"Zwingt nicht alle dazu, an die gleiche Sache zu glauben": Zu Besuch bei Trump-Fans

Schwul sein und Trump-Fan? - Die Frage, wie das zusammengeht, wird in einem bemerkenswerten Beitrag des jungen Reportageformats "Y-Kollektiv" beantwortet. Reporterin Katja Döhne machte sich im Sommer auf die Suche nach Trump-Wählern.

USA - quo vadis? - Die Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten 2020 ist für den 3. November 2020 vorgesehen, und wenn es nach den meisten deutschen Medien geht, scheint die Sache beinahe schon geritzt: Mit 9,4 Prozent liegt Joe Biden vor Amtsinhaber Donald Trump, obwohl der Kandidat der Demokraten wegen der Corona-Pandemie auf den üblichen Wahlkampf verzichtet. Dazu das Corona-Desaster, die "Black Lives Matter"-Bewegung, immer neue verbale und politische Fehltritte des Präsidenten ... - Es ist ein recht eindeutiges Stimmungsbild, das hierzulande gezeichnet wird - ähnlich wie vor der letzten Präsidentschaftswahl, bei der dann bekanntlich alles anders kam als gedacht. Also: "Was sind das eigentlich für Leute, die jetzt noch Donald Trump feiern?" - Diese Frage stellte sich die TV-Journalistin Katja Döhne vom YouTube-Reportageformat "Y-Kollektiv", die Antwort sucht sie in einer bemerkenswerten Reisereportage.

In ihrem jetzt unter anderem via Facebook veröffentlichten Beitrag "Vier Jahre US-Präsident Donald Trump: Wer sind seine Wähler und Wählerinnen?" erzählt Döhne in weniger als 20 Minuten eine Menge über die politischen und gesellschaftlichen Realitäten im Land of the Free. Und, Überraschung, auf ihrer Mission, Trump-Fans kennenzulernen, hat es die Reporterin mitnichten nur mit dem aus hiesiger Perspektive wohl erwarteten Kuriositätenkabinett zu tun, sondern sie trifft in weiten Teilen auf ganz normale Leute.

Die Reise beginnt Mitten im Corona-Juni in Chicago. "Merkwürdige Zeit", sagt Katja Döhne, die auch Kamera und Schnitt selbst übernahm: "Kaum einer auf der Straße." Immerhin eine kleine "Black Lives Matter"-Demo ... - Illinois ist eigentlich ein "blauer Staat", eine Hochburg der Demokraten. Doch draußen im Umland wird die Reporterin fündig. Katja Döhne trifft Dale, einen attraktiven Mittdreißiger. Ein schwuler Landwirt, der jetzt Konservativer geworden ist und Trump wählt, wie er selbst bekennt. Mit Sonnenbrille sitzt Dale auf seinem riesigen John Deere-Traktor und gibt mit ruhiger, selbstbewusster Stimme sein Interview, in dem deutlich wird, wie eng auch in den Staaten das Politische immer auch mit dem Persönlichen verbunden ist. Er habe viele Freunde in der Stadt aus der LGBT-Community, erklärt der Mann mit dem ausgewaschenen Stars- & Stripes-Shirt. Viele dieser Freunde, so habe er nun erkennen müssen, seien scheinheilig. "Linke verurteilen andere Denkweisen viel zu schnell", sagt Dale und schimpft über die Intoleranz, die sich immer mehr breitmache.

Er sei stolz darauf, ein Farmer zu sein, sagt der Bauer, der genetisch veränderte Sojabohnen anbaut - in Deutschland ist das verboten. "Jede Geschichte hat zwei Seiten, und die Medien erzählen dir am liebsten nur eine Seite", meint er. "Wenn Dale so erzählt, möchte ich ehrlich gesagt ganz oft widersprechen", wirft Katja Döhne im Off-Text ein. Sie sei immerhin ein Teil von "The Media" ... Aber, so Döhne, sie habe sich vorgenommen, zuzuhören - auch wenn es schwerfalle.

"Zu viele moralische Vorschriften von links"

Schwul sein und Trump-Fan? - Die Frage, wie das zusammengeht, muss die Reporterin im Grunde gar nicht stellen. Bauer Dale macht keinen Hehl aus seiner Begeisterung: "Trump macht das, was er gesagt hat", schwärmt er. Die letzten vier Jahre hätten ihn überzeugt. Als die Frage dann doch gestellt wird, schimpft Dale über "zu viele moralische Vorschriften von links" und antwortet mit einer Anekdote: Ein Bäcker aus Oregon, der einem schwulen Paar das Backen einer Hochzeitstorte mit zwei Männern darauf verweigert hätte, sei von eben diesem Paar verklagt worden. Dale erklärt, warum er ein solches Gerichtsverfahren für "unsinnig" hält. Wäre ihm das passiert, sagt er, wäre er mit seinem Geld eben zu einem anderen Bäcker gegangen. "Es gibt tausende andere Bäcker da draußen." Er verklage jedenfalls "niemandem, weil er nicht bereit ist, mir diese Torte zu machen". Das genau sei ja "das Schöne am Leben in Amerika: Es ist deine Entscheidung, du kannst dich dazu entscheiden, etwas zu tun." Als die Reporterin insistiert, dass es hier doch auch um prinzipielle Fragen gehe, fällt Dale ihr ins Wort: "Zwingt nicht alle dazu, an die gleiche Sache zu glauben."

Der Beitrag ist spätestens hier bei der Political-Correctness-Debatte angekommen, die in den USA zu guten Teilen wohl doch ein wenig anders geführt wird als hierzulande. In Richmond, einst Hauptstadt der Südstaaten, dreht Katja Döhne am, aufgrund von bunten Parolen, die auf den Sockel geschmiert wurden, nicht mehr ganz so prunkvollen Denkmal des Konföderiertengenerals Robert E. Lee. Dort prallen gerade die Fronten aufeinander: "Black lives matter"-Demonstranten treffen auf eine kleine Schar Gegenprotestler von Rechtsaußen. Auf beiden Seiten gibt es Bewaffnete - Virginia ist ein sogenannter "Open-Carry-State". Immerhin: Die Rechten stellen sich nicht als Ku-Klux-Klan-Vertreter vor, sondern als Waffenverein. Dann entwickelt sich eine aus deutscher Perspektive ganz und gar absurde Situation: Weil keiner eine Eskalation herbeiführen möchte, einigt man sich auf ein gemeinsames Gesprächsthema: Waffen! Alles bleibt friedlich.

Ein paar Kilometer abseits dieses Geschehens sprechen die Leute von der Gegendemo offener. Sie seien überzeugte Südstaatler, "Confederates", erklären sie: "Manche nennen uns auch Nazis", das sei ihnen aber egal. Hier sind sie also: Menschen, die sich genauso gerieren und die genauso aussehen, wie man sich bei uns Trump-Wähler vorstellt. Und sie liefern: Meiner Meinung nach ist er der größte Präsident meines Lebens", doziert der eine, und sein Kumpel mit dem Erscheinungsbild eines eher hippiesken Altrockers ergänzt: Trump habe "alles getan, was er versprochen hat". Und dann schmettert er der deutschen Reporterin einen Satz dagegen, der es in sich hat und der vielleicht mehr aussagt als mehrere Stunden TV-Talk und -Doku zusammen: "Ihr bringt eure gescheiterte Politik, um sie in Amerika zu implementieren!" Aus dem Off kommentiert Katja Döhne später dazu: "Was soll ich machen? - Die beiden sind nun mal wirklich so."

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Gepostet von Y-Kollektiv am Donnerstag, 9. Juli 2020

"Einfach ein guter Präsident"

Die letzte Station liegt fünf Autostunden weiter im Westen. In West Virginia besucht Katja Döhne eine der ärmsten Regionen der USA. McDowell County ist eine Region, in der, als es der Kohleindustrie noch gut ging, mit großer Mehrheit die Demokraten gewählt wurden. Nun ist auch dieser Landkreis voller Trump-Wähler. Denn Trump weckte Hoffnungen - gerade in den Menschen, die sich überwiegend am unteren Rand der Gesellschaft bewegen. Und jetzt? - Sieht es dort nicht besser aus. Doch eine Anti-Trump-Stimmung macht die deutsche Reporterin nicht gerade aus. Sheriff Martin West, der seit 36 Jahren in der Stadt Welch seinen Dienst tut, spricht von massiven Drogenproblemen und großer Armut. Genau dort setzt der Alltag von Sandy, einer vom Fleck weg sympathischen und äußerst engagiert wirkenden Lady in den besten Jahren, an. Sie koordiniert die kostenlose, spendenfinanzierte Lebensmittelausgabe für Bedürftige. Und sie bekennt sich zu Trump. Würde man diese Frau nicht sehen und hören, man würde es kaum für möglich halten.

Doch es ist, wie es ist. Nicht immer kommt man in den Staaten mit dem klassischen Rechts-Links-Denken deutscher Prägung weiter - jeder Amerika-Kenner weiß das. Sandy sagt, sie würde Trump gerne treffen, sie habe mit ihm ein paar Dinge zu bereden. "Zuerst würde ich ihm danken", denn er sei "einfach ein guter Präsident". Es sei nicht alles schlecht in Amerika, behauptet Sandy, während sie die Kisten mit Spielsachen für die Kinder packt: Amerika sei das beste Land in der Welt, und so sei es immer gewesen. Sandy, nach eigener Aussage eine tiefgläubige Christin, sagt, sie wisse nicht, ob Trump ein Christ sei. Aber am Ende werde auch er "vor seinem rechtschaffenen Gott" stehen. "Genau wie ich. Ich hoffe, ich bin Gott würdig."

Die Reporterin zieht ein vielsagendes Fazit: "Man findet in den USA viele Menschen, die Donald Trump super finden. Der Rest der Nation verachtet ihn. Aber über den Kandidaten der Demokraten, Joe Biden, spricht im Moment kaum einer." Natürlich ist ihr Film nur ein kleiner Ausschnitt aus einer komplexen Realität. Aber ein aussagekräftiger, der eingefahrene Perspektiven neu zu justieren vermag. Man spürt den Puls - keinesfalls einer Nation, auch nicht einer Gesellschaft, aber den der Protagonisten. Um Trump und die USA zu verstehen, muss man seinen Wählern ein Gesicht geben. In den deutschen Medien geschieht dies sonst fraglos in nur sehr geringem Maße.

"Wir erzählen die Geschichten so, wie wir sie erleben"

Hinfahren, fragen, zuhören und aus nächster Nähe berichten: Dass es für guten TV-Journalismus nicht zwingend die ganz große Ausholbewegung, sondern oft lediglich etwas Mut und die Fokussierung auf handwerkliche Grundtugenden braucht, beweisen die Reportagen und Web-Dokus des sogenannten "Y-Kollektiv" in schöner Regelmäßigkeit. Die mehrfach für ihre Beiträge ausgezeichneten Reporter zeigen nach eigenem Selbstverständnis die Welt, wie sie sie erleben.

Ihre oft politisch-brisanten Beiträge, etwa über Massentierhaltung oder die Seenotrettung für Flüchtlinge, machen auf YouTube, Facebook und im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Jugendangebots "funk" Furore. Über die Sendereihe "Rabiat" schaffen es die "Y-Kollektiv"-Reporter mittlerweile auch immer wieder ins Erste Programm der ARD. "Wir erzählen die Geschichten so, wie wir sie erleben", heißt es in der Selbstbeschreibung der Macher, deren Beiträge sich allesamt auf dem "Y-Kollektiv"-YouTube-Kanal finden (https://www.youtube.com/channel/UCLoWcRy-ZjA-Erh0p_VDLjQ).