkswagen krankt daran, dass der Vorstand seinen Job nicht macht“, sagt Carvalho. Sie zählt etwa viel zu komplizierte Entscheidungsprozesse, immer wieder revidierte Entscheidungen und den mangelnden Mut, etwa einen günstigen Elektro-Kleinwagen zu entwickeln, als Gründe auf.
So werden sich Vorstand und Betriebsrat am Ende einigen müssen. Für VW wird das wohl auf ein Freiwilligenprogramm hinauslaufen, bei dem der Konzern abwanderungswilligen Mitarbeitern hohe Abfindungen zahlen muss, damit sie von selbst kündigen. Eine zweite Möglichkeit wäre eine Verkürzung der Arbeitszeit, die VW bei einer ähnlichen Krise in den 1990er Jahren anwandte und aus der auch die jetzt aufgekündigte Beschäftigungsgarantie hervorging. Die IG Metall hat bereits den Vorschlag gemacht, die Arbeitszeit in den kriselnden Werken auf vier Tage pro Woche zu reduzieren. Das würde auch die Lohnkosten senken, allerdings um weniger als 20 Prozent – sonst würde sich die Reduktion für die Arbeitnehmer nicht lohnen.